Warum manche Kritik an den Pandemie-Entscheidungen Unsinn ist
Die Corona-Pandemie hat Wirtschaft und Gesellschaft in den Grundfesten erschüttert. Werte und Tätigkeiten, die man schon längstens verloren glaubte oder deren Nutzen für unser aller Gesundheit und Versorgung zumindest vom Entgelt her als eher gering eingestuft worden waren, steigen in der gesellschaftlichen Werteskala plötzlich steil nach oben. Man denke nur an das Pflegepersonal in Kliniken und Altersheimen und ähnliches. Auch die Tätigkeit von Lehrern oder Verkäuferinnen wird plötzlich in ganz anderem Licht gesehen. Solche und ähnliche Beispiele gibt es viele.
Die Krise fördert es zutage: Dienstleistungen und Dienstleister, die in der Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft der vergangenen Jahrzehnte kaum noch beachtet worden waren, rücken wieder ins Rampenlicht. Umgekehrt werden Menschen, die sich und ihre Tätigkeiten zuvor für das Funktionieren der Wirtschaft und das Kulturleben der Gesellschaft für unverzichtbar gehalten haben, unter der Bedrohung von Leib und Leben und wirtschaftlicher Existenz durch die Corona-Epidemie auf Normalmaß zurückgestuft.
Womit sich das weise Wort meiner Großmutter wieder bewahrheitet: „Et gebt nix Schlimmes, wo nit ennoch wat Guddes dabei rauskemmt!" – „Es gibt nichts Schlimmes, bei dem nicht doch noch etwas Gutes rauskommt". Die Corona-Krise als Ethik-Lehrer.
Das trifft aber nicht auf alle Sachverhalte zu. So macht sich mehr und mehr das Phänomen breit, dass nach sechs bis acht Wochen Stilllegung des gesamten Wirtschafts- und gesellschaftlichen Lebens die Menschen zunehmend unter dem Lockdown und der Kontaktsperre leiden. Die Auflagen und Verbote und Gebote zur Virusbekämpfung werden, je schöner das Wetter geworden ist, als lästig und am Ende als überflüssig empfunden.
Proteste und Demonstrationen unter bewusster Verletzung der Sicherheitsgebote machen sich breit. Und immer wieder ist als Argument zu hören, die ganze Furcht vor der Epidemie sei Produkt einer Weltverschwörung oder dem Ehrgeiz von verwirrten Politikern entsprungen. Der Rückgang der Infektionszahlen und der milde und bisher gut gemeisterte Verlauf der Krise beweise doch eindeutig, dass das Coronavirus bei Weitem nicht so gefährlich sei wie immer von den Virologen und Wissenschaftlern behauptet. Das liberale schwedische Modell beweise das doch eindeutig.
Das ist eine völlige widersinnige – besser unsinnige – Schlussfolgerung! Das ist das Corona-Paradox. Bei dieser Argumentation wird nämlich die Kausalität völlig auf den Kopf gestellt. Die Infektions- und Todeszahlen in Deutschland sind nämlich nicht deshalb so niedrig, weil die Corona-Ansteckung so ungefährlich wäre. Nein. Sie sind deshalb so niedrig, weil die ergriffenen Schutzmaßnahmen frühzeitig, scharf und wirksam waren. Länder wie die USA und Russland beweisen die Richtigkeit des Vorgehens der Bundes- und Landesregierungen.
Und was die Ergebnisse des Schwedischen Modells im Vergleich zu Deutschland anbelangt, so werden hier Äpfel mit Birnen verglichen. Zum einen haben wir im Vergleich zu Schweden zehn Mal so viele Einwohner pro Quadratkilometer, zum anderen liegt Schweden am Rande von Europa mit nur drei ebenfalls sehr bevölkerungsarmen Nachbarstaaten – zu denen zusätzlich auch noch die Grenzen wegen der Corona-Bekämpfung geschlossen wurden. Und trotzdem war die Zahl der Todesfälle in Schweden höher als in Deutschland. Und die schwedische Gesellschaft ist relativ homogen und ausbalanciert.
Deutschland ist dagegen der bevölkerungsreichste Staat in Europa mit allein neun Anrainerstaaten und einer Multikulti-Gesellschaft mit Dutzenden ethnischen Gruppen und Kulturen mit einem hohen Individualismus-Faktor. Für Politiker und einschneidende Maßnahmen sowie Eingriffe in das persönliche Verhalten eine gewaltige Herausforderung. Einen Haufen Flöhe hüten ist leichter! Trotzdem ist der Politik eine bisher erfolgreiche Epidemie-Bekämpfung gelungen. Und das ist das eigentliche Corona-Paradoxon.