Anja Zeidler (25) aus Luzern machte schon früh Karriere als Fitness-Model. Heute nutzt sie ihre Onlineplattformen, um positive Botschaften zu vermitteln. Im Interview spricht sie über ihre Brust-OPs, perfekte Instagram-Profile und den Weg zurück zu ihrem natürlichen Ich.
Frau Zeidler, Sie sammelten bereits in Ihrer Kindheit und Jugend erste Model-Erfahrungen. Wie kam es dazu?
Schon als Kind bewunderte ich meine Idole auf Postern aus meinen Lieblings-Teeniezeitschriften. Damals dachte ich mir: „Ich will auch eines Tages so schön und so glücklich sein und von allen bewundert werden!" Meinen allerersten Modeljob hatte ich im Alter von zehn Jahren für Voegele. Das Schweizer Modehaus veranstaltete eine Modenschau in einem Shoppingcenter in meiner Heimatstadt Luzern.
Ein paar Jahre später avancierten Sie zu einem gefragten Fitness-Model, das viele Magazin-Cover zierte und Werbeaufträge hatte. Wie sah Ihr Leben damals aus?
Ich habe jede Chance genutzt und geschätzt und war mit vollem Elan dabei, mir meinen Kindheitstraum zu erfüllen. Ich bin für Shootings um die halbe Welt gereist, was sehr aufregend war. Gleichzeitig war ich aber oft alleine unterwegs und bekam nur noch am Rande mit, was meine Freunde zu Hause trieben. Das ist der Preis, der es mir damals wert war zu bezahlen.
Ich habe noch heute jedes einzelne Magazin, in dem ich je abgebildet war, zu Hause. Ich bin stolz darauf. Jedoch erinnere ich mich auch noch genau, was ich tun musste, um dies zu erreichen: ständiges Diäthalten, was zu Essstörungen führte, und auch das eiserne Trainieren wandelte sich bald in eine Sportsucht um.

Ich habe damals jede Kalorie, die ich zu mir genommen habe, gezählt. Wenn ich einst nicht um ein Familienessen herumkam, zum Beispiel an Weihnachten, bin ich vor und nach dem Essen ins Fitnessstudio gefahren, um das Gegessene wieder abzutrainieren. Nicht selten habe ich Gegessenes auch wieder erbrochen, aus Angst, ich könnte zunehmen und somit alles verlieren, was ich mir so hart aufgebaut habe.
Für jedes Shooting oder jeden Auftritt, zum Beispiel die alljährliche Fibo in Köln, hielt ich eine radikale Diät. Nur noch Eiweiß, kein Gramm Kohlenhydrate und ausschließlich grünes Gemüse. Zusätzlich habe ich versucht meinen Körper zu entwässern. Nur um vermeintlich perfekt auszusehen. Ich erinnere mich, dass es mich manchmal in diesen Vorbereitungen überkam und ich einen Fressanfall hatte. Ich konnte innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Kalorien aufnehmen. Ein ganzes Glas Nutella, ein ganzes Brot, zwei bis drei Schüsseln Cornflakes mit Milch, eine Tafel Schokolade, Chips und so weiter. Manchmal habe ich danach gebrochen, manchmal ging ich danach schlafen und folterte mich am nächsten Tag mit Extratraining.
Ja, hinter den Kulissen war es alles andere als glamourös. Es war traurig. Furchtbar kontrolliert, einsam und krankhaft.
Woher kam der Druck, immer perfekt trainiert und gestylt zu sein?
Druck macht man sich bekanntlich immer selbst. Ich will daher niemanden außer mich selbst dafür verantwortlich machen. Ich hätte mich von all den perfekten Instagram-Models und Modemagazinen nicht unter Druck setzen lassen dürfen. Ein zusätzlicher Druck waren auch meine Follower auf Instagram. Früher positionierte ich mich ausschließlich im Fitnessbereich, dementsprechend waren auch meine Follower damals orientiert. Sie bemerkten jedes Gramm mehr oder weniger an mir. Oft las ich: „Oh, du hast abgenommen!", obwohl der Winkel für die Aufnahme nur etwas anders gewählt war. Genauso auch: „Bist du wieder in der Massenphase?", wenn sie der Meinung waren, ich hätte etwas zugelegt. Davon habe ich mich wahnsinnig unter Druck setzen lassen, obwohl ich wusste, dass Fotos täuschen können. Was mir damals nicht bewusst war, ist, dass ich mich auch von meinen damaligen Vorbildern habe täuschen lassen. „Wie kann man nur immer so perfekt aussehen?" „Das muss ich auch!" Ich habe damals nicht verstanden, dass Menschen auf Instagram nur ihre Highlights posten und niemand sich zum Beispiel ungeschminkt zeigt.
Haben Sie mit Ihrem Äußeren damals nur Menschen angezogen, die auf das Äußerliche fixiert und sonst nicht an Ihnen interessiert waren oder hatten Sie auch echte Freunde?
