Ein Viertel aller Wohnungen in Deutschland befindet sich im Besitz von Eigentümergemeinschaften (WEG). Das von 1951 stammende WEG-Gesetz wird nun reformiert. Zwei Tendenzen zeichnen sich ab: Beschlüsse der Eigentümerversammlung werden leichter, und die Position des Verwalters wird gestärkt.
In einer Wohnanlage soll eine elektrische Ladestation für E-Autos eingerichtet werden. Abgelehnt! Oder der altersgerechte Umbau einer Kellertür: Eine ältere Dame, die auf einen Rollator angewiesen ist, beantragt einen automatischen Türöffner einzubauen, weil sie die schwere Eisentür nicht öffnen kann. Auch abgelehnt! Bei den Eigentümern im Erdgeschoss wurde bereits zweimal eingebrochen – es fehlt ein wirksamer Diebstahlschutz. Doch der ist teuer: abschließbare Fenster, Stahlrollläden, die gegen Hochschieben geschützt sind, womöglich noch eine Alarmanlage. Der Verwalter setzt den Punkt auf die Tagesordnung, doch in der Versammlung der Wohnungseigentümer kommt keine Mehrheit zusammen, weil sich die meisten enthalten, um Konflikten aus dem Weg zu gehen.
Wenn in einem Mehrfamilienhaus mehrere Parteien als Wohnungseigentümer leben, gibt es oft Konflikte, und Entscheidungen sind schwierig zu treffen. Sie können von Minderheiten oder Einzelnen blockiert werden. Geht es nach einer nun geplanten Novelle des Wohnungseigentümergesetzes, soll es so etwas nicht mehr geben. Die Herstellung von Barrierefreiheit, die Schaffung von Lademöglichkeiten für elektrisch betriebene Fahrzeuge und Maßnahmen des Einbruchschutzes sind künftig aus gesellschaftspolitischen Gründen „privilegiert". Das bedeutet: Schon ein Wohnungseigentümer soll eine solche Maßnahme erzwingen können.
Soziales Biotop mit besonderem Reizklima
Widerspruch ist nur dann möglich, wenn die ganze Anlage grundlegend umgestaltet werden soll oder wenn ein Eigentümer besonders stark belastet werden. Das ist nur ein Punkt bei der Reform eines in die Jahre gekommenen Gesetzes, für das jetzt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe etliche neue Vorschläge erarbeitet hat. Noch liegt nur der Bericht dieser Arbeitsgruppe vor. Erst, wenn daraus ein Referentenentwurf wird, kann das Gesetz von den Fraktionen beraten, ergänzt, umformuliert und in den Bundestag eingebracht werden. Es wird erwartet, dass dies noch mindestens bis Mitte 2020 dauern wird.
Es ist aber auch höchste Zeit, dass sich auf dem Gebiet etwas tut. Denn die Zusammensetzung der Eigentümer hat sich seit 1951, als das Gesetz in Kraft trat, grundlegend verändert. Damals ging es um überschaubare WEG-Größen, die Eigentümer wohnten meist in Neubauten, nutzten die Wohnungen selbst, statt sie zu vermieten, und waren im Schnitt jünger als die Eigentümer heute. Heute sind WEGs mit über 50 Mitgliedern keine Seltenheit, die Wohnungen sind viel größer (im Schnitt 90 Quadratmeter), je nach Herkunft, Alter und Nutzungsform gehen die Interessen auseinander. Zudem sind die Anforderungen an die Verwaltung deutlich gestiegen. So sind im Laufe der Jahre viele Regelungslücken und Schieflagen entstanden. Dabei ist das keine kleine Gruppe, die von dem Gesetz betroffen ist: WEGs besitzen über neun Millionen Wohnungen – fast 25 Prozent aller Wohnungen in Deutschland.
Nicht selten ist so eine Eigentümergemeinschaft ein soziales Biotop, in dem ein besonderes Reizklima herrscht. Ob Studienrat, leitende Angestellte, Facharbeiter oder junge Oberärztin – man lebt in der eigenen Wohnung, aber nicht im eigenen Haus: Strom, Gas, Wasser, Wärme werden gemeinsam genutzt, so ein Haus muss vom Keller bis zum Dach gepflegt und instandgehalten werden, und für die Gestaltung der Außenanlagen braucht es ein gemeinsames Konzept. Stoff für jede Menge Zwist: Muss das Hausgeld so hoch sein? Brauchen wir einen Zaun im Garten? Wirtschaftet der Verwalter nicht in seine eigene Tasche? Muss das sein, dass so viel Wasser zum Gießen des Vorgartens verwendet wird? Wer lässt im Treppenhaus immer das Licht brennen?
