Die Liebesgeschichte von Paul Celan und Ingeborg Bachmann und das Gedicht „Corona" als Geheimcode ihrer Beziehung.
Im Stadtpark in Wien blühen im Frühjahr 1948 Paulownien, Blau glockenbäume, die für die meisten Spaziergänger und Parkbesucher sicherlich unbeachtet geblieben sind. Für die damals in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannte junge österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann und den aus Czernowitz stammenden Lyriker Paul Celan sind sie von besonderer Bedeutung – wie Bachmann in ihrem 1971 erschienenen autobiographischen Roman „Malina" offenbart: „…denk an den Stadtpark, denk an das Blatt, denk an den Garten in Wien, an unseren Baum, die Paulownia blüht. Sofort bin ich ruhig, denn uns beiden ist es gleich ergangen."
Weder von ihren Treffen im Wiener Stadtpark noch überhaupt von den sechs Wochen, die beide zwischen Mai und Juni 1948 in Wien als Liebespaar verbrachten, weiß man Näheres. Seit die Liebesbeziehung durch Briefwechsel, die erst nach dem Tod der Beiden veröffentlicht wurden, bekannt geworden ist, ranken sich Mythen um diese Wochen im Frühjahr 1948. Auch das Liebesgedicht „Corona", das Paul Celan in den ersten Tagen der jungen Liebe schrieb und Ingeborg Bachmann widmete, ist erst viele Jahre später als solches bekannt geworden. Im Jahr 2020 jährt sich nicht nur Celans 100. Geburtstag, sondern auch sein 50. Todestag. Zudem ist auch sein Liebesgedicht „Corona" – wenngleich hier Corona als „Kranz" oder „Sternbild" gemeint war – durch die Pandemie gleichen Namens in den Fokus des Interesses gerückt.
Die 1926 in Klagenfurt geborene Ingeborg Bachmann studierte ab dem Wintersemester 1946/47 in Wien Philosophie, Psychologie und Germanistik und war mit Anfang 20 in der Literaturszene noch kaum bekannt. Als sie am Abend des 16. Mai 1948 Paul Celan kennenlernte, hatte sie bereits eine geheim gehaltene Affäre mit dem 18 Jahre älteren Schriftsteller und Theaterkritiker Hans Weigel. Über das Zusammentreffen mit Paul Celan schrieb sie wenige Tage später an ihre Eltern: „Heute hat sich noch etwas ereignet. Der surrealistische Lyriker Paul Celan, den ich bei dem Maler Jené am vorletzten Abend mit Weigel kennenlernte und der sehr faszinierend ist, hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze. Leider muss er in einem Monat nach Paris. Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt." („Mohn und Gedächtnis" war der erste von Celan veröffentlichte Gedichtband im Jahr 1952 betitelt, der auch die Gedichte „Corona" und „Todesfuge" enthielt.)
Das Geheimnis blieb lange unentdeckt
Paul Celan war zum Zeitpunkt ihres Zusammentreffens in der Literaturszene kein Unbekannter mehr, wenngleich seine erste große Publikation noch ausstand. Celan wurde 1920 in Czernowitz, damals Rumänien, ab 1945 Sowjetunion, heute Ukraine, als Paul Antschel in einer deutschsprachigen, jüdischen Familie geboren. Mit Besetzung durch sowjetische Truppen im Sommer 1940 wurden Celans Eltern ins deutsche Vernichtungslager Michailowka/Ukraine deportiert und dort im Winter 1942/43 ermordet. Paul, der sich der Deportation entziehen konnte, verbrachte eineinhalb Jahre als Zwangsarbeiter, bevor er nach Bukarest kam, wo er als Übersetzer arbeitete und seinen Namen in Celan (Anagram seines rumänisierten Nachnamens „Ancel") änderte. Hier entstand sein bekanntestes Gedicht „Todesfuge", damals noch als „Todestango" bezeichnet, und wurde erstmals auf Rumänisch im Mai 1947 in der Zeitschrift „Contemporanul" abgedruckt.
In einem wochenlangen Fußmarsch – und unterstützt von ungarischen Fluchthelfern – kam Celan im Dezember 1947 über Budapest nach Wien. Gleich im Januarheft der Wiener Avantgardezeitschrift „Plan" konnte Celan 17 Gedichte veröffentlichen. Doch Wien sollte nur eine Zwischenetappe sein, Celans Ziel hieß Paris. So währte die Liebesbeziehung mit Ingeborg Bachmann in Wien nur knapp sechs Wochen, bevor Celan sich in die französische Hauptstadt aufmachte. Das Wiedersehen von Ingeborg Bachmann und Paul Celan kam erst