Auch am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken werden Beiträge zum weltweiten Kampf gegen Aids geleistet. Der Bioinformatiker Alejandro Pironti erforscht die langfristige Wirksamkeit von Medikamenten und hat darüber nun seine Doktorarbeit geschrieben.
Ein Büro im fünften Stock: Keine Pflanzen, keine Bilder, kein Schnickschnack. Nur eine große, weiße Tafel mit Notizen, Formeln und Check-Listen hängt an der Wand. Am Computer lange Zahlenreihen, Balken und Diagramme. Eine Tasse Kaffee wird langsam kalt. Keine Frage: Das ist das typische Büro eines Informatikers. Aber im Regal reihen sich neben Büchern zu Statistik und Mathematik auch dicke Schinken mit Titeln wie "Neue Wirkprinzipien in der HIV-Therapie", "Prinzipien der Virologie" und "Die Pathogenese von Aids". Können Informatiker bei der Bekämpfung von Aids helfen? Das HI-Virus am Computer überlisten? Bioinformatiker Alejandro Pironti tut am Saarbrücker Max-Planck-Institut für Informatik genau dies und hat jetzt seine Doktorarbeit abgegeben.Seit 16 Jahren lebt Alejandro Pironti in Saarbrücken. Schon in der Schule damals noch in Mexiko-Stadt hat er sich für Biologie und Informatik interessiert und hatte bereits am Gymnasium Kontakt zu einem Saarbrücker Informatik-Professor. Nach dem Gespräch stand sein Entschluss fest: Pironti will Bioinformatik studieren. "In der Schule hatte ich Glück und wurde sehr unterstützt", erinnert sich der heute 33-jährige Mexikaner. "In Mexiko hatten wir einmal in der Woche einen Labor-Tag, wo ich zum Beispiel Blut zentrifugieren konnte. Da war mein Interesse schnell geweckt." Als seine Mutter 1999 ins Saarland zog, fing der damals 16-Jährige an, Deutsch zu lernen, ein Jahr später kam er nach und machte am Saarbrücker Otto-Hahn Gymnasium sein Abitur.
Nach seinem Master in Informatik 2009 an der Universität des Saarlandes kam schnell die Spezialisierung auf das Themengebiet HIV, ein sich schnell wandelndes Gebiet mit immer neuen Erkenntnissen. "Als ich angefangen habe, kamen gerade viele neue Wirkstoffe raus, die Daten waren beeindruckend", erzählt Pironti. Weltweit kommen immer neuere und bessere Medikamente auf den Markt, mit immer weniger Nebenwirkungen. "Wir erforschen gemeinsam mit den Klinikern, welche Spuren die einzelnen Wirkstoffe auf dem Genom des Virus hinterlassen. Wenn der Wirkpegel eines Medikaments unter ein bestimmtes Niveau sinkt, hat das Virus die Gelegenheit, sich anzupassen und Resistenzen zu entwickeln. Jeder einzelne Wirkstoff hinterlässt seine Spuren."
Aufgabe von Informatikern wie Alejandro Pironti ist es, klinische Daten auszuwerten und Modelle auf Grundlage dieser Daten zu entwickeln. "Auf Grundlage der Erbinformationen, die man mittels einer Blutuntersuchung erhält, können wir mit unseren Berechnungen voraussagen, welche Medikamente tendenziell funktionieren werden und welche nicht. Vereinfacht ausgedrückt gibt es für jedes Medikament eine Zahl, ein Gewicht. Wenn man die Gewichte addiert, kann man damit Voraussagen über Resistenzen treffen." Die Modelle, die Pironti und seine Kollegen entwickeln, ersparen den Schritt, das Virus "in vitro", also in einem Reagenzglas zu überprüfen, was ein sehr aufwendiger, langwieriger und auch kostspieliger Prozess ist. Es reicht nun aus, die RNA-Sequenz zu überprüfen, die aus der einfachen Blutprobe des Arztes stammt.
Der Webserver geno2pheno erleichtert die Arbeit
Auf Grundlage dieser Forschungen entstand schon Anfang des neuen Jahrtausends, also vor Pirontis Zeit, gemeinsam mit dem Virologischen Institut der Universität in Köln der geno2pheno-Webserver. Rund ein Drittel der deutschen Ärzte nutzt dieses Vorhersage-Programm, wenn ein Patient zum ersten Mal eine Therapie beginnt oder "neu eingestellt wird", also eine neue Medikamenten-Kombination erhält, zum Beispiel, weil er eine Resistenz entwickelt hat oder ein neuer, besserer Wirkstoff am Markt erhältlich ist.