Es gibt WEGs, die nur noch schriftlich miteinander verkehren. Die Zahl der WEG-Verfahren vor den Amtsgerichten belief sich 2004 auf 20.402 Verfahren, im Jahr 2012 waren sie auf 28.131, also um 38 Prozent, gestiegen. Hinzu kommt, dass jede relevante bauliche Maßnahme eine hohe Zustimmungsquote voraussetzt: Mindestens drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer und mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile, die je nach Größe der Wohnung vergeben werden, müssen zusammenkommen – eine Tendenz, die der Bericht „veränderungsfeindlich" nennt.
Da soll das neue Gesetz Abhilfe schaffen. Künftig soll die Versammlung der Wohnungseigentümer unabhängig von der Anzahl der erschienenen oder vertretenen Wohnungseigentümer beschlussfähig sein. Die Absenkung des Quorums ist nicht unumstritten, gerade wenn es um Beschlüsse geht, die erhebliche Kosten für alle nach sich ziehen. Jedenfalls sollte den Eigentümern schon bei der Einladung zu der Versammlung klar sein, dass sie bei Nichterscheinen einfach überstimmt werden können.
In diesem Zusammenhang hat der Bericht noch einen neuen Begriff eingeführt, neben den „privilegierten" Maßnahmen (auf die es einen Anspruch gibt) soll es auch „objektiv vernünftige Maßnahmen" geben. Etwas unbestimmt heißt es im Text, dass es sich damit um bauliche Veränderungen handelt, die „aus Sicht eines vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Eigentümers" sinnvoll sind. Sie können mit der einfachen Versammlungsmehrheit beschlossen werden. Angesichts des allgemein beobachteten Sanierungsstaus bei Eigentumswohnungen eine mehr als sinnvolle Regelung: 70 Prozent aller Wohnungen im WEG-Besitz sind unsaniert, schreibt das Baufachblatt „Baulink", das sind 15 Prozent mehr als der Durchschnitt. Die Grünen würden nach Aussage ihres wohnungsbaupolitischen Sprechers, Christian Kühn, in das Gesetz am liebsten einen CO2-Sanierungsfahrplan hineinschreiben. Man darf gespannt sein, ob das Klimapaket der Bundesregierung, das die Gebäudesanierung so groß schreibt, hier Eindruck hinterlässt.
Unter den Verwaltern tummeln sich auch etliche Schlitzohren
Und schließlich geht es auch um die Verwalter. In WEG-Kreisen haben sie ein Image, das mit dem eines Gebrauchtwagenhändlers vergleichbar ist. Da in Deutschland prinzipiell jeder Verwalter von Wohnungseigentum werden kann, egal, was er vorher beruflich gemacht oder welche Ausbildung er absolviert hat, ist es nicht verwunderlich, dass sich auf dem Feld auch etliche Schlitzohren tummeln. Nicht selten werden Verwalter vom Bauträger eingesetzt und arbeiten dessen Firmen zu. Oder sie beschließen etwas eigenmächtig.
Das Gesetz soll zwar einerseits vorsehen, dass Verwalter in eigener Verantwortung über Maßnahmen entscheiden können sollen, bei denen die Einberufung einer Versammlung nicht erforderlich oder nicht geboten erscheint. Aber die Wohnungseigentümer sollen seine Befugnisse auch beschränken können. Dazu gehört, dass der Verwalter verpflichtet ist, seine Tätigkeit gegenüber der WEG-Versammlung transparent zu machen. Und die WEG soll ihn leichter wieder loswerden können – auch das war bisher oft ein Problem, weil die abgewählten Verwalter vor Gericht zogen und sich einklagten.
Im Gegenzug, so der Bericht, braucht der Verwalter künftig einen „Sachkundenachweis". In welcher Form er zu erbringen ist, welche Ausbildung dahinter steht – darüber schweigt er sich allerdings aus. Das wird im Gesetzgebungsverfahren sicherlich noch intensiv diskutiert werden.
Im Grunde ist es immer das alte Lied: Wo Menschen zusammenleben, gibt es Krach und Zwietracht. Schon immer haben sie sich Regeln gegeben, die ein friedliches Miteinander ermöglichen sollten. Dabei hat sich herausgestellt, dass es nicht auf mehr Regeln und Gesetze ankommt, sondern auf Menschen, die von sich aus denkfähig sind und verantwortlich handeln. Deswegen wird ein neues Wohnungseigentümergesetz auch nicht alle Probleme aus der Welt schaffen. Aber vielleicht mehr Wohnungseigentümer ermutigen, sich besser umeinander zu kümmern.