Von den hiesigen Medien noch weitgehend unbeachtet, ist in jüngster Zeit ein neuer Stern am Model-Himmel aufgegangen. Ein willkommener Anlass, die Argentinierin Mica Arganaraz, den neuen Idealtypus des Tomboys, mal genauer vorzustellen.
Zugegeben, mir ist sie durch die Lappen gegangen. Aber unsere aufmerksame Ressort-Chefin Mode hat mich auf die Lady aufmerksam gemacht, die innerhalb kürzester Zeit kometenhaft in die Riege der absoluten Top-Models aufgestiegen ist und längst auf dem Catwalk, bei Werbekampagnen der Luxus-Labels oder als Covergirl mindestens genauso gefragt ist wie ihre erfolgreichen Kolleginnen Cara Delevigne oder Karlie Kloss, an denen man sich so langsam sattgesehen hat. Einen ganz entscheidenden Anteil an ihrem fulminanten internationalen Durchbruch dürfte die ewige Suche der Fashion-Welt nach immer neuen Models mit dem gewissen It-Faktor gehabt haben, sprich nach jungen Frauen, die über etwas ganz Besonderes, über ein Alleinstellungsmerkmal, verfügen.
Bei Cara waren es beispielsweise die prägnanten, buschigen Augenbrauen, bei Karlie der grazile Körper, ihre Bob-Frisur und die schmalen Lippen. Und bei der 26-jährigen Mica Arganaraz, um die es hier geht, ist es neben den großen, dunkelbraunen Augen und den vollen, immer leicht geöffneten Lippen ganz besonders ihr halblanger, verwuschelter Lockenkopf. Sie lässt ihre dunkelbraune Mähne scheinbar gänzlich undone und natürlich, als wäre sie gerade eben erst aus dem Bett gestiegen. Der ohnehin mega-angesagte Shag verleiht ihr ein Flair von Wildheit, Unangepasstheit und Rock’n’Roll. Das hat ihr auch unter Streetstyle-Fans schnell viele Bewunderer verschafft. Privat lässt sie ihr Haar, das sie angeblich schon seit ihrem 13. Lebensjahr genauso trägt, einfach fliegen und verzichtet weitgehend auf Styling-Mittelchen. Die „Vogue" nannte ihre Wuschelmähne einen „messy hybrid look", der die Haarpracht der Rocklegenden in der Fashion-Szene wiederbelebt habe und viel Ähnlichkeit mit dem Kopfputz der Punk-Legende Joey Ramone, dem Leadsänger der Kultband Ramones, aufweise. „Um ehrlich zu sein", so Arganaraz, „habe ich gar kein Lieblingsprodukt für Naturlocken. Ich mag es simpel."
Dazu passt, dass sie privat, abseits von Laufstegen und Shootings, komplett auf jegliche Glamour-Effekte verzichtet. Das dürfte auch ihr eigentliches Beauty-Erfolgsrezept sein. Denn das macht sie zur perfekten Inkarnation eines androgynen Tomboys, „boyish with a Latin touch", wie sie es selbst ausdrückt, womit sie schon in ihrer frühen Jugend die Aufmerksamkeit der Model-Scouts auf sich ziehen konnte. „Weniger ist mehr", so Arganaraz zu ihrem persönlichen Styling-Credo, „ich bevorzuge einen frischen und cleanen Look." Mica Arganaraz ist genau der Typ Frau, der in weißem T-Shirt, schwarzer Hose und Jacke, – wie sie selbst sagt unverzichtbare Basics für sie – super aussieht. Dazu vielleicht noch Doc Martens oder Chucks, als Hosen-Alternative klassische Jeans oder eine rockige Lederjacke als Ersatz für den Blazer. Den maskulin gehaltenen Mantel nicht zu vergessen. Bei der Kleiderwahl folgt sie strikt einem ihr früher mal gemachten Ratschlag: „Kleide Dich wie ein Mann, und sei trotzdem die femininste aller Frauen." Dieser besonderen Mixtur, die häufig auch noch durch Nude-Make-up oder sogar einen fast kompletten Verzicht auf Schminken unterstützt wird, konnte natürlich auch ein Karl Lagerfeld nicht widerstehen und erkor sie gleich zu seiner Muse, auch wenn sich der Modezar keineswegs das Verdienst als Entdecker der Schönheit auf die