Melissa und Agnes hatten Glück: Im Fußball-Trainingszentrum im namibischen Windhoek stießen sie auf ein Ausbildungsangebot der Tui Care Foundation für das Hotelfach.
Fröhliches Kinderlachen mischt sich mit anfeuernden Rufen. Kleine Staubwölkchen steigen auf, wo der Ball auf den steinigen Boden des Bolzplatzes trifft. Ein leichter Staubschleier liegt in der Luft. Kein Grashalm ist weit und breit zu sehen. Eine Gruppe Mädchen stürmt auf das Tor zu. Ein Abschuss, zu ambitioniert – der Ball fliegt in hohem Bogen über das Ziel hinaus. Erneutes Lachen. Die Mädchen spielen barfuß, in Flip-Flops oder in den Schuhen ihrer Schuluniformen. Fußballschuhe? Haben sie nicht. Im Eifer des Gefechts aber scheint der harte Untergrund vergessen, was zählt ist der Ball im Tor – so oft wie möglich und mit viel Spaß.
Wir sind in Katuturas „Neighbourhood", Windhoeks ärmstem Stadtviertel, wo es viele solcher Plätze gibt. Auch Melissa Eises spielte einst mit den Jungs ihres Viertels auf der Straße, schon mit gerade mal vier Jahren legte sie damit los, erinnert sich ihre Großmutter Berta. Dass daraus einmal so viel mehr werden sollte, ließ sich da noch nicht absehen. Ihre Mutter war wenig begeistert von der sich immer weiter entwickelnden Leidenschaft. „Fußball ist doch nur etwas für Jungs!", bekam Melissa oft genug zu hören. Doch sie gab nicht auf. Hartnäckig spielte die heute 21-Jährige weiter – und hat es bis in die namibische Nationalmannschaft der Damen geschafft.
Ein bisschen Glück gehörte allerdings mit dazu: Unicef etablierte über das Programm „Galz & Goals" landesweit Ligen für Mädchen im Teenageralter, Scouts entdeckten Melissa bei einem Samstagsspiel auf einem steinigen Acker. Ab da wechselte nicht nur der Untergrund: Die nächsten Ballwechsel fanden im Fußballzentrum für Mädchen und junge Frauen in Katutura statt. Gegründet hatte das Zentrum die National Football Association of Namibia – das Pendant zum Deutschen Fußballbund (DFB) – gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und weiteren Kooperationspartnern.
Im Fußballzentrum treffen die Mädchen auf Verständnis und eine neue Peergroup. Und können so das Leben im Armenviertel aus einer anderen Perspektive sehen: „Der Druck von den Freunden, bei Alkohol- und Drogenkonsum mitzuhalten, war enorm hoch", sagt Melissa rückblickend.
Diszipliniertes Training und ein Programm neben dem schulischen Alltag helfen, gegen solche Zustände im sicheren Rahmen ein Rückgrat aufzubauen. Mithilfe von Coaches und Ansprechpersonen erarbeiten sich die Mädchen Erfolge und bauen Schritt für Schritt ihr Selbstbewusstsein auf.
Natürlich muss man eisern dranbleiben, das schafft auf Dauer nicht jede der hoffnungsvollen Fußballerinnen. Melissa biss sich durch, konnte schließlich an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Und sie reiste, zuvor undenkbar, unter anderem nach Norwegen und Deutschland. Absolvierte ein Trainingsprogramm im Sportcentrum Kamen Kaiserau bei Dortmund. Hier trainiert auch die deutsche Nationalmannschaft.
Noch lange nicht am Ziel ihrer Träume
Die ganze Familie ist froh über Melissas positive Entwicklung. Längst vergessen ist, dass Fußball ja „nur was für Jungs" ist, auch die Eltern lernen mit: Stolz schleppt die Mutter Pokale und Medaillen ihrer Siegerin aus der Lehmhütte im Armenviertel ins Freie. Ihre Tochter hat den Absprung aus der Abwärtsspirale geschafft.
