Wohnung gegen Hilfe für Ältere, Tauschangebote oder Programme wie „Jung kauft alt": All diese Modelle laufen in deutschen Städten und Kommunen erfolgreich, so Neubau-Kritiker Daniel Fuhrhop. Er fordert, solche Lösungen auch bundesweit anzupacken.
Herr Fuhrhop, in Deutschland herrscht Wohnungsnot. Was bedeutet …
… nun, der Begriff „Not" scheint mir eigentlich schon zu weitgehend. Wohnungsnot herrschte in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, als zwölf Millionen neue Bewohner ins Land kamen. Heute kann man vielleicht von Wohnungsmangel sprechen. Aber gleichzeitig haben viele Menschen genügend, ja sehr viel Platz.
Für die einen ist Wohnraum Mangelware, die anderen haben zu viel. Also eine neue Verteilungsfrage?
Ja, der Wohnraum müsste besser verteilt werden. In vielen Gegenden gibt es sehr viel davon, dort haben vor allem ältere Menschen oft Platz im Überfluss. Viele wohnen alleine in einem Haus oder einer großen Wohnung, wo einst eine ganze Familie wohnte. Da sind nicht nur Räume ungenutzt, sondern viele Menschen sind da auch sehr einsam und leiden darunter. Sie empfinden die ungenutzten Räume oft als Belastung.
Dann sollen sie doch umziehen!
Wenn das so einfach wäre! Es wäre auch nicht richtig. Viele Menschen wollen in ihrem Heim bleiben, und niemand will sie daraus vertreiben. Viel wichtiger wäre es, ihnen zu helfen, mit dem Platz, den sie nicht brauchen, sinnvoll umzugehen. Ein klassischer Fall ist die Einliegerwohnung im Einfamilienhaus, ein altbewährtes Modell. Aber es gibt noch viel mehr Möglichkeiten.
Nicht jeder hat eine abgetrennte Einliegerwohnung im Haus. Und eine zu bauen, ist für viele zu teuer.
Interessanter sind eigentlich die kleineren Lösungen, die mit weniger oder ganz ohne Investitionen auskommen – also die Modelle echten Zusammenlebens, wie bei einer Wohngemeinschaft. Bei einer klassischen WG leben Menschen mit ähnlichem Alter und ähnlichen Lebensformen zusammen. Es gibt aber auch ganz andere Möglichkeiten des Zusammenlebens, vor allem von Jung und Alt.
Sie meinen die klassische Untermiete?
Zimmer gegen Geld, das ist gar nicht so spannend. Eher schon Modelle wie „Wohnen für Hilfe": Tägliche Hilfe beim Einkaufen ist älteren Menschen manchmal wichtiger als Geld. Persönliche Unterstützung ist in heutiger Zeit oft ein sehr knappes Gut.
Das ist aber natürlich Vertrauenssache, wenn man in einem gemeinsamen Haushalt mit einem fremden Menschen zusammenlebt.
Das ist immer ein Wagnis, aber damit eröffnen sich auch ganz neue Lebensqualitäten, für beide Seiten. Dafür braucht es Hilfe. Inzwischen gibt es 35 Vermittlungsstellen, die hier die richtigen zusammenbringen und für eine gewisse Sicherheit sorgen. Besonders erfolgreich funktioniert das in Freiburg, wo im Laufe der Zeit bereits 1.000 Zimmer gegen Hilfe vermittelt wurden. Das ist auch finanziell für die öffentliche Hand sehr interessant. Denn schon die Vermittlungen eines einzigen Jahres ersetzen quasi ein Wohnheim für 50 oder 60 Menschen. Ein Wohnheimplatz kostet 70.000 bis 100.000 Euro an Investitionen. Da geht es also um hohe Beträge.
Gibt es solche Vermittlungen überall?
Diese Stellen gibt es in ganz Deutschland, allerdings nicht in Hamburg und Berlin, wo sie vielleicht am nötigsten wären. Solche Modelle sollten aber massiv unterstützt werden, sie sind im öffentlichen Interesse. Dabei geht es um den sozialen Faktor. Die Menschen müssen ja gut zusammen passen, das ‚matching‘ muss passen.
Manchmal wäre aber doch ein Umzug in eine kleinere Wohnung das beste.
Viele ältere Menschen würden ja gerne umziehen in eine kleinere Wohnung, aber sie würden sich dabei finanziell verschlechtern, weil ältere Mietverträge oft sehr viel günstiger sind als neuere. Es gibt auch Tauschprogramme, die allerdings nicht gut funktionieren, weil immer das Einverständnis des Vermieters nötig ist und auch weil der Tausch nicht lukrativ genug ist. Wirklich effektiv wären Tauschangebote, bei denen die Quadratmeter-Miete erhalten bleibt. Eine kleinere Wohnung wird also dann natürlich günstiger. Solche Angebote gibt es in Stuttgart und in Nordrhein-Westfalen. Das sind wirklich interessante Programme, die sich jede Wohnungsbaugesellschaft einmal ansehen sollte.
Die Alternative wäre, mehr zu bauen. Das fordern ja auch alle, von Links bis Rechts. Sie nicht. Warum?
Im Schnitt haben wir ja genug Wohnraum, wir müssen ihn nur besser verteilen. Neubau verbraucht wertvolle knappe Bodenfläche und Energie, womit mehr klimaschädliches Kohlendioxid ausgestoßen wird. Die sogenannten Nullenergiehäuser verbrauchen zwar kaum noch Energie im Betrieb, dafür steckt in ihnen viel mehr Energie beim Bau. Das ökologisch Beste wäre es, Neubau komplett zu vermeiden.
Wir sollten dafür sorgen, dass Wohnraum, der leersteht, wieder genutzt wird. Ein zweites Problem neben den erwähnten zu großen Wohnungen ist die regionale Verteilung. Die Landflucht erzeugt eine gigantische Verschwendung! Jeder Neubau erzeugt Leerstand irgendwo, weil Menschen von woanders dorthin ziehen. Daher ist es ja auch absurd, dass die große Förderbank KfW bei ihren Förderprogrammen gar nicht berücksichtigt, wo ein Gebäude steht. Das sollte aber ein Förderkriterium werden. Die Frage sollte lauten: Wo ist Platz? Bauförderung sollte nicht mehr regional blind erfolgen. Wir sollten lieber in schrumpfenden Gegenden keinen Hausbau mehr fördern, denn damit wird sehenden Auges Leerstand gefördert. Hier sollte nur die Sanierung alter Gebäude gefördert werden.
Die Menschen ziehen eben weg, sie sind dabei kaum aufzuhalten. Was kann der Staat da machen?
Es gibt interessante Projekte wie „Jung kauft Alt": Junge Familien erhalten Unterstützung beim Kauf eines älteren Hauses. Es gibt solche Programme in 50 Städten, alle sind auf Initiative der Kommunen entstanden, von unten, nicht von oben. Generell sollte der Fokus auf Sanierung, nicht Neubau liegen. Es gibt so viele gute Ansätze und Ideen. Oft mangelt es dafür am Informationsfluss.
Also besser viele kleine Lösungen, als eine große?
Nötig sind große Lösungen schon, weil die Herausforderungen auch so groß sind: Wohnungsmangel in den Großstädten, Bauwut, Flächenfraß, Landflucht und Leerstand. Die Kommunen sind damit überfordert. Das sollte daher schon auch bundesweit angepackt werden.