Südkorea gilt als das am besten vernetzte Land der Welt, nirgendwo ist das Internet schneller. Die Asiaten haben als erstes Land weltweit ein flächendeckendes 5G-Netz eingeführt. Bislang bleiben die Neuerungen jedoch auf technische Spielereien beschränkt.
Wer einen Blick in die Zukunft des mobilen Internets erhaschen will, muss sich nach Suwon begeben, einer Satellitenstadt rund eine Autostunde südlich von Seoul. Zwischen grauen Appartmentblocks befindet sich hier das weltweit erste „5G Baseball-Stadion". Hinter dem marketingtauglichen Slogan steht Korea Telecom, zweitgrößter Telekommunikationsanbieter des Landes und Sponsor des örtlichen Baseball-Teams KT Wiz.
Wie die neueste Technologie des mobilen Internets das Zuschauererlebnis verändert, wird in Suwon allwöchentlich demonstriert: Riesige LED-Displays versorgen die Besucher des 5G-Stadions mit Informationen in Echtzeit, etwa die durch Bewegungskameras gemessene Geschwindigkeit sowie Rotationswinkel, mit dem der Pitcher den Ball wirft. Sobald die im Stadion integrierten Sensoren erhöhte Feinstaubwerte messen, sprühen Wassersprenger automatisch künstlichen Regen in die verschmutzte Luft. Und wer auf den Rängen während des Spiels Appetit bekommt, kann sich per Klick auf dem Handydisplay gebratenes Hähnchen liefern lassen – direkt an den Sitzplatz.
Zwei Millionen Abonnenten
Für die wohl einzige, wirkliche Neuerung muss der südkoreanische Baseball-Fan jedoch nicht das Stadion besuchen: Per Smartphone-App kann er das Spiel live auf seinem Display in einem 360-Grad-Panorama anschauen. Der Nutzer kann also in Echtzeit den Kamerawinkel auf seinem Bildschirm steuern. Anfang April hat Südkorea als erstes Land der Welt ein flächendeckendes 5G-Netz eingeführt. Dabei handelt es sich um die neueste Generation des mobilen Internets. Von der Telekommunikationsbranche wird die Technik als „Lichtsprung" in Sachen Geschwindigkeit und Konnektivität bejubelt. 5G verspricht, hundertmal schneller als das bisherige LTE zu werden. Bislang schöpfen die bestehenden Systeme die Fähigkeiten der Technologie nur zu einem Fünftel aus.
Bereits im ersten Halbjahr haben Südkoreas Telekommunikationsanbieter bereits mehr als zwei Millionen 5G-Abonnenten gewinnen können, bis Ende Dezember soll die Nutzerzahl für die neue Generation des mobilen Internets auf fünf Millionen steigen – also rund zehn Prozent der südkoreanischen Bevölkerung. Die statistischen Daten sind umso beeindruckender, als dass bei der 5G-Einführung lediglich das etwas über 1.000 Euro teure Samsung Galaxy S10 mit der Technologie kompatibel war.
Damals sprach Südkoreas Präsident Moon Jae-in von den ambitionierten Zielen: Bis zum Jahr 2026 werde die Technologie 600.000 Arbeitsplätze im Land und Exporte im Wert von 73 Milliarden US-Dollar generieren. „Das neue 5G-basierte Wirtschaftssystem wird Möglichkeiten für unsere Jugend kreieren und für einen unternehmerischen Aufschwung sorgen", sagte Präsident Moon in einer Rede Anfang April.
Experten sehen die Pionierleistung Südkoreas im 5G-Bereich vor allem als PR-Coup. „Als Markteinführer prägt man die öffentliche Wahrnehmung. Südkorea hatte bereits bei 4G die Nase vorn. Dementsprechend wichtig war es für das Land, seinen Status als führende Hightech-Nation zu behalten", sagt Sanjeev Rana von der Investmentgruppe CLSA Korea.
Wie sich das auf Konsumenten auswirkt, demonstriert Südkoreas größter Anbieter, SK Telecom, bei der 5G-Präsentation in seiner Seouler Firmenzentrale, die wie ein überdimensionales Smartphone in die Skyline ragt. In der Lobby des Wolkenkratzers haben sich Hunderte Journalisten versammelt, um einen Blick in die digitale Zukunft zu werfen. Als Firmenchef Park Jeong Ho die Bühne betritt, ist diese als eine Art felsige Mondlandschaft gestaltet. Die Botschaft ist klar: 5G ist ein großer Schritt für die Menschheit.