Die nämlich droht vielen jungen Mädchen und Frauen in Namibia. Schutz und Förderung sind für sie besonders wichtig, denn Alkohol und Drogen sind nur ein Teil des Problems. Häufig sind sie Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Durch Armut werden sie oft in die Prostitution gezwungen. „Sugar Daddys", also ältere Männer, nutzen die Situation der Mädchen aus und machen sie sich mit Geld oder anderen Geschenken gefügig. Kondome stehen oft zwar kostenfrei zur Verfügung, doch benutzt werden sie zu selten. HIV beziehungsweise Aids, frühe Schwangerschaften und vorzeitige Schulabbrüche sind die Folge. Perspektive? Fehlanzeige.
Möglichkeiten, aus dem Teufelskreis auszubrechen sind rar in Katutura. Dort wie andernorts hängen die Jugendlichen arbeitslos auf der Straße herum. „Ich bin oft mit meinen Freunden ausgegangen. Wir haben viel getrunken und Party gemacht", sagt Melissas Teamkollegin Agnes Kauzuu. Auch eine, die es dank Unterstützung und Fußball geschafft hat: Sie hält für Namibias Frauennationalteam als Torhüterin die Bälle.
Obwohl Melissa und Agnes viel für sich erreicht haben, sind sie noch lange nicht am Ziel ihrer Träume. Beiden bedeutet es viel, Mitglied in der Frauennationalmannschaft zu sein. Der Beruf Profifußballerin ernährt aber in Namibia keine Familie. Das Nationalteam bestreitet nur wenige Spiele pro Saison, gezahlt wird pro Spiel, im Durchschnitt jeweils umgerechnet 280 Euro. Zuverlässig planen lässt sich damit nicht. Außerdem ist eine Aufstellung in der Nationalmannschaft keine Sache für die Ewigkeit – und anders als in europäischen Männerteams hat man mit Mitte 30 sein Glück noch nicht gemacht. Welche Alternative gibt es also für die jungen Frauen, die ihre Zukunft nicht in einer Wellblechhütte in Katutura verbringen wollen?
Diese Frage stellte sich auch für Melissa und Agnes, auf der Suche nach einem soliden Beruf hielten sie Augen und Ohren offen. Und hatten noch einmal Glück: Im Fußballzentrum erfuhren sie von einem Ausbildungsprogramm im Hotel- und Gaststättengewerbe an der Silver Spoon Academy in Windhoek. Hier tritt das internationale Touristikunternehmen TUI auf den Plan: Die TUI Care Foundation hat unter anderem zum Ziel, jungen Menschen weltweit berufliche Perspektiven im Tourismus-Segment zu eröffnen. In Namibia hatte die Stiftung deswegen für junge Sportlerinnen 20 Stipendienplätze ausgelobt. Die beiden Fußballerinnen bewarben sich und schafften es nach einem langen Auswahlprozess in das Programm. Tom Mutavdzic, Leiter der Akademie und selbst Hotelier in Windhoek, begründet die hohen Anforderungen: „Es nützt niemandem, wenn jemand nur das Geld und die Chance über das Stipendium sieht, aber sein Herz nicht für das Hotelwesen schlägt." Die Abbruchquoten wären sonst einfach zu hoch und andere, die ein echtes Interesse am Beruf hätten, blieben außen vor. Von den Studierenden würden die verschiedenen Programme an der Akademie sehr gut angenommen, sagt der Hotelier.
Doch wünscht er sich von seinen namibischen Kollegen, dass sie den Wert solider Ausbildung höher schätzten und mehr jungen Menschen mit einer fundierten Ausbildung einen guten Start ins Berufsleben ermöglichten. In Namibia gebe es kein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland, erklärt Mutavdzic. Mitarbeiter im Hotel- und Gastronomiebereich erhielten nach wie vor lediglich ein Training „on the job" – hochwertigere Tätigkeiten und vielfältigere Einsatzmöglichkeiten könne man damit oft nicht qualifiziert ausüben.
