Von Robotik bis hin zur Zusammenarbeit von Mensch und Maschine: In Deutschland setzt das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik, (Zema) Forschung in industrienahe Entwicklungen für die Automobilindustrie um.
Das Stichwort E-Mobilität entlockt Prof. Dr.-Ing. Rainer Müller nur noch ein müdes Lächeln. Das sei doch alles längst ein alter Hut. "Die Integration von Batterien in Fahrzeugen entspricht dem Forschungsstand vor acht Jahren, heute kommen die Fahrzeuge bereits in Serie", merkt der wissenschaftliche Geschäftsführer des Zentrums für Mechatronik und Automatisierungstechnik, kurz Zema an. So wie auch im Übrigen auch das Thema Car-to-Car-Connectivity: Das Auto-redet-mit-Auto-Prinzip wird in Testflotten bei Lkws schon umgesetzt. "So kommunizieren die Autos untereinander bei einem Konvoi", erklärt der Forscher. "Wenn das erste Auto plötzlich abbremst, bekommen es die darauffolgenden Autos in kürzester Zeit mit und passen ihre Geschwindigkeit dem Vordermann an." Das Assistenzsystem macht diesen Vorgang möglich. "Bei einer sicheren Einstellung könnte man die Autos wesentlich enger fahren lassen und dadurch eine höhere Verkehrsdichte realisieren", betont Müller. Hier geht es um eines seiner liebsten Themen, Fahrassistenzsysteme für das autonome Fahren zum Beispiel. Forschungsintensiv sind daneben die Car-to-Infrastructure-Aktivitäten, also dass das Auto beispielsweise mit Ampeln, Schranken und Parkplätzen kommuniziert. Eine Spielwiese für Informatiker.
Bundesweit ist das Zema einmalig
Das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik gibt es seit 2009. Geleitet wird die vom Land initiierte Kooperationsplattform zwischen der Universität des Saarlandes und der saarländischen Hochschule für Technik und Wirtschaft neben Müller von Jochen Flackus. Er übernimmt bei der Geschäftsführung den kaufmännischen Bereich. Ein Drittel der Mitarbeiter aktuell verzeichnet das Zema mit den beteiligten Wissenschaftlern der Hochschulen rund 150 Beschäftigte sind Werkstudenten. In Zusammenarbeit mit Professoren der beiden Lehreinrichtungen sie sind direkt beim Zema angesiedelt widmen sich die Studierenden anwendungsorientierter Forschung und industrienahen Entwicklungen im Bereich Mechatronik und Automatisierungstechnik. Und genau diese Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis verleiht der Plattform eine absolute Sonderstellung.
"In der Südwest-Region gibt es überhaupt nichts Vergleichbares", betont der Geschäftsführer. Die Kooperation mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hebt die Kooperationsplattform sogar bundesweit hervor und macht sie damit einmalig in ganz Deutschland. Das zeigt sich auch bei der Auswahl der Projekte. Viele Forschungsaufträge kommen direkt von der Industrie darunter sind alle deutschen Automobilhersteller vertreten oder entstehen aus gemeinsamen Kooperationen. Einige Forschungsansätze resultieren dagegen aus dem Alltag. Vorausgesetzt man hält die Augen offen.
Mit Robotik Arbeitsplätze erhalten
So wie bei Müller selbst. Bei einer seiner Autofahrten kam der wissenschaftliche Geschäftsführer ins Grübeln. "Mein Auto hat ein integriertes Fahrassistenzsystem", sagt der Forscher. "Das funktioniert sogar ab und zu für eine Minute", fügt er scherzhaft hinzu, "und dann eben nicht mehr". Bei geraden Strecken ist das Fahren in der Regel kein Problem, der Sensor erfüllt seinen Zweck. Doch schon eine leichte S-Kurve bringt die künstliche Intelligenz aus dem Konzept, und das System verliert die Sensibilität für mögliche Hindernisse.
Die Ursache liegt für Müller auf der Hand. "Die System- und Produktionstechnologien sind noch nicht so weit", fasst er das Problem zusammen. Das hat vielfältige Gründe. "Beispielsweise definiert die Fahrachse eines Fahrzeugs seine Fahrtrichtung geradeaus", erklärt der Geschäftsführer. "In dieselbe Richtung muss natürlich auch der Sensor gucken, um nicht nur die Entfernung zwischen Autos messen zu können, sondern auch den seitlichen Abstand. Wenn der Sensor aber nicht weiß, wo die Fahrachse ist weil er vorne am Frontend ist guckt er anstatt auf das direkt vorausfahrende Auto auf eines daneben, was fatale Folgen haben könnte."