Mit der von Korea Telecom entwickelten Applikation „Real 360" können 5G-Nutzer in Echtzeit ihren Blickwinkel um 360 Grad drehen. Ähnlich wie bei den Baseball-Spielen lässt sich das für sämtliche Übertragungen umsetzen – etwa bei Formel-1-Rennen: Wenn der Rennfahrer eine 360-Grad-Kamera in seinem Helm integriert hat, kann der Zuschauer auf seinem 5G-kompatiblen Smartphone bestimmen, ob er auf seinem Display auf die Strecke blicken möchte oder etwa auf die Zuschauertribünen daneben.
Eine weitere Anwendung fungiert als eine Art „virtuelles Wohnzimmer", in dem sich mit Virtual-Reality-Brillen verbundene Nutzer zu gemeinsamen Fernsehabenden treffen können. Was für europäische Ohren nach Orwellscher Dystopie klingt, könnte im technikbegeisterten Südkorea durchaus Anklang finden.
Wirklich bahnbrechend sind die 5G-Konsumentendienste jedoch bis heute nicht. Noch sehe er 5G mehr als eine technische Evolution, keine Revolution, sagt auch der Technologie-Analytiker Rana von CLSA. Doch 5G habe das Potenzial, ganze Branchen fundamental zu verändern. Dies werde in den nächsten fünf Jahren für jedermann sichtbar werden.
Beim autonomen Fahren beispielsweise werden extreme Datenmengen verarbeitet. Erst 5G werde dem fahrerlosen Auto zum Marktdurchbruch verhelfen. Ebenfalls wird die neue Generation des mobilen Internets in smarten Fabriken zunehmend Arbeitsprozesse automatisieren, indem sie Künstliche Intelligenz und Roboter einbindet.
Südkoreaner vom Technikglauben geprägt
Unweigerlich wird dies zu Jobverlusten führen, jedoch gleichzeitig neue Berufsfelder kreieren. Laut einer Studie des koreanischen KT Research Institute wird 5G bis 2035 rund eine Million neue Arbeitsplätze schaffen – eine kühne Prognose, die zu Teilen wohl der südkoreanischen Technikbegeisterung geschuldet ist.
Während in Europa neue Technologien vor allem Skepsis auslösen, ist die südkoreanische Gesellschaft von einem tief verwurzelten Technikglauben geprägt. Mit Bargeld zahlen hier nur noch die wenigsten Konsumenten, der öffentliche Nahverkehr wird längst mithilfe von Big Data in Echtzeit gesteuert, und selbst die Generation 70plus ist bestens mit Chat-Apps und Technik-Trends vertraut. Wenig überraschend wurde die Einführung von 5G nur am Rande von einem Diskurs über unerwünschte Nebenwirkungen begleitet.
Ob das noch unerforschte 5G möglicherweise gesundheitsgefährdende Mobilfunkstrahlen auslöst? Das ist in Südkorea kein Thema. Ebenso wenig wird darüber diskutiert, ob Huawei bei der Infrastruktur mitbieten darf. Tatsächlich arbeitet der Technologieriese aus China mit LG Uplus zusammen, dem drittgrößten südkoreanischen Telekommunikationsanbieter.
„Bei der Industrialisierung ist Südkorea ein Spätzünder gewesen. Das war ein Fehler, den wir teuer bezahlt haben", sagt Professor Park Jae Shin von der Kookmin-Universität in Seoul, der Anfang der 2000er als Berater des Präsidenten diente. Anfang des 20. Jahrhunderts ist das wehrlose, weil wirtschaftlich schwache Südkorea von den Japanern kolonialisiert worden.
Mit Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs am Han-Fluss in den 70er- und 80er-Jahren sei die südkoreanische Regierung daher umso entschlossener gewesen, bei technologischen Entwicklungen federführend zu agieren. Zumal Südkorea über keine natürlichen Ressourcen verfügt.
Bereits 1978 ordnete die damalige Regierung in einem ersten Fünfjahresplan die Computerisierung der Behördenabläufe per Präsidialdekret an. Nach den Vereinigten Staaten schloss Südkorea als zweites Land der Welt einen Computer ans Internet an.
Ende der 90er-Jahre erschütterte schließlich die sogenannte Asienkrise die Finanzmärkte des Landes. Quasi über Nacht verloren Hunderttausende Angestellte ihren Job. Der Staat stand damals unter immensem Druck, neue Wirtschaftsmotoren zu erschließen. Präsident Kim Dae-jung entschied sich, auf die Digitalisierung des Landes zu setzen. Bereits Ende der 90er-Jahre wurde landesweit eine Breitbandverbindung ausgebaut.
Die Investitionen haben sich bezahlt gemacht: Südkorea gilt als das am besten vernetzte Land der Welt, nirgendwo ist das Internet schneller. Mit der Einführung des ersten kommerziellen 5G-Netzes hat das Land am Han-Fluss seine Führungsposition erneut untermauert – auch wenn die neue Generation des mobilen Internets bislang kaum mehr bietet als technische Spielereien.