Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr verlangt allen Beteiligten viel ab. Manchmal ist die Routine am schlimmsten. Dann wird Pizzaessen bei den Schweden zum echten Highlight.
Spätestens eine Woche vor dem Einsatz ist die Stimmung bei Familie J. im Münsterland ziemlich gedämpft. Schon beim Frühstück ist der damals 34-jährige Arndt besonders bemüht, versucht seiner Frau jeden Wunsch von den Augen abzulesen. „Irgendwie hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, dass ich mich doch noch mal für einen Einsatz freiwillig gemeldet habe", erzählt der Familienvater. Es war nicht nur das zusätzliche Geld, das gelockt hat. „Wenn man bei der Truppe weiterkommen will, dann darf man ein gewisses Engagement nicht missen lassen", weiß der Feldwebel a.D. aus seiner Zeit bei der Truppe. Dazu gehörte eben auch, Frau und Kind für 18 bis 20 Wochen im Jahr allein zu lassen.

Dann ist er da, der Tag, an dem es losgeht. Arndt J. steht bereits um 4 Uhr morgens geschniegelt und gebügelt vor der Haustür, ein enger Freund holt ihn ab und bringt ihn zum Militärflugplatz Köln/Wahn. „Meiner Frau wollte ich das damals nicht zum dritten Mal zumuten, die Tage vor dem Abflug waren für uns beide schon bedrückend genug." In der Abflughalle ist die Stimmung dementsprechend. 124 Mann, denen es ähnlich geht, sitzen dort zusammen und warten auf den Abflug ins Ungewisse. Darunter sind auch acht Frauen. Kaum einer unterhält sich. Im Übrigen gibt es jetzt auch kein großes Interesse an den anderen, in den kommenden vier Monaten wird man sich noch oft genug gegenseitig auf die Nerven gehen. „Das ist für mich die schlimmste Seite bei den Auslandsätzen, dass man dort nie wirklich allein sein kann, immer ist irgendjemand um dich herum", erzählt Arndt. „Ich habe echt gedacht, ich bin ein geselliger Mensch, aber ich brauche tatsächlich auch mal zwei, drei Stunden am Tag meine Ruhe, muss mal für mich allein sein."
Im deutschen Feldlager Camp Marmal bei Masar-e Scharif wohnten bis zu vier Soldaten in einem Container. Über vier Monate lang. Und dabei geht es den deutschen Soldaten noch richtig gut. Bei der US-Armee übernachten bis zu 30 Soldaten in einem großen Zelt auf quietschenden Feldbetten, Pfadfinderromantik im Wüstensand. „Da ist die Bundeswehr schon sehr bemüht, es nicht ganz so spartanisch zugehen zu lassen." Das ist nicht weiter verwunderlich. Die US-Armee muss sich um den Nachwuchs keine Sorgen machen, die Bundeswehr muss dagegen um jeden Rekruten kämpfen.
In den vergangenen Jahren waren die deutschen Soldaten meist zu zweit in einem Container untergebracht. „Ich habe mich dann mit meinem Stubengenossen abgesprochen, dass jeder von uns mal für zwei Stunden allein in der Bude ist." Das ist schon sinnvoll, wenn man mit seiner Frau in Ruhe telefonieren will. „Da musste mein Kamerad ja nicht alle Ehekrisen live und in Farbe mitbekommen", erzählt Arndt und wird nachdenklich. „Immer bildest du dir ein, das da noch jemand anderes ist. Wenn der Kleine nachher im Bett ist, sitzt sie doch nicht den ganzen Abend allein zu Hause rum." Ein Gefühl, das vermutlich alle Soldatinnen und Soldaten im Feldlager mit sich rumschleppen.
„Wochenende – aber wofür eigentlich?"
Der Dienst tut dann noch ein Übriges. Raus ins Land ging es in den vergangenen Jahren immer weniger, die meisten Aufgaben mussten im Feldlager erledigt werden. Obendrein verschärfte sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer mehr. „Bei meinem ersten Einsatz 2007 konnten wir noch samstags mit der Taxe nach Masar-e Scharif fahren, um einfach mal was anderes zu sehen." Zwei Jahre später ging das nur noch bedingt. Und 2014 war es überhaupt nicht mehr möglich. „Je näher der Freitagnachmittag rückte, desto blöder wurde die Stimmung in unserem Haufen. Wochenende, aber wofür? Du kannst ja auch nicht den ganzen Tag mit Sport zubringen." Schließlich wird man genügsam.
Im deutschen Teil des Lagers gibt es den „Marketender", wo man Dinge des täglichen Bedarfs kaufen kann und das Postamt. „Eine echte Abwechslung war da dann der PX-Supermarkt bei den Amis. Der hat zwar beinahe die identischen Waren, aber mit Dollarpreisschildern." Dazu gibt es original US-Barbecue und die einmalige Eiscreme. Nach spätestens vier Wochenenden hat man das dann auch über, es blieb noch die Pizzeria im schwedischen Teil von Camp Marmal, die von einem Österreicher betrieben wurde. „Die triefte zwar vor Fett und hatte auch vom Belag her nur wenig gemein mit einer Pizza, aber es war mal was anderes", lacht Arndt heute noch herzhaft über sein absolutes Samstag-Highlight.
So ziehen die Tage und Wochen in einem Einsatz an den Soldaten vorüber. Ausnahmen bildeten da nur die Fahrten ins Land, was immer mit riesigen Vorbereitungen verbunden war. Um einen Container als zusätzlichen Schulraum in einem Dorf abzuliefern, war die Stabsstelle einen ganzen Tag lang beschäftigt – alleine nur um rauszubekommen, ob die 75 Kilometer Wegstrecke halbwegs sicher sind. „Wenn du dann vor Ort den Container ablieferst und in die Kinderaugen schaust, ist das schon ein tolles Gefühl. Von diesen Abenteuern zehrt man dann in den Gesprächen mit den Kameraden noch über Tage", erzählt Arndt. „Endlich mal was Sinnvolles für die Menschen getan zu haben, ist ein unglaubliches Gefühl."
Das ist spätestens bei der Ankunft von Arndt J. zurück in Deutschland morgens um 2 Uhr wieder verflogen. Seine Frau kann ihn zu dieser nachtschlafenden Zeit nicht abholen, schon wegen dem Kleinen. „Das finde ich am schlimmsten, wie hier mit uns umgesprungen wird. Die US-Army fliegt ihre Leute immer so zurück, dass sie vernünftig empfangen werden können, das ist da ein Volksfest. Wir landen hier generell mitten in der Nacht, damit wirklich niemand mitbekommt, dass wir wieder da sind".