Von meinem einstigen herzlichen Umfeld, von dem ich die meisten Menschen seit meiner Kindheit kannte, distanzierte ich mich bewusst. Ich war der Annahme, dass sie mein Tun nicht verstehen wollen und mir meine Träume, als Fitnessmodel durchzustarten, ausreden wollten. Also umgab ich mich mit Leuten, die mir gleichgesinnt waren.
Auf Social Media hatte ich früher ganz klar viele Follower, die mich nur wegen meines „perfekten" Körpers verfolgten. Sie himmelten mein Aussehen an und wollten Trainings- und Ernährungstipps von mir. Als ich mich dann Jahre später dazu entschieden habe, wieder ein normales Essverhalten und einen gesunden Bezug zu Sport zu finden, sind einige von ihnen abgesprungen. Auch das Entfernen meiner Brustimplantate sorgte bei vielen für Kopfschütteln. „Wieso nimmst du die Implantate raus? Die Proportionen haben dir super gestanden!" Glücklicherweise aber habe ich auch sehr viele neue Menschen, größtenteils Frauen, mit meiner Verwandlung zurück zu meinem natürlichen Ich ansprechen können. Mich erreichten unglaublich viele Kommentare, Nachrichten, E-Mails und sogar Briefe, in denen mir die Frauen dankten. Sie sagten, ich ermutige sie damit, nicht perfekt sein zu müssen und gebe ihnen in dieser surrealen Instagram-Welt, wo es von perfekten Körpern nur so wimmelt, ein positives Gefühl und ermutige zu mehr Selbstakzeptanz.
Warum hatten Sie sich in jungen Jahren für eine Brustvergrößerung entschieden?

Der Wunsch nach dem perfekten Körper hat schon früh angefangen, bereits in den Teenagerzeiten. Mein Zimmer war tapeziert mit Postern von Britney Spears und Christina Aguilera. Später kam Social Media dazu, was alles noch schlimmer machte. So viel ich auch „scrollte", überall sah ich perfekte Proportionen. Ich habe bereits alles für meinen Körper getan, was mit Ernährung und Training möglich war. Mein Körperfettanteil war tief und somit wurde auch meine Oberweite kleiner. Ich wollte das Unmögliche, was ich tagtäglich auf Social Media sah: einen flachen Bauch, kein Gramm Fett, einen trainierten Po, aber trotzdem große Brüste, langes, volles Haar und endlos lange Wimpern.
Ich war damals in Los Angeles, umgeben von Fitnessmodels. Ich war durch mein verzerrtes Wahrnehmungsbild von mir selbst der Annahme, dass ich erst dann gut genug bin, wenn ich mich einer Brustvergrößerung unterziehe.
Ist der Eingriff wirklich so unkompliziert und schmerzfrei, wie es immer dargestellt wird? Man könnte manchmal den Eindruck bekommen, es handele sich dabei um einen Friseurbesuch …
Danke, dass sie die Frage so stellen. So beschreibe ich es nämlich auch immer: Junge Mädchen lassen sich operieren, als handle es sich um einen Haarschnitt! Eine Brustvergrößerung ist heutzutage traurigerweise ein Routineeingriff, vor allem bei jungen Frauen, das mag sein. Jedoch ist jede Operation mit Risiken verbunden. Ich musste Antibiotika nehmen, welche mich lahmlegten. Zudem war ich von der Vollnarkose geschwächt und erst nach vier Tagen wieder in der Lage, aus dem Bett aufzustehen. Durch die Antibiotika habe ich mich erkältet und musste ständig husten, was sehr schmerzhaft war, da mein ganzer Brustkorb dabei vibriert hat. Bei einer Brustvergrößerung wird in den meisten Fällen der Brustmuskel aufgeschnitten, so auch bei mir. Es war schmerzhaft, ich konnte lange keine Einkaufstasche tragen, geschweige denn alleine den Kühlschrank öffnen. Haare waschen ging auch nicht, das musste ich immer beim Friseur machen lassen. Es war es mir damals wert, all diese Schmerzen auf mich zu nehmen, nur für die Schönheit. Oder sollte ich besser sagen: Ich hatte absolut keinen Selbstwert? Traurig …
Sie ließen sich damals auch die Lippen aufspritzen, hatten Extensions, künstliche Wimpern und Fingernägel. Wie ist Ihr damaliges Schönheitsideal entstanden?
Schönheitsideale sind überall. In Zeitschriften, im TV oder eben auch auf Social Media. Ich orientierte mich an surrealen Idealen und empfand meine Natur als ungenügend. Erst heute kann ich zu mir stehen, wie ich bin, ungeschminkt, mit flacherem Po, meinen Naturlocken und meinem Wesen als Ganzes. Ich liebe mich und finde, das sollte jeder tun!
Sie nahmen damals auch Medikamente. Welche waren das, und warum haben Sie sie genommen?