schmale Brust stecken konnte: „Mica", so Lagerfeld, „ist genau der Typ Frau, den ich mag." Denn vor dem Chanel-Chef hatte schon Miuccia Prada 2014 das enorme Potenzial der Lady erkannt und die Newcomerin, die ihr Mode-Debüt 2012 bei Christopher Kane für dessen Sommer-Kollektion 2013 gegeben hatte, zur Solo-Protagonistin ihrer Fashion-Kampagne für Herbst/Winter 2014 gemacht. Arganaraz, die von manchen Szene-Kennern als perfekte Mischung zwischen der Dänin Freja Beha Erichsen und der jungen Kate Moss bezeichnet wird, war damit gleich zum Karrierestart bei Prada in die Fußstapfen des legendären russischen Top-Models Sasha Piwowarowa, deren Markenzeichen blonde Haare, strahlend hellblaue Augen, ein zartes Puppengesicht und ein filigraner Körperbau sind, getreten, der die Mailänder Mode-Göttin zuletzt vor knapp einem Jahrzehnt diese Ehre hatte zuteilwerden lassen.
Der Startschuss fiel bei Prada
Arganaraz: „Das Kampagnen-Shooting für Prada war einer meiner bedeutendsten Model-Momente, wenn ich daran denke, muss ich lächeln." Es war gewissermaßen der
Startschuss für den unaufhaltsamen Aufstieg des Jungmodels, dessen eigenwilliger persönlicher Look bei den diversen Engagements, egal ob vor der Kamera oder vor den Augen der Fashion-Crowd, seitdem stets kaum oder möglichst wenig verändert wird. „Das Model der Stunde", so die „Vogue", „verkörpert wilden Rock’n‘Roll und einen Funken Zartheit auf den Laufstegen." Zudem ist sie laut „Vogue" genau die Art von coolem Girl, mit dem man/frau gern befreundet wäre, um mit ihr um die Häuser zu ziehen. Sie drängt sich nie in den Vordergrund, schon gar nicht durch den Einsatz von sexy Kleidern oder High Heels, sondern kann ganz selbstbewusst auch mal in der zweiten Reihe verharren. So gut wie nie sucht sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Glamour- oder Celebrity-Events, sondern bleibt lieber privat. Das gilt auch für ihren Umgang und ihre Präsenz mit und in den sozialen Medien. Zwar unterhält sie selbstverständlich einen Instagram-Account, aber viel mehr als neue Kampagnen- oder Jobfotos sind darauf nicht zu sehen. Ihr Privatleben hält sie komplett unter Verschluss: „I try to keep the special things to myself (Ich versuche, die besonderen Dinge für mich zu behalten)." Dass viele ihrer Kolleginnen das ganz anders handhaben, hat sie zur Kenntnis genommen, aber für sich entschieden, dass sie bei ihrer Linie bleiben möchte.
Wer ist nun diese Frau, wo kommt sie her, welchen gesellschaftlichen Hintergrund hat sie? Geboren wurde sie am 16. Mai 1992 in Buenos Aires. Aufwachsen sollte sie allerdings mitten in der argentinischen Pampa, fünf Autostunden von der Hauptstadt entfernt. In ihrer Kindheit und Jugend wurde sie oft wegen ihrer langen Arme und dürren Beine gehänselt und bekam von ihren Altersgenossen den wenig schmeichelhaften Beinamen „Spinne" verpasst. Auch nachdem sie schon im Alter von 14 Jahren von einem Model-Scout auf der Straße entdeckt worden war, blieb es bei ganz wenigen Aufträgen. Was sie im Rückblick nicht weiter verwunderlich findet: „Ich war zu dünn, und in Argentinien mag man lieber prallere Frauen." Als sie als Studentin der Filmwissenschaft im Alter von 19 Jahren etwas in Geldnöte kam, entschloss sie sich, einen neuen Anlauf in der Model-Welt zu wagen und schickte einige einfache Polaroid-Fotos an eine Agentur. Daraufhin wurde sie zu einem Meeting eingeladen und hatte wenig später das Glück, von Cyril Brulé, dem gerade auf Südamerika-Reise befindlichen Gründer der Modelagentur Viva, entdeckt zu werden.
