An den E-Scootern scheiden sich die Geister. Befürworter preisen sie als umweltfreundliches und zukunftsträchtiges Fortbewegungsmittel. Die Gegner ärgern sich über zugestellte Gehwege und Straßen sowie rücksichtsloses Fahrverhalten.
Hoppla! Da hat sich schon wieder ein E-Roller durch die Fußgänger auf dem Bürgersteig geschlängelt. Hilfe! Da fährt einer im Affenzahn in der falschen Richtung auf dem Radweg. Sieht so der viel gepriesene Fortschritt in der städtischen Mobilität aus? Untersuchungsergebnisse darüber, wie umweltfreundlich die hippen Elektrokleinstfahrzeuge wirklich sind, machen sich allerdings rar.
E-Scooter, die zur Überwindung kurzer Distanzen dienen („Letzte-Meile-Mobilität“) sind erst seit Juni 2019 in Deutschland für den Straßenverkehr zugelassen. Inzwischen sind Hunderttausende auf Deutschlands Straßen unterwegs. Marc-Philipp Waschke, Experte für Verkehrssicherheit beim Tüv-Verband, spricht von explodierenden Zahlen. Wie viele es tatsächlich sind, kann auch das Bundesverkehrsministerium nicht genau sagen. Denn bestimmte Fahrzeugklassen wie Elektrokleinstfahrzeuge, zu denen auch Segways gehören, sind in Deutschland von der Zulassung ausgenommen. Zwar müssen sie eine Versicherungsplakette tragen, die Zahl der Plaketten ist aber nicht identisch mit der Anzahl der versicherten Fahrzeuge, weil die Plaketten im Laufe des Jahres durch Verkauf, Beschädigung oder Neuversicherung mehrfach ausgegeben werden können. Dennoch kann ihre Anzahl zur Orientierung dienen. Im Verkehrsjahr 2021 waren es 939.863 Versicherungsplaketten. Eine Unterscheidung zwischen zur Vermietung angebotenen oder privat genutzten Elektrokleinstfahrzeugen wird nicht erfasst.
Zahl an E-Rollern explodiert regelrecht
Die bis zu 20 Stundenkilometer schnellen E-Scooter dürfen nur auf Radwegen oder auf der Straße genutzt werden. Fußwege sind tabu. Doch die Regeln haben viele noch nicht verinnerlicht. Der Tüv-Verband fordert deshalb die Einhaltung und Überwachung der Verkehrsregeln im Zweiradverkehr. „E-Scooter-Fahrer sind häufig unerlaubt auf Bürgersteigen, zu zweit oder alkoholisiert unterwegs“, sagt Marc-Philipp Waschke. Im Jahr 2021 war bei fast jedem fünften Unfall mit Elektrorollern Alkohol im Spiel (18,1 Prozent). Wobei sich interessanterweise diejenigen mit eigenem Elektroroller wesentlich verantwortlicher zeigen, sowohl im Verkehrsverhalten als auch in ihren Parkgewohnheiten, als jene, die ihren E-Roller nur mieten.
Paris hat sich deshalb jetzt gegen die 15.000 Leih-E-Roller entschieden, die derzeit noch in der französischen Hauptstadt zirkulieren. Bei einer Bürgerbefragung stimmten fast 90 Prozent der Teilnehmer gegen die Leihgeräte. Allerdings hatten nur knapp sieben Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Im vergangenen Jahr gab es in Paris mehr als 400 Unfälle mit E-Rollern, drei Menschen kamen dabei ums Leben. Ab September werden die Fahrzeuge nun von den Straßen verbannt.
Auch hierzulande beklagen Kritiker das rücksichtslose Fahrverhalten von E-Roller-Nutzern. Zwar ist die Beteiligung der E-Roller an den deutschlandweit insgesamt fast einer halben Million Unfällen mit Personenschaden immer noch gering. Nach Informationen des Bundesverkehrsministeriums hatten Unfälle mit Elektrokleinstfahrzeugen im Jahr 2021 nur einen Anteil von 1,17 Prozent am Gesamtunfallgeschehen.
Aber schaut man genauer hin, ist der Anteil der Elektrokleinstfahrzeuge in der Unfallstatistik hoch, deutlich höher als der von Radfahrern. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2021 in Deutschland 5.535 E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden gemeldet. 4.882 Menschen, die mit dem E-Scooter unterwegs waren, wurden verletzt, fünf starben. 2022 waren es schon 8.260 Unfälle, mit 1.090 Schwerverletzten und zehn Toten.
Problematisch für Sehbehinderte
Das Fahren mit dem Elektro-Roller scheint einige in die Kindheit zurückzuversetzen. Manche steigen gar zu dritt auf die Fahrzeuge, die nur für eine Person zugelassen sind. Ein Klingeln von Radfahrern wird als Aufforderung zum Spielen verstanden. Vor allem Jugendliche nutzen die Roller nicht als Transportmittel, sondern nur zum Cruisen in der Gruppe, manchmal mit bösen Folgen. Laut Statistischem Bundesamt waren 41 Prozent der verunglückten E-Scooter-Fahrer unter 25 und überwiegend männlich. Die E-Scooter-Unfälle sind ein Großstadt-Phänomen und ereignen sich relativ häufig nachts.
Die E-Roller-Fahrer bringen sich nicht nur selbst in Gefahr, sondern auch Fußgänger. Besonders problematisch ist die Situation für Menschen mit Behinderung. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) spricht von einer ernst zu nehmenden Unfallgefahr. Auch der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein (ABSV) hat nach eigener Aussage von den E-Scootern „die Schnauze voll“. Der Landesverband Berlin hat Klage eingereicht, „damit alle, vor allem Menschen mit Behinderung, den Gehweg wieder angst- und unfallfrei nutzen können“, so ABSV-Berlin Sprecherin Paloma Rändel.
Die viel gepriesene Umweltfreundlichkeit sieht übrigens selbst das Umweltbundesamt kritisch: „E-Scooter sind nur dann umweltfreundlich, wenn sie Auto- oder Motorrad-Fahrten ersetzen und keine weiteren zusätzlichen Fahrten mit kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen stattfinden.“ Wird der E-Scooter anstatt der eigenen Füße oder des Fahrrads benutzt, ist das schlecht für Umwelt und Gesundheit. Eine Umfrage unter über 4.000 Nutzern von Leih-E-Scootern in Paris zeigt, dass fast die Hälfte der Befragten ohne Roller zu Fuß gegangen wäre (47 Prozent), 29 Prozent hätten die Öffentlichen genutzt und neun Prozent wären per Fahrrad ans Ziel gekommen. Nur acht Prozent der Befragten haben mit dem geliehenen E-Scooter eine Auto- oder Taxifahrt ersetzt. Drei Prozent hätten sich ohne Roller gar nicht fortbewegt.
Noch kritischer sieht die Situation der Deutsche Angelfischerverband (DAFV). Dessen Mitglieder fischen nämlich nicht nur Barsche oder Karpfen aus der Berliner Spree, sondern jedes Jahr auch Hunderte Elektroroller. „Nicht selten endet der Vandalismus auf dem Grund unserer innenstädtischen Gewässer“, klagt der DAFV. Einmal am Gewässergrund angekommen, verliere sich auch die Zuständigkeit. Diesen Eindruck bekomme man zumindest im Hinblick auf die hohe Anzahl an Rollern, die man von innenstädtischen Brücken aus im Wasser erspähen kann. Zwar beteuerten die Betreiber immer wieder, dass sie sich um die Bergung ihrer Geräte kümmern wollten, es passiere in dieser Hinsicht aber meist wenig.
81 Prozent der Berliner für Verbannung
Spätestens im Wasser sei es mit der vermeintlichen Umweltfreundlichkeit ganz vorbei. Dann verwandelten sich die trendigen Fortbewegungsmittel in Sondermüll und die giftigen Chemikalien der Lithium-Ionen-Akkus, für deren Herstellung seltene Rohstoffe verwendet werden, könnten ins Wasser gelangen – auch wenn die Hersteller die Wasserdichtigkeit der Akkus garantieren.
Apropos Müll: Auch die Berliner Stadtreinigung (BSR) ist alles andere als begeistert von der sogenannten Mobilität der Zukunft: „Rücksichtslos abgestellte E-Scooter und Leih-Fahrräder behindern täglich die Arbeit der Straßenreinigung, insbesondere den Einsatz unserer Gehwegkehrmaschinen“, klagt BSR-Pressesprecher Sebastian Harnisch. Allzu häufig stünden oder lägen entsprechende Fahrzeuge im Weg und kosteten die Beschäftigten wertvolle Zeit.
In der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz sieht man die Ökobilanz der E-Roller weniger kritisch: „E-Tretroller können einen Beitrag zur Verkehrswende leisten, sind dabei besonders stadtverträglich.“ Doch auch solch schöne Worte können die Mehrzahl der Berliner nicht überzeugen. 81 Prozent würden die Leihroller am liebsten wieder aus der Stadt verbannen. Das zeigt eine aktuelle Befragung des Online-Umfrageinstitutes Civey. Aber an ein Verbot wird dennoch nicht gedacht. „Elektroroller haben unsere Mobilität in Großstädten genauso bereichert, wie es Leihfahrräder und andere Mobilitätsformen tun“, meint der Münchener SPD-Verkehrsexperte Nikolaus Gradl. Auch Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat sich ebenso wie der Deutsche Städtetag gegen ein Verbot ausgesprochen. Die Länder sollten dafür „allen Städten die Möglichkeit geben, für E-Scooter im öffentlichen Raum eine Sondernutzungsgenehmigung zu verlangen“, sagt Verena Göppert vom Deutschen Städtetag.