Ich habe Anabolika und hungerunterdrückende Pillen geschluckt. Ich habe diese genommen, weil ich mehr Muskeln und zugleich weniger Fett wollte. Leider aber bringen Anabolika viele Nebenwirkungen mit sich, unter welchen ich gelitten habe. Der Absprung war alles andere als einfach. Es ist eine Sucht. Nicht unbedingt eine körperliche, aber eine psychische Sucht, die ich mir erst mal eingestehen musste.
Die Brustimplantate haben Sie schließlich rausnehmen lassen. Was hat Sie daran gestört?
Im April 2015 habe ich beschlossen, mit Bodybuilding endgültig aufzuhören. Es folgte eine Zeit, in der ich mit Wassereinlagerungen und rasanter Gewichtszunahme zu kämpfen hatte, zurückzuführen auf den einstigen Eingriff in mein Hormonsystem. Es hat fast anderthalb Jahre gedauert, bis mein Körper langsam wieder in sein Gleichgewicht gefunden hat. Eines Tages bin ich morgens aus der Dusche gestiegen und hab mich im Spiegel betrachtet. Ich war wieder ich. Ich habe gelächelt und war glücklich, dass ich es zurück zu mir selbst geschafft habe. Jedoch waren da noch diese zwei Silikonkissen, die ich mittlerweile wie Fremdkörper empfand.
Da habe ich beschlossen, auch diese wieder entfernen zu lassen und suchte einen Arzt auf, der bereit war, diesen Schritt durchzuführen.
Was denken Sie, warum das durch Medien propagierte Schönheitsideal eine derartige Macht auf Frauen ausübt und sich laut Umfragen nur etwa vier Prozent aller Frauen schön finden?
Schönheit ist ein Geschäft! Diverse Beautyfirmen investieren Millionen von Euro/Franken in Werbespots, um uns glauben zu lassen, dass wir beispielsweise dieses Haarfärbeprodukt brauchen, um glücklich mit uns selbst zu sein und zu strahlen wie die Frau im TV. Keine einzige Werbung sagt dir: Du bist genug, so wie du bist. Aus Natürlichkeit lässt sich nicht so einfach Geld verdienen. Zudem tendieren wir Frauen leider dazu, uns ständig zu vergleichen. Unser Aussehen, unsere Beziehung, Job, Urlaub und das Leben allgemein. Wir wollen immer das, was wir nicht haben und senken unser Selbstwertgefühl somit selbst.
Sind nur Frauen betroffen, oder gibt es auch Männer-Models, die sich für ihr Schönheitsideal zugrunde richten?
Das gibt es selbstverständlich auf beiden Seiten. Auch in der Fitnessszene konnte ich das gut beobachten. Schönheitsideale und den damit verbundenen Druck gibt es genauso bei Männern.
Sie nutzen Ihr Instagram-Profil nun, um eine positive Lebenseinstellung und Selbstliebe zu transportieren. Erhalten Sie viele Nachrichten von Frauen, denen es ähnlich ging wie Ihnen?
Als ich irgendwann verstanden habe, dass ich mit meinem Instagram-Account ungesunde Ideale unterstütze, den Rattenschwanz des Schönseins weiterziehe und damit genauso andere Frauen animiere, sich selbst zu optimieren, so wie auch mir das einst passiert ist, wollte ich Instagram zuerst löschen. Dann aber kam mir eine bessere Idee.
Diese Plattform braucht mehr Realität, mehr Soul-Care, mehr Natürlichkeit und mehr Selbstliebe. Also habe ich versucht, eine Gegenbewegung zu starten und meine Reichweite für Wichtigeres als das perfekte Fitness-Selfie zu nutzen. Ich erhalte beinahe im Minutentakt Nachrichten von Frauen, die sich bei mir für meine tägliche Arbeit bedanken. Sie sagen, sie haben eine ähnliche Geschichte und können sich mit mir identifizieren. Ich schätze jede einzelne Nachricht und jeden Kommentar von Herzen. Dahinter sitzt immer ein Mensch, und es ist für mich nicht selbstverständlich. So gut ich mit den Nachrichten nachkomme, antworte ich den Frauen und versuche, sie zu ermutigen.
Wie schafft man es, sich gegen den Optimierungswahn zu immunisieren?
In dem man anfängt, sich selbst zu lieben. Selbstliebe ist Einstellungssache.
Wie ist Ihre persönliche Definition von Schönheit?
Schön ist, wer glücklich ist!
Mit welcher Intention haben Sie Ihr Buch geschrieben?
Meine Geschichte ist extrem und doch so alltäglich. Ich weiß, dass wir Frauen immer wieder mit unserem Aussehen kämpfen und es uns viel zu oft an Selbstliebe mangelt. Ich hoffe, dass mein Buch vielen Frauen Mut macht und inspiriert, nicht perfekt sein zu müssen. Ich habe außerdem sehr autobiografisch geschrieben und viel Persönliches erzählt. Damit will ich die Extreme zeigen, die ich einst gegangen bin und hoffe, dass viele anhand dessen verstehen können, dass es nie zu spät für ein „Zurück zu dir selbst" ist – ganz egal, wie weit du schon davon entfernt bist.