Schon einige Monate später hatte sie dank der Agentur Viva, bei der sie auch heute noch unter Vertrag steht, die ersten Job-Angebote aus Europa erhalten. Schon bald konnte sie sich vor Aufträgen nicht mehr retten. „Es ging alles so schnell", so Arganaraz, „Ich habe meinen Kokon verlassen, meine Familie, mein Studentenleben aufgegeben. Ich hatte das Gefühl, das alles nicht zu verdienen, die Reisen, die Annehmlichkeiten dieses Berufs, die Aufmerksamkeit der Designer. Ich habe dieses Abenteuer als große Reise gesehen." Alle großen Namen der Fashion-Welt rissen sich um die Dienste der unkonventionellen Latina-Beauty, von Prada und Chanel über Louis Vuitton und Christian Dior bis zu Balenciaga und Isabel Marant.
In der Wintersaison 2017/2018 beispielsweise war sie auf den Catwalks von stolzen 28 Luxus-Labels zu sehen. Sie hatte aber auch keinerlei Scheu, mit Massen-Brands wie Mango oder Zalando zusammenzuarbeiten. Dazu kamen zahlreiche Engagements als Aushängeschild von umfangreichen Werbekampagnen, diesen Winter beispielsweise wieder für Prada, davor aber auch für Marken wie Chanel, Louis Vuitton, Bottega Veneta, Tom Ford, Alexander McQueen, Christian Dior oder Givenchy. Besonders geschätzt wird Mica Arganaraz von der „Vogue", weshalb sie es inzwischen schon auf das Cover fast sämtlicher Länderausgaben des renommierten Fashion-Magazins geschafft hat – von Frankreich über Russland bis zu Japan und China.
Privat gilt Ihre Liebe der Kunst
Was sie in ihrer Freizeit so treibt, welche Hobbys sie hat, darüber hat sie in gelegentlichen Interviews nur häppchenweise Auskunft gegeben. Ihre große Liebe gilt der Kunst, und zwar nicht nur in der Rolle der passiven Bewunderin, sondern auch als aktive Malerin und Zeichnerin. Eine Passion, die sie schon seit ihrer Kindheit regelmäßig hegt und pflegt. Laut eigenem Bekunden ist es nicht auszuschließen, dass sie nach Ende ihrer Modelkarriere mal den Berufsweg der Künstlerin einschlagen wird. Auch die Musik hat es ihr zeitlebens angetan. Sie spielt selbst Gitarre und lässt sich bei ihrem persönlichen Musikgeschmack nicht auf ein einziges Genre festlegen. Die Songs von Bob Dylan zählen ebenso zu ihren Favoriten wie Jazz-Stücke oder psychedelisch angehauchte Lieder aus Peru.
Frisches Wasser deklariert sie als persönliches Hilfsmittel für Schönheit und Hautpflege. Rote Lippen sind für das abendliche Ausgehen bei ihr unerlässlich, auch auf regelmäßige Maniküre legt sie besonderen Wert. Ihr Lieblingsduft sollte auf jeden Fall einen Hauch von Jasmin aufweisen. Fit hält sie sich mit Yoga oder Schwimmen, idealerweise nach einem morgendlichen Frühstück mit knusprigen Croissants auf einer sonnenbeschienenen Terrasse. In ihrer Handtasche dürfen keinesfalls Ricola-Drops fehlen, und zwar in der Candy-Variante. Auch Zigaretten sind noch unerlässlich, auch wenn sie schon geraume Zeit versucht, sich von diesem Laster zu befreien. Als berufliches Vorbild nennt sie die US-Amerikanerin Gia Marie Carangi, die in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren das erste Supermodel überhaupt war und damit Vorläuferin späterer Supermodels wie Cindy Crawford oder Claudia Schiffer sein sollte.