Alejandro Pironti war das nicht genug. Er wollte nicht nur wissen, ob ein Patient potenziell resistent gegen einen bestimmten Wirkstoff ist er wollte auch wissen, wie lange eine Therapie erfolgreich sein würde: "Die Patienten nehmen drei oder mehr Medikamente gleichzeitig. Die Ärzte brauchen Gewissheit, dass eine Therapie funktioniert, dass sie wenig Nebenwirkungen hat, dass sie lange hält und nicht so schnell scheitert. Manche resistente Varianten verstecken sich anfangs im Körper und kommen erst später noch mal hoch."
Es gibt Datenbanken, in denen die Viruslast im Blut gespeichert wird, also die Anzahl der Virus-Kopien, die pro Milliliter Blut vorhanden sind. Wenn eine Therapie funktioniert, sinkt diese Zahl unter die Messbarkeitsgrenze. "Als ich damals mit der Forschung anfing, hat man geschaut, wie sich die Viruslast in den ersten acht Wochen nach Therapiebeginn entwickelt. Sank die Zahl ab, war die Therapie erfolgreich", erzählt Pironti. Das war ihm zu kurzfristig gedacht. Denn, so erklärt der Informatiker, viele Medikamente, die in der späteren Therapie viele Nebenwirkungen zeigten, wurden anfangs als zu gut eingestuft: "Manche Phänomene, zum Beispiel eine spätere erneute Erhöhung der Viruslast, entdeckt man nur, wenn man genau hinschaut. Wenn ein Patient öfter zum Arzt geht, hat man natürlich größere Chancen, Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Mein Ziel war es, ein Maß für den langfristigen Erfolg einer Therapie zu finden, um die Therapie in der Ganzheit bewerten und langfristige Erfolgsvorhersagen treffen zu können. Wir haben am Computer Modelle trainiert, die nun in der Lage sind, solch langfristige Erfolgsvorhersagen zu treffen. Denn die Länge der Therapie ist das Qualitätsmaß."
Dieses Update des erfolgreichen geno2pheno-Webservers wird in den nächsten Monaten an den Start gehen. Das Programm bietet dann verschiedene Ansichten und Gewichtungen sowie Gründe, warum Medikamenten-Kombinationen erfolgreich sein können oder nicht. Somit sind Vergleiche für den Arzt möglich. Und es stellt Vorhersagen zur Anzahl von aviremischen Semestern an, also wie lange eine Therapie funktionieren kann. "Geschichte rekonstruieren, um Voraussagen für die Zukunft zu treffen", beschreibt Pironti seine Methode.
Seine Doktorarbeit zu dem Thema hat Pironti zur Korrektur abgegeben und wartet nun auf die externen Gutachter und einen Termin für die Verteidigung. Damit endet auch bald seine Zeit am Max-Planck-Institut auf dem Saarbrücker Universitäts-Campus. In Zukunft wird er wohl nicht mehr im Bereich HIV forschen: "Das Virus ist in den reichen Ländern weitestgehend unter Kontrolle und es wird immer schwieriger, Forschungsmittel zu bekommen. Aber ich will natürlich meine Expertise bei Infektionskrankheiten weiterhin nutzen." Und das kann er auch: Ende des Jahres wird Alejandro Pironti eine Postdoc-Stelle am Broad Institute of MIT and Harvard in Cambridge antreten. Dort wird er zukünftig unter anderem an multiresistenten Krankenhauskeimen forschen und dem Zusammenhang von Darmbakterien und Harnwegsinfektionen auf den Grund gehen. Besonders reizt ihn daran die Forschung im Bereich der personalisierten Medizin, ein Themengebiet, das derzeit auf dem Vormarsch ist und bei dem jede Therapie speziell auf den einzelnen Patienten zugeschnitten wird. "Es ist schon irgendwie ein eigenartiges Gefühl, vom Schreibtisch aus etwas für die Therapie schwer kranker Menschen tun zu können", sagt der junge Mann. "Aber auch ein sehr befriedigendes.
Nele Scharfenberg