In Russland schon immer Pflichtfach, wird Schach auch in Deutschland in vielen Schulen gespielt. Auf den Lehrplänen steht es nicht, aber wer das Spiel beherrscht, profitiert auch in anderen Fächern davon.
Klein gegen Groß – wenn es um Schach geht, braucht man dazu die gleichnamige Fernsehshow gar nicht zu bemühen. So mancher, der sich für einen sicheren Spieler hält, musste vor einem Sechs- oder Siebenjährigen, der Schach in der Schule gelernt hat, schon mal kapitulieren.
Schach liegt im Trend, die Modelle, die von den Schulen angeboten werden, fangen bei den klassischen AGs an und reichen bis zu Schulen mit Schach als regulärem Unterrichtsfach. Das Käthe-Kollwitz-Gymnasium im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist hier zu nennen, das mit lizensierten Trainern arbeitet und Schach auf vielfältige Weise von der Sekundarstufe 1 bis ins Kurssystem anbietet, zum Teil auch in Kombination mit anderen Fächern wie zum Beispiel Mathematik.
Aber manchmal führen auch kleine Schritte zum Ziel. Wie an der Maria-Montessori-Grundschule in Berlin Tempelhof, wo Schach in einer AG gelehrt wird, periodisch aber auch im Unterricht stattfindet. Etliche Schüler und Schülerinnen kamen so in den vergangenen Jahren mit dem Spiel der Spiele in Berührung, von dem laut Stefan Zweig „niemand weiß, welcher Gott es auf die Erde gebracht, um die Langeweile zu töten, die Sinne zu schärfen, die Seele zu spannen".
Was reizt an dem Spiel? Schüler der Klasse 6a der Montessori-Grundschule finden darauf unterschiedliche Antworten. Wie Lara H.: „Man ist nicht verpflichtet, einen bestimmten Weg zu gehen. Nach der Eröffnung gibt es zig Möglichkeiten, die Figuren zu setzen."
Arne H. wiederum findet, dass Schach ein wunderbares Kontrastprogramm zum oft lauten Schulalltag ist, „bei dem man in Ruhe verrückte Taktiken entwickeln kann". Bei einigen tritt aber auch der Wettkampfcharakter in den Vordergrund. „Ich hasse es", gibt Jessica P. zu, „gegen bessere Schüler zu spielen". Und Silas K. ergänzt: „Es ist manchmal so spannend, dass es anstrengend ist." „Man muss", weiß Hendrik M., „die Konzentration hoch halten, sonst kann es passieren, dass man bei einem Spiel, das man dominiert, durch Unachtsamkeit in ein Patt schlittert". Was auch Ahmad C. so sieht: „Man muss tierisch aufpassen und jeden Zug genauestens durchdenken, das ist die Kunst."
Was Schüler alle gleichermaßen schätzen, sind die Schachfiguren. Ihre äußere Form. Aber auch ihre Eigenschaften und „Schlagfertigkeiten". Bei einigen Schachgenies bekommen diese schon eine psychologische Note. Etwa bei dem deutsch-russischen Schachgroßmeister Efim Bogoljubow (1889 – 1952), der in seinem Lehrbuch „Schach-Schule" die Figur des Springers wie folgt charakterisiert: „Seine Gangart ist eigenartig und heimtückisch." Eine treffliche Beschreibung, denn der Springer mag zwar langsam sein, aber er nähert sich mit leisen Schritten und lässt sich leicht übersehen.
Kontrastprogramm zum lauten Alltag
Jedes Kind kann die Regeln dieses vielleicht ältesten Spiels der Menschheit lernen – trotz aller ihm innewohnenden Komplexität. Eine These, die von führenden Profis und Schachtheoretikern geteilt wird. Und die Geschichte gibt ihnen Recht. Viele der ganz Großen des Spiels mit den 64 schwarzen und weißen Feldern machten ihre ersten Gehversuche in jungen Jahren: Emanuel Lasker (1868 – 1941) mit zwölf, Bobby Fischer (1943 – 2008) mit sechs, und der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen (geboren 1990) eignete sich die Regeln des Schachs bereits mit fünf an. Nicht alle sind soziale Außenseiter mit Spezialbegabung geworden, der sympathische Carlsen, seit 2013 ununterbrochen Weltmeister, beweist das Gegenteil.
