Der Pferderennsport war der erste Sport, der in der Corona-Krise wieder stattfinden durfte – sogar noch vor der Bundesliga. Galopper und Traber hoffen nun auf eine größere Aufmerksamkeit. Die „Geisterrennen" ohne Publikum sind allerdings selbst für die Beteiligten gewöhnungsbedürftig.
Immer noch herrscht im deutschen Profisport weitgehend Ruhe. Die Fußball-Bundesliga spielt zwar wieder und bekommt dafür weltweit Beachtung, auch die Basketball-Bundesliga hat am vergangenen Wochenende den Spielbetrieb wieder aufgenommen. Doch ansonsten passiert hierzulande gerade nicht viel – die meisten Sportveranstaltungen sind wegen des Coronavirus abgesagt. Eine Sportart war allerdings sogar noch vor den Fußballern zurück: Bereits eine Woche, bevor in der Bundesliga wieder der Ball rollte, am 7. Mai, ging auf der Rennbahn Neue Bult in Langenhagen bei Hannover der erste Renntag der Galopper während der Pandemie über die Bühne – wenngleich ebenfalls ohne Zuschauer. Seitdem werden bundesweit regelmäßig „Geisterrennen" veranstaltet. Und obwohl die Zuschauer vor Ort fehlen, ist die Resonanz in der Öffentlichkeit groß.
„Wir stellen gerade ein großes Interesse fest", berichtet etwa Michael Wrulich, Geschäftsführer der Rennbahnbahn Hoppegarten vor den Toren Berlins. Vom ersten Renntag dort im Mai waren gleich fünf Minuten in der „Sportschau" zu sehen und tags darauf noch einmal ein ausführlicher Bericht im „Morgenmagazin". „Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das zuletzt hatten", sagt Wrulich. Ähnlich lief es auch nach den ersten Rennen in Köln und Baden-Baden. „Die Leute suchen gerade nach Content, und den bieten momentan eben nur wir", sagt Wrulich. Auch der Dachverband Deutscher Galopp berichtet von „tollen Klickzahlen" der entsprechenden Livestream-Übertragungen, die dank des Einverständnisses der Wettanbieter kostenlos zu empfangen sind. Die Zwischenbilanz des Neustarts falle deshalb „absolut positiv" aus, sagt Sprecherin Marina Hintze: „Aus unserer Sicht erfährt der Galopprennsport in diesen Tagen die Aufmerksamkeit, die er verdient."
Große Resonanz
Dabei waren vor allem zwei Dinge entscheidend für die frühe Rückkehr auf die Rennbahn. Zum einen ein umfassendes Hygiene- und Abstandskonzept; zum anderen die guten Kontakte von Verbandspräsident Michael Vesper aus dessen Zeit als langjähriger Vorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der die Umsetzung des Konzepts frühzeitig mit der Politik auslotete. Es sieht vor, dass nur solche Personen auf den Rennbahnen dabei sein dürfen, die für die Durchführung der Rennen notwendig sind. Anfangs waren nicht einmal die Besitzer zugelassen. Auch die Aufenthaltszeiten werden auf das Notwendigste reduziert. Zudem müssen alle anwesenden Personen einen Gesichtsschutz tragen – das gilt auch für die Jockeys während der Wettbewerbe.
Das Konzept wurde vom Dachverband gemeinsam mit den Rennvereinen, Reitern, Trainern und Tierpflegern entwickelt. „Alle halten sich daran und werden damit ihrer Verantwortung gerecht", sagt Marina Hintze. Jedem ist bewusst, wie dünn das Eis ist – und wie schnell im Fall einer Corona-Infektion der gesamte Rennbetrieb auch wieder eingestellt werden könnte. Überhaupt würden im Galopprennsport gerade alle an einem Strang ziehen, berichtet Hintze. „Wir waren diesbezüglich auch vorher schon auf einem guten Weg, mehr Vernetzung zwischen den Rennvereinen zu erreichen und den Austausch untereinander zu fördern. Unter anderem haben wir im vergangenen Herbst mit regelmäßigen Treffen aller Beteiligten begonnen. Während der Corona-Krise erleben wir jetzt, wie alle füreinander einstehen", sagt sie. Als beispielsweise die geplante Veranstaltung in Halle (Saale) von den örtlichen Behörden kurzfristig doch keine Genehmigung bekam, sprang kurzerhand die Bahn in Dresden ein, die eigentlich erst eine Woche später an der Reihe gewesen wäre. „Wir kämpfen alle für das gleiche Ziel", meint Hintze.
Ähnliches ist auch aus dem Trabrennsport zu hören, der nach zwei Monaten Zwangspause im Mai mit dem gleichen Hygiene- und Abstandskonzept wie die Galopper ebenfalls wieder gestartet ist. „Die Menschen in Traberdeutschland haben die Auszeit mit Geduld, Disziplin und großem Zusammenhalt bewältigt", sagt Maren Hoever, Präsidentin des Hauptverbands für Traberzucht (HVT). „Die Krise hat uns zusammengeschweißt. Es gab viele Video- und Telefonkonferenzen zwischen dem HVT und den Rennvereinen", sagt sie. Dabei seien sich alle einig gewesen, dass pro Tag bundesweit nur eine Veranstaltung abgehalten wird, um sich in diesen schwierigen Zeiten nicht auch noch gegenseitig Konkurrenz zu machen. Auch ihre Befürchtung, dass sich die Züchter wegen der Corona-Krise aus dem Geschäft zurückziehen könnten und das Virus sich damit auch langfristig negativ auswirkt, hat sich nicht bewahrheitet – obwohl die pandemiebedingte Auszeit genau in die Hauptdecksaison fiel. „Unsere Züchter sind absolut motiviert. Das ist eine große Basis für unseren Sport", sagt Hoever. „Denn eines ist sicher: Es gibt ein Leben nach Corona, auch für den Trabrennsport und die Zucht."
