Noch immer leidet Deutschland unter Funklöchern. Mit 5G startet der Netzausbau nun in die nächste Runde, vermutlich vorrangig in Ballungsräumen. Doch auch auf dem Land wird das schnelle Netz wichtig werden – buchstäblich an jeder Milchkanne.
Landauf, landab 5G – von der deutschen Wirtschaft heiß ersehnt, aber bis jetzt noch Zukunftsmusik. Während in Südkorea bereits die ersten Versuche abgeschlossen sind, steckt die nächste Generation des Mobilfunks und der Datenübertragung in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Nach Vergabe der Lizenzen an Telekom, Vodafone, United Internet und Telefónica arbeiten nun die vier Telekommunikationskonzerne daran, das Netz aufzubauen. Und nicht der Staat. Dieser marktgetriebene Ausbau führt zwangsläufig dazu, dass dieser vor allem dort beginnt, wo rasch Geld verdient werden kann – also nicht auf dem Land.
In fünf deutschen Städten verfügbar
Entsprechend antwortete die Telekom exemplarisch auf FORUM-Anfrage, dass das 5G-Netz seit Anfang September bereits in fünf deutschen Städten verfügbar sei: in Berlin, Bonn, Darmstadt, Köln und München. Dort funken insgesamt 129 5G-Antennen auf den neu zugeteilten Frequenzen im Bereich von 3,6 Gigahertz. „Die Netzplanung setzt auf zusammenhängende Gebiete. Das Ziel: maximal ausgeleuchtete Bereiche", so eine Telekom-Sprecherin. Bis Ende 2019 sollen auch Hamburg und Leipzig von 5G profitieren. Insgesamt sind bis zum Jahresende rund 300 Telekom-Antennen für Deutschland geplant, bis Ende 2020 sollen mindestens 20 Städte in Deutschland angebunden werden. Für die schnelle und erfolgreiche Einführung von 5G hatte die Telekom im Herbst 2018 ein Acht-Punkte-Programm vorgelegt. Darin bietet der Konzern unter anderem eine Abdeckung mit 5G für 99 Prozent der Bevölkerung und 90 Prozent der Fläche bis zum Jahr 2025 an.
Wie realistisch dieses Versprechen ist, zeigt indizienhaft ein Rückblick: Die Telekom hat das 2G-Netz mittlerweile über ganz Deutschland gelegt, 3G weist vor allem im Osten noch riesige weiße Flächen auf, 4G/LTE insgesamt nur noch kleinere Lücken. Doch es gibt sie noch, die Funklöcher in Deutschland, egal in welchem Netz. Es werde jedoch weiter ausgebaut, sagt die Telekom, auch das „LTE/LTE advanced"-Netz. Dies sei auch ein Teil des 5G-Ausbaus, als Basis für 5G und wird integraler Bestandteil von 5G bleiben. Deshalb werde es zu Beginn „kein Stand-alone-5G geben, sondern es werden entsprechend der Standardisierungs- und Entwicklungs-Roadmap Teile der Implementierung von 5G wie zum Beispiel die Signalisierung zunächst in LTE abgebildet werden. Die Einführung von 5G ist eine Evolution", so die Telekom.
Betrachtet man Schätzungen für das Jahr 2022, soll bis dahin jeder zehnte bayrische, aber nur jeder hundertste saarländische Haushalt vernetzt sein. In Berlin und Bremen werden laut Schätzung gerade einmal 0,4 Prozent der Haushalte mit 5G versorgt sein. Der Flaschenhals des Ausbaus: die Infrastruktur. In Deutschland wären für einen flächendeckenden Ausbau auf 5G-Technologie über 200.000 Mobilfunkstandorte erforderlich – zurzeit gibt es allerdings nur circa 75.000. Laut Telefónica sei eine 99-prozentige Versorgung bis 2025 faktisch nicht möglich. Diese bedürfe Investitionen in Höhe von etwa 76 Milliarden Euro pro Mobilfunkbetreiber. Doch nicht nur die Kosten sind hoch; auch der Energiebedarf für 5G soll steigen, um etwa das Dreifache des aktuellen Bedarfs für LTE, schätzt der chinesische Betreiber China Mobile.
Und dennoch wartet die Wirtschaft, vor allem auf dem Land, auf die neue Technologie. Beispiel Sachsen. Dort wurde in diesem Jahr ein Testfeld für den Einsatz des neuen Datenübertragungsstandards für die Landwirtschaft eingeweiht, das bis auf eine Größe von 2.000 Quadratkilometern ausgebaut werden soll – das erste seiner Art in dieser Größe in ganz Europa.