Dagegen scheint der Ansatz der Silver Spoon Academy in der Praxis zu funktionieren. Die Absolventen und Absolventinnen haben nach ihrem Abschluss gute Einstiegschancen. Diese Erfahrungen hat auch Melissa gemacht – sie hat die einjährige Ausbildung samt Praktikum inzwischen erfolgreich abgeschlossen: „Am Anfang meiner Ausbildung war ich sehr schüchtern, doch seit meinem Praktikum im Hotel ist mein Selbstvertrauen gewachsen." Egal, ob sie nun Dienstpläne erstellt, an der Rezeption oder im Gastraum eingesetzt wird: Melissa kennt sich aus. Das merken auch andere: Nach dem Praktikum, das sie am Thule Hotel in Windhoek absolviert hat, bekam sie direkt einen Arbeitsplatz angeboten. Inzwischen arbeitet sie als Junior Managerin. Geschäftsführer Wolfgang Balzer fördert die junge Frau: „Sie arbeitet sechs Tage die Woche, ist bei strategischen Meetings dabei und voll integriert – für mich ist sie eine vollwertige Mitarbeiterin."
Melissa arbeitet bereits als Jungmanagerin
Doch Melissa plant schon weiter. Sie lernt Deutsch und erhält die Möglichkeit, einen Führerschein zu machen. Den zu besitzen bedeutet im Land der weiten Entfernungen gerade im Tourismussektor ein großes Plus und kann das ausschlaggebende Einstellungskriterium sein. Gerne erinnert sie sich auch an die Eindrücke aus den Fußball-Trainings in Deutschland und Norwegen zurück. Mal in anderen Ländern arbeiten – das wäre was! Aber auch jetzt ist ja schon viel erreicht: „Heute kann ich meiner Familie mit Lebensmitteln oder Geld für Transport unter die Arme greifen", erzählt sie stolz. Klar will sie erst noch weitere Erfahrungen im Hotel sammeln. Aber sie könne sich auch gut vorstellen, später einmal ein eigenes Haus zu eröffnen, erzählt die 21-Jährige.
Melissas Fußball-Kollegin Agnes startete etwas später mit ihrer Ausbildung, steckt mitten im Praktikum im Hotel Safari Court in Windhoek. Sie rechnet sich gute Chancen aus, auch übernommen zu werden. Ohne die finanzielle Unterstützung der TUI Care Foundation hätte sie sich die Ausbildung, die umgerechnet etwa 5.000 Euro kostet, nicht leisten können. Wie dankbar sie dafür ist, zeigt sie über ihr Engagement. Um 4.20 Uhr klingelt sie der Wecker aus dem Schlaf. Da hängt die Nacht im namibischen Winter noch dunkel über Katutura. Sie hat einen langen Weg bis zur Arbeit und muss einen Teil der Strecke zu Fuß bis zur Bushaltestelle zurücklegen. Ganz wohl ist ihr dabei nicht, denn ein Fußmarsch in dieser Gegend ist in der Dunkelheit nicht sicher. Dennoch hat die Praktikantin Glück, denn immerhin stellt das Hotel einen Bus-Shuttle für die Angestellten aus Katutura zur Verfügung.
Agnes hat ihre Chance erkannt
Vom einstigen Party-Girl ist nicht mehr viel zu sehen. Agnes hat, wie Melissa, ihre Chancen erkannt und sie genutzt. Eisern hatte sie erst so lange trainiert, bis sie im Tor der Nationalmannschaft stand, hat Teamgeist bewiesen, Einsatz und Durchhaltevermögen. Das hat sich auch jetzt in der Ausbildung für sie bewährt – und sicher profitieren auch ihre Kollegen und Chefs von dieser positiven Zähigkeit. Auch sie hat ihre Schüchternheit Gästen gegenüber überwunden. Heute genießt sie den Umgang mit dem Hotelpublikum so sehr, dass sie am liebsten im Restaurantservice arbeiten würde, weil sie dort im direkten Kontakt mit anderen Menschen sein kann.
„Vieles hat sich für mich zum Guten gewendet", sagt Agnes Kauzuu. Sport als Vehikel, um mit weiterer Unterstützung starke Persönlichkeiten aufzubauen, dazu eine solide Ausbildung über ein Stipendium: Diese Mischung hat den beiden Mädchen den Weg in eine erfolgreiche Zukunft geebnet.