„Alle werden der Verantwortung gerecht"
Der Trainingsbetrieb der laufenden Generation lief ohnehin weiter, schon aus Gründen des Tierschutzes. Entsprechend hoch war das Niveau nach dem Neustart. „Wir haben spannende Rennen gesehen. Durch den Mangel an Startmöglichkeiten waren zudem echte Klassepferde am Start", sagt Maren Hoever. Weil in den Niederlanden noch keine Rennen stattfanden, nutzten auch viele der dortigen Spitzenfahrer die Gelegenheit, in Deutschland an den Start zu gehen. Auch der Deutsche Galopp hat unlängst die kontrollierte Öffnung für ausländische Starter beschlossen: Ab sofort dürfen Pferde aus dem Ausland wieder an den Leistungsprüfungen teilnehmen. Für Rennsportnationen, in denen keine deutschen Starter zugelassen sind, wird dieser Zugang jedoch bis auf weiteres nicht gewährt.
Die hohe Qualität und Quantität in den Starterfeldern darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation für die Rennvereine auch nach dem Neustart angespannt bleibt. „Es ist ein absoluter Kraftakt", sagt Marina Hintze vom Galoppverband. Mit den Besuchern fehlen nicht nur Eintrittsgelder, sondern auch Wetteinnahmen. Viele Rennvereine haben ihre Mitarbeiter deshalb in Kurzarbeit geschickt, um Kosten zu sparen – gleichzeitig wurden die Preisgelder reduziert. Die privaten Wettanbieter sind den Vereinen allerdings entgegengekommen und vermitteln ihre Wetten provisionsfrei in den Totalisator – eine Außenwette wird damit wie eine Bahnwette gehandhabt, den Rennvereinen bleibt somit unterm Strich mehr Geld. „Es ist toll, wie die Wettanbieter uns in diesen schwierigen Zeiten unterstützen", sagt Traber-Präsidentin Maren Hoever.
Es ist gut möglich, dass auch die beiden Saisonhöhepunkte in diesem Jahr ohne Zuschauer stattfinden müssen. Zwar wurden sowohl das 151. Deutsche Derby der Galopper in Hamburg (vom 5. auf den 12. Juli) als auch das 125. Deutsche Traber-Derby in Berlin-Mariendorf (vom 2. August auf den 20. September) bereits vorsorglich verlegt. Doch ob bis dahin wieder Besucher auf die Bahnen dürfen – und falls ja, wie viele –, ist offen. Notfalls sollen beide aber auch ohne Publikum über die Bühne gehen, heißt es von den Verbänden. „Unser Auftrag ist es, das schnellste Pferd dieses Jahrgangs zu ermitteln. Ein Pferd darf nur einmal in seinem Leben als Dreijähriges beim Derby laufen. Wenn das Derby ausfallen würde, hätte es nie wieder die Chance dazu", erklärt Marina Hintze. Gleichwohl machen alle Beteiligten keinen Hehl daraus, dass ein Saisonhöhepunkt ohne Zuschauer wie auch jeder andere „Geister-Renntag" emotional kaum an einen normalen Renntag herankommt. „Es fühlt sich einfach traurig an", sagt Maren Hoever vom HVT. „An den Fahrern geht das auch nicht spurlos vorüber. Sie fahren zwar die Siegerparade, aber sie winken dabei ins Nichts in Richtung der leeren Tribünen. Das ist ziemlich surreal."
Auch die Saison-Höhepunkte wohl ohne Zuschauer
Auch Gerhard Schöningh, der Eigentümer der Rennbahn in Hoppegarten, merkte nach dem Saisonauftakt an, dass er den Renntag angesichts der Geisterkulisse wohl lieber vom Büro aus im Livestream angeschaut hätte als vor Ort auf der Anlage. „Die jubelnde Menge und das ganze Drumherum gehen einem schon ab", sagt Hoppegartens Geschäftsführer Michael Wrulich. Umso mehr investierte man in die Infrastruktur für einen ordentlichen Livestream. Mit drei Kommentatoren, kleinen Einspielern zwischen den Rennen und hilfreichen Erklärungen wurde das Internet-Publikum mehr als sechs Stunden lang bestens unterhalten. „Von der Produktion und dem Seherlebnis her haben wir einen Riesenschritt nach vorn gemacht. Ohne Corona hätten wir das wahrscheinlich nicht so schnell umgesetzt, aber jetzt werden wir es beibehalten", sagt er. Auch in dieser Hinsicht hat der Pferderennsport sogar von der Corona-Krise profitiert.