„Völlig neue Perspektiven"
Aber warum brauchen wir 5G ausgerechnet an jeder Milchkanne, wie einst Bundesforschungsministern Anja Karliczek sagte? „Es geht nicht darum, ‚5G an jeder Milchkanne‘ zu haben", sagt Frank Meyer vom sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, und fügt etwas sarkastisch hinzu: „Mittlerweile sind Milchkannen in der modernen Landwirtschaft nahezu ungebräuchlich. Ziel ist allerdings sehr wohl, den 5G-Standard auch außerhalb der Ballungsräume dort verfügbar zu machen, wo diese Technologie benötigt wird." Die 5G-Technologie ermöglicht Kommunikation und Datenverarbeitung in Echtzeit in bisher ungekanntem Ausmaß. Sie werde es erlauben, Erkrankungen bei Tieren viel früher zu erkennen, als das bisher der Fall war. „Das wird dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu reduzieren." Weitere Anwendungen sind der gezielte Einsatz von Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln exakt auf den Bedarf jeder einzelnen Pflanze abgestimmt, der unmittelbar zuvor mit moderner Technik ermittelt wurde. „Dies alles dient nicht nur der Ertragssteigerung, sondern trägt auch wesentlich zum Tierwohl und zum Umweltschutz bei", sagt Frank Meyer.
„In der Entwicklung von mobilen Arbeitsmaschinen ist die Automatisierung von Maschinen und Verfahren der wichtigste Entwicklungstrend. Dabei eröffnen uns die Technologien der Digitalisierung in der Landwirtschaft völlig neue Perspektiven, um für den scheinbar unvermeidlichen Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit akzeptable Lösungen zu finden und gleichzeitig eine Erhöhung der Wertschöpfung zu realisieren", so Prof. Thomas Herlitzius, Inhaber der Professur für Agrarsystemtechnik an der TU Dresden. Technologie könne sehr wohl einen positiven Einfluss auf das Tierwohl haben. Zum Beispiel Innovationen wie das „Cow Body Scan"-System, das den Körper von Kühen vermisst, um motorische Störungen und damit Fehlgeburten zu vermeiden; oder das sogenannte Precision Farming, das auf Grundlage von Daten über Bodennutzung und Ertragsfähigkeit die Landwirtschaft effektiver, ökonomischer und ökologischer machen könnte, so die Hoffnung der Forscher.
„Ziel unseres Experimentierfeldes ist es vor allem, künftige Anwendungen auf ihre Anforderungen hinsichtlich ihres Bedarfs an Kommunikationstechnologie zu untersuchen", erklärt Frank Meyer vom Landwirtschaftsministerium. „Die Ergebnisse werden Aussagen darüber erlauben, welche Kommunikationstechnologie für welche Anwendung benötigt wird, wo diese wirtschaftlich eingesetzt werden kann und nicht zuletzt, welchen Beitrag sie zum Tierwohl, zum Umweltschutz und zur Ertragssteigerung leisten kann." 5G sei also kein Selbstzweck, sondern „nur der Wegbereiter für eine Digitalisierung und entsprechend optimierte" und auch grundlegend veränderte Prozesse.
Fütter- oder Pflückroboter
Schon heute kann die Landwirtschaft auf digitale Unterstützer zugreifen – indem beispielsweise der Mähdrescher seinen Füllstand dem Traktor anzeigt, Fütterroboter die Tiere im Stall mit Nahrung versorgen, Pflückroboter automatisch Weinreben ernten oder chemische Pflanzenschutzmittel nicht mehr flächendeckend, sondern auf den Bedarf von Pflanzen abgestimmt versprüht werden. All jene Geräte produzieren jedoch und liefern jede Menge Daten. Es bleibt also die Frage nach der Transparenz – für den landwirtschaftlichen Betrieb kann eine große Datengrundlage Fundament für neue Nachhaltigkeit und moderne Bewirtschaftung sein, doch die Datensicherheit stellt nach wie vor ein Problem dar. Und zwar auf allen Ebenen, auf denen 5G eingesetzt werden kann – auch auf der nationalen Ebene. Denn sogenannte kritische Infrastrukturen Deutschlands wie zum Beispiel Stromnetze oder Kraftwerke könnten schon heute auf der Datenebene angegriffen werden. Auf Anfrage von FORUM wollte sich das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik dazu noch nicht äußern, verwies auf die Bundesnetzagentur, die derzeit ihrerseits auf Kommentare zur Sicherheit von Netzen aus der Industrie wartet. Selbst die Forschungseinrichtungen des Bundes für Cybersicherheit halten sich bislang noch bedeckt, was die Sicherheit von 5G-Netzwerken angeht.
Die Historie zeigt: Mit dem Netz entwickeln sich auch die Angriffsszenarien – so könnten automatisierte Programme nach Schwachstellen im 5G-Netz suchen und diese gezielt angreifen, glaubt das führende US-Cybersicherheits-Unternehmen Palo Alto Networks. Auch deshalb muss künftige Datensicherheit auf Künstliche Intelligenz setzen, um automatisierte Angriffe voraussehen und rasch unterbinden zu können. Sonst wird aus der fünften Evolution ein ewiger Wettlauf mit dem Hacker.