So wundert es nicht, dass es immer wieder Bestrebungen gibt, Schach im Schulunterricht zu verankern. Mit weltweit wechselnden Ergebnissen: Eine Vorreiterfunktion kommt, wie sollte es anders sein, dem Land zu, das unter andrem mit Alexander Aljechin (1892 – 1946), Anatoli Karpow (* 1951) und Wladimir Kramnik (* 1975) die bis dato meisten Weltmeister hervorgebracht hat – Russland. Jüngst erst hat die russische Ministerin für Erziehung und Wissenschaft, Olga Wassiljewa, beschlossen, Schach an allen allgemeinbildenden Schulen in Russland als Pflichtfach einzuführen.
„Es ist schwierig", führte Wassiljewa aus, „gegen Statistiken zu argumentieren. Im In- und Ausland haben schachspielende Kinder eine bessere schulische Leistung." So sieht das Curriculum in Russland seit dem 1. September für Schüler ab der ersten Klasse 33 Unterrichtsstunden im Schach pro Jahr vor, bei Zweit- bis Viertklässlern sind es sogar 34.
Von solch flächendeckenden Voraussetzungen können Schachpädagogen in Deutschland nur träumen. Wenngleich, Studien belegen das, Einigkeit herrscht: Schüler profitieren auf unterschiedliche Weise vom Schachspiel. Schach schult die Antizipation und Konzentration, das Denken und Planen, die Ruhe, das Sich-Einlassen auf Regeln, die Fairness. Die Schüler lernen, Entscheidungen zu treffen. Außerdem ist Schach ein schönes Spiel mit Figuren, die die Fantasie anregen. Dazu ist es eine auflockernde Alternative zum normalen Unterricht, Stichwort: „spielend lernen".
Apropos Wettkampf! Schach ist eine Turniersportart. Zum Messen und Vergleichen finden Schulen diverse Bühnen. Die bedeutendste ist die Deutsche Schulschachmeisterschaft. In Berlin ist die Teilnahme für viele unverzichtbar. Jedes Jahr gehen etliche Schulen an den Start. Das Käthe-Kollwitz-Gymnasium, das Herder-Gymnasium oder die Erich-Kästner-Grundschule sind Dauergäste. Die Wettkämpfe können logistisch für Schulen mit nur einem Schachlehrer zur Herausforderung werden. Da ist Unterstützung durch Eltern unabdingbar. Es gibt Hin- und Rückrunden. Fast jede Woche zieht es Lehrer wie Schüler kreuz und quer durch die Stadt. Eine schöne Erfahrung, bei der auch Respekt und Fairness eingeübt werden. Eine Erfahrung, die auch Zeit und Kraft kostet, denn die Turniere finden in der Regel an den dienstfreien Nachmittagen statt.
Das ideale Einstiegsalter liegt bei vier bis fünf Jahren
Schach boomt! Das sagen auch Verantwortliche des Berliner Schachverbandes. Allerdings stehen der steigenden Nachfrage nicht ausreichend Trainer und Pädagogen gegenüber. Auch das Lehrmaterial müsste grundlegend überarbeitet und von Fachleuten redigiert werden. Beliebt und im Jugendbereich weit verbreitet sind die sogenannten Brackeler Schachlehrgänge. Das sind Übungshefte, bei denen Schüler je nach Leistungsstand Bauern- bis Damendiplome erwerben können. Die Lehrgänge haben fast ein Alleinstellungsmerkmal. Bei näherer Betrachtung sind sie jedoch didaktisch unzureichend und vor allem in orthografischer wie auch semantischer Hinsicht alles andere als eine wirkliche Empfehlung.
Eine Sache macht Schach zu etwas ganz und gar Einzigartigem, gerade in Bezug auf seine Bedeutung für den Schulunterricht: die Tatsache, dass es schon die Jüngsten durch Übung zu einiger Meisterschaft und Virtuosität bringen können und in der Lage sind, selbst die Arrivierten und Älteren zu schlagen. Experten setzen das ideale Einstiegsalter deshalb erstaunlich früh an. Mit vier bis fünf Jahren, so die Meinung vieler, kann Schach bereits erlernt werden.