Ein weiterer Punkt ist die genaue Einmessung: "Das System-Sensor muss auf wenige Winkelminuten genau das ist ein sechzigstel eines Grades eingestellt werden, damit er die seitliche Abweichung in der Entfernung zwischen dem eigenen Auto und dem potenziellen Hindernis auch plus minus einen halben Meter genau misst. Ansonsten selektiert der Sensor auf einmal die Gegenfahrbahn oder eine falsche Fahrspur und so weiter", erklärt Müller weiter. "Diese Winkelminuten müssen schon in der Produktion am Fahrzeug gemessen werden. Das bedarf einer hochgenauen Messtechnik, und das ist genau das, was wir hier entwickeln über patentierte Radadaptionseinheiten. Sie ermöglichen den Automobilisten die Produktion von sicheren und effizienten Autos." Sechs Patente nennt Zema ihr eigen, zwei weitere sind beantragt.
Ein anderer wichtiger Forschungszweig ist beim Zema die Robotik. "Viele Menschen schreien bei diesem Thema gleich auf und verweisen damit auf den angeblichen Abbau von Arbeitsplätzen", überlegt Müller. "Diese Annahme ist allerdings komplett falsch. Vielmehr sorgen wir mit der Mensch-Maschine-Kooperation für die Erhaltung der gefährdeten Stellen und sichern über Effizienzsteigerungen auch die anderen Arbeitsplätze".
Die Rede ist von sogenannten "Roten Arbeitsplätzen". "Eines davon ist beispielsweise die Umsetzung der Unterbodenmontage", berichtet der Geschäftsführer weiter. Damit der Unterboden des Autos windschnittig ist und später Kraftstoff eingespart werden kann, fixieren Arbeiter im Zuge der Automontage großflächige Elemente mit zahlreichen Schrauben. Gearbeitet wird dabei über Kopf, was eine enorme Belastung für die Mitarbeiter darstellt. "Natürlich gibt es schon Schraub-Hilfen, die den Arbeitern zur Verfügung stehen", ergänzt Müller, "diese erfüllen jedoch nicht ihren Zweck. So ist eine Aufteilung der Arbeiten zwischen Mensch und Roboter in der Realität sinnvoller."
Der mechanische Arbeitskollege soll an dieser Stelle eingreifen und Abhilfe schaffen. "Der Werker muss dann lediglich die Bauteile einfädeln und an wenigen Punkten befestigen", schildert Müller das Projekt. "Der Roboter schraubt sie dann an vielen weiteren Punkten an."
Doch diese Methodik birgt auch Komplikationen: Der Mensch und die Maschine teilen sich einen Arbeitsbereich, somit sollen auch die Bewegungen der beiden synchronisiert werden. Damit es so einfach wie möglich wird, kooperiert Zema auch mit Arbeitspsychologen und Sportwissenschaftlern. "Zusammen erarbeiten wir die möglichen Bewegungsmuster für Roboter, damit die sich tatsächlich beim Arbeiter nützlich machen und diesen nicht durch hektische Bewegungen provozieren. Akzeptanz ist hier das Thema." Ausgestattet mit Bewegungssensoren lassen sich die intelligenten Gehilfen problemlos durch einfache Berührungen steuern und ziehen sich, sobald der Werkarbeiter sich gestört fühlt, durch zartes Anstupsen sofort zurück oder stoppen. "Mittlerweile haben wir einen richtigen Roboter-Park von rund zehn Modellen", so Müller. Neben ihrer Funktion in der Automobilbranche setzt Zema die smarten Helfer auch in vielen anderen Produktionsbereichen ein, um zum Beispiel die Qualität zu erhöhen oder Energien zu sparen. "Wir haben beispielsweise in einem EU-Projekt für unseren Partner Gamesa gearbeitet", berichtet Müller. Das spanische Unternehmen Gamesa Corporación Tecnológica spezialisiert sich auf die Herstellung von Windkraftanlagen. "In diesem Fall war es noch etwas komplizierter", berichtet der Geschäftsführer. Im Gegensatz zur kontinuierlichen Unterbodenmontage hierbei bleibt die auf die Schrauben einwirkende Kraft identisch passt sich die Stärke der zugezogenen Windkraftanlage-Schrauben entsprechend der Maschinenkonstellation an. "Menschen können nicht so genau und schwer arbeiten", betont Müller, "eine Automatisierungslösung passt sich dagegen haargenau den Vorgaben an und führt diese perfekt aus."
Julia Indenbaum