In Berlin müssen Anbieter aufgrund der Neuregelung des Straßengesetzes inzwischen eine Nutzungserlaubnis beantragen, wenn sie ihre E-Scooter im öffentlichen Verkehrsraum vermieten. Doch das Gesetz geht vielen nicht weit genug. Der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein (ABSV) will erreichen, dass der Berliner Senat diese Erlaubnis erst dann erteilt, wenn es nicht nur vereinzelt, sondern flächendeckend verpflichtende Abstellflächen jenseits der Gehwege gibt, erläutert Vereinssprecherin Rändel die Bedenken. Vertreten werden die E-Scooter-Leidtragenden unter anderem von dem Rechtsanwalt Thomas Hiby, der selbst sehbehindert ist. Die Sehbehinderten können mit Widerständen von den Profiteuren des Leihfahrzeug-Geschäftes rechnen.
Mit einer Flottengröße von knapp 80.000 E-Scootern ist Tier derzeit Marktführer in Deutschland. 35 Millionen Mal wurden die Scooter des Unternehmens 2022 in Deutschland ausgeliehen. Der Spaß ist nicht ganz billig. Pro Fahrt zahlt der Nutzer einen Euro Startgebühr plus 19 Cent pro Minute. Eine zehnminütige Fahrt mit einem Tretroller des Verleihdienstes Lime kostet 2,70 Euro plus einen Euro Entsperrgebühr. Der Umsatz im Segment E-Scooter-Sharing betrug 2022 etwa 167 Millionen Euro. Tendenz weiter steigend. Damit ist Deutschland der weltweit zweitgrößte Markt für den Verleih von E-Scootern.
Trotz vieler Probleme mit dem umstrittenen Verkehrsmittel sieht das Bundesverkehrsministerium keinen Bedarf für ein Verbot des E-Scooter-Verleihs in Deutschland und verweist auf die Entscheidungskompetenz der Bundesländer.
Über die Frage, wieviel die Länder an dem Geschäft mit den E-Rollern – etwa durch Steuereinnahmen – verdienen, kann keines der befragten Ministerien umfassend Auskunft geben: Dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr „liegen keine Zahlen darüber vor, welche Einnahmen durch Steuern und gegebenenfalls Sondernutzungsgebühren in den Haushalten des Bundes und der Länder durch Elektrokleinstfahrzeuge entstehen“. Beim Bundesfinanzministerium beruft man sich auf das Steuergeheimnis und die Zuständigkeit der Länder.
Steuereinnahmen: Transparenz Fehlanzeige
Lediglich von der Berliner Senatsverkehrsverwaltung gibt es einige Informationen. Durch die Anpassung des Straßengesetzes ist das gewerbliche Anbieten von stationslosen Mietfahrzeugen innerhalb des S-Bahn-Rings seit Anfang 2023 gebührenpflichtig: drei Euro je Fahrzeug und Monat. Für die Aufstellung der Fahrzeuge außerhalb des S-Bahn-Rings werden keine Gebühren erhoben. Dadurch konnte die Konzentration der Fahrzeuge „entzerrt“ werden: Mehr als die Hälfte werden inzwischen außerhalb des S-Bahn-Rings aufgestellt. Für das Jahr 2023 wurden für die derzeit zur gewerblichen Anmietung angebotenen rund 41.000 E-Tretroller in der Hauptstadt insgesamt Verwaltungs- und Sondernutzungsgebühren in Höhe von 900.000 Euro festgesetzt. Auf die Frage nach Steuereinnahmen des Landes, die von Sharing-Unternehmen kommen, heißt es: „Wir können als Senatsverwaltung für Mobilität darüber keine Angaben machen, weil uns hier keine Daten vorliegen. Wir empfehlen beim Statistischen Landesamt oder der Senatsfinanzverwaltung nachzufragen.“
Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg wiederum lässt verlauten: „Wir können die gewünschten Daten nicht liefern, da wir sie weder erfassen noch auswerten. Wenden Sie sich an die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen.“ Dort wiederum wundert man sich „über die komische Frage“. Die Senatsfinanzverwaltung lässt verlauten: „Nach Paragraph 30 der Abgabenordnung dürfen wir keine Angaben liefern.“ Zu den Einnahmen aus Steuern könne man wegen des Steuergeheimnisses keine Informationen liefern.