Die Corona-Krise entlarvt schonungslos Kostenkiller
Krisen kommen in Staaten, Gesellschaften und Organisationen der modernen Wirtschaft immer wieder vor. Selten zwar, aber stets verbunden mit dem Hauch des Untergangs und des offenkundigen Versagens der handelnden Personen oder der verantwortlichen Gremien und Institutionen.
Beispiele gibt es zuhauf: Absatzmärkte brechen plötzlich weg wegen einer falschen Produkt- und Verkaufsstrategie; Fehlinvestitionen in technologische Irrwege bringen Unternehmen in Liquiditätsprobleme; die Kompetenz von Ministern und ihres federführenden Ministeriums gerät öffentlich in Zweifel, wenn prestige- und kostenträchtige Großvorhaben kurz vor der Einführung durch Gerichtsbeschlüsse gestoppt werden. Oder wenn für das bundesdeutsche Ansehen imageträchtige Bauvorhaben wie der Berliner Großflughafen oder der Bahnhofneubau Stuttgart 21 in eine kostenmäßige oder terminliche Endlosschleife zu geraten scheinen.
An Krisen in der Wirtschaft ist man gewöhnt, Unternehmen kommen, gehen pleite und verschwinden, neue treten an ihre Stelle. Die Ursachen für ihr Verschwinden sind fast immer die Gleichen: entweder reine Strategiefehler des Managements – falsches Pferd, falscher Reiter –
oder übertriebene Effizienz-Maximierung. Beziehungsweise das Spiegelbild davon: extreme Kostenminimierung. Beide Unternehmensstrategien sind wichtigstes Spielfeld angelsächsischer Unternehmensberater.
Im Kern läuft eine solche Strategie stets auf das Gleiche hinaus: Rationalisierung aller Prozesse und Strukturen bis zum Gehtnichtmehr, totales Kosten-Minimum aller Prozesse und in allen Bereichen. Die Risiken einer Störung oder gar einem teilweisen bis totalen Ausfall systemrelevanter Glieder der Logistik- und Wertschöpfungskette werden beiseitegeschoben, kommen in der modernen IT-Kommunikationsgesellschaft und einer globalisierten Welt schlicht nicht mehr vor. Kurzum: Es wird gehandelt nach dem Motto, das der Volksmund so auf den Punkt gebracht hat: „Alles wird auf Kante genäht!"
Man hat heute den Eindruck, dass nicht nur in der Wirtschaft, sondern vor allem auch in Politik und Gesellschaft das Gefühl für Risiken verlorengegangen ist. Es gibt keine Risikopuffer mehr für unvorhergesehene oder – schlimmer noch – für unvorhersehbare Ereignisse. Bei Unternehmen hat man sich daran gewöhnt: Sie scheiden aus und verschwinden vom Markt. Das ist für den Einzelnen schlimm, der dabei seinen Arbeitsplatz verliert, nicht aber für die Gesellschaft als Ganzes. Die mag unter Umständen davon sogar profitieren.
Die Corona-Krise hat die oben genannten Versäumnisse schlagartig und brutal zum Vorschein gebracht. Plötzlich wurde über Nacht der Wohlfühlschleier über der deutschen Wohlstandsgesellschaft weggezogen und sie stand – wie der Kaiser in Andersens Märchen – „nackt" da. Ökonomen haben vor diesem Zustand schon lange gewarnt, in dem sie immer wieder auf die unzureichenden staatlichen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur hingewiesen haben. Sei es bei der Bahn, den Schulen oder in den Krankenhäusern.
Vor allem im Gesundheitswesen förderte Corona die politischen Fehler und Unterlassungen der Vergangenheit abrupt zutage. Mit einer solchen Pandemie hatte niemand mehr gerechnet. Die Zeiten von Bürgerkriegen und Hungersnöten lagen weit zurück, ebenso Pandemien wie Pest und Cholera oder die Spanische Grippe.
Die Kosten der Rationalisierungswut treten jetzt deutlich hervor: zu wenig Material-Lager und unzureichende Vorräte an medizinischen Geräten, an Betten für intensivmedizinische Betreuung. Und vor allem mangelt es an Fachpersonal sowie an dessen adäquater Entlohnung!
Corona bringt es an den Tag. Die Gesellschaft hat in der Vergangenheit im Luxus gelebt und das Geld, das für die öffentliche Risikovorsorge in Form von weniger privatem Konsum aufzubringen gewesen wäre, „verfrühstückt". Das muss sich in Zukunft gewaltig ändern. Öffentliche Verschuldung dauerhaft als Lückenfüller einzusetzen, wäre der falsche Weg.