Der Paukenschlag kam Ende vergangener Woche: Die größte Tourismusmesse der Welt, die Berliner Internationale Tourismus-Börse (ITB), wird wegen des Coronavirus abgesagt. Rund 10.000 Aussteller, Hotels, Handwerker, Taxiunternehmen rechnen mit Verlusten in Millionenhöhe.
Die Branche, die im vergangenen Jahr Geschäfte mit einem Umsatz von sieben Milliarden Euro abschloss, fürchtet sogar Einbußen in Milliardenhöhe. Denn für Norditalien hagelt es Absagen. Spanien hat damit zu kämpfen, dass auf der Ferieninsel Teneriffa ein ganzes Hotel mit 1.000 Gästen unter Quarantäne gestellt werden musste. Frankreich erwartet 30 bis 40 Prozent weniger Besucher. Ost- und südostasiatische Länder wie Vietnam, Kambodscha, Thailand oder die Philippinen werden wegen ihrer Nähe zu China gemieden. Aus China selbst kommen kaum noch Reisegruppen. Ihre Reisen sind abgesagt. Dafür kommen verstärkt Individualreisende, die der Situation zuhause entfliehen wollen.
Der Krisenstab der Bundesregierung hat bereits beschlossen, dass ab sofort auch bei allen Flug- und Schiffspassagieren aus Südkorea, Japan, Italien und dem Iran vor der Einreise der Gesundheitsstatus gemeldet werden muss. Diese Regel galt bisher nur für China. In allen Zügen im Regional- und Grenzverkehr in Deutschland müssen Passagiere zudem künftig Aussteigekarten ausfüllen, wenn Coronavirus-Verdachtsfälle festgestellt wurden. Die Bahnunternehmen sind zudem verpflichtet, Passagiere mit Symptomen einer Coronavirus-Infektion zu melden. Zudem wird die Bundespolizei ihre Kontrollen im 30-Kilometer-Grenzraum verstärken.
Aktuell betroffen sind – Stand Anfang dieser Woche – 50 Staaten. Die globale Viruskrise bringt eine Branche ins Wanken, die für die gesamte Weltwirtschaft von wachsender Bedeutung ist: Zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entfallen auf das Fremdenverkehrsgewerbe, inklusive Transportindustrie mit all ihren Flugzeugen, Kreuzfahrtschiffen und Reisebussen sowie die Souvenir- oder Reisebürobranche. Denn heute sind 50-mal mehr Menschen unterwegs als noch in den 1950er-Jahren.
Urlauber haben ein kurzes Gedächtnis
In Deutschland entspricht der Umsatz der Tourismusindustrie in etwa dem Einzelhandel. Das macht einen Anteil an der gesamten Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft von 3,9 Prozent aus. Fast drei Millionen Erwerbstätige arbeiten direkt oder indirekt in der Branche, das sind sieben Prozent aller Beschäftigten. Zum Vergleich: Vier Prozent aller Erwerbstätigen verdienen ihr Geld bei den deutschen Autobauern (ohne Zulieferbetriebe).
Im vergangenen Jahr hatten Hotels, Pensionen und andere Unterkünfte zwischen Rügen und Garmisch-Partenkirchen den zehnten Übernachtungsrekord in Folge verbucht. Das war der letzte Rekord: Bisher rechnet die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) mit einem Rückgang von einem Prozent. Ob es dabei bleibt und welche Folgen eine weitere Ausbreitung der Lungenkrankheit haben wird, lässt sich jetzt noch nicht übersehen. Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV): „Je länger die Krise anhält, desto stärker wird die Reisebranche betroffen sein." Da wusste er noch nicht, dass die ITB abgesagt ist.
DRV-Pressesprecherin Kerstin Heinen sieht eine wachsende Verunsicherung bei den Kunden. Sie seien gegenwärtig sehr zurückhaltend bei Reisebuchungen für das laufende Jahr. Darüber hinaus hätten Urlauber, die schon Reisen gebucht haben, ein erhöhtes Informationsbedürfnis. „Die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern hat höchste Priorität", sagte Heinen. „Man sollte keine Panik machen. Aber je länger die Situation anhält, umso schlimmer ist das für die Tourismus-Wirtschaft."
Abschreiben wollen die Reiseprofis das Jahr aber noch nicht. Touristen hätten ein kurzes Gedächtnis, sagen die Experten. Terrorangriffe, Naturkatastrophen oder Staatsstreiche lassen die Buchungszahlen kurzfristig einbrechen. Aber schon im nächsten Jahr sind die Strände wieder belebt. Auch ein starkes Last-Minute-Geschäft könnte Verluste ausgleichen. Doch das Entscheidende ist wohl, dass niemand weiß, wie lange sich die Coronakrise weiter entwickelt und wie lange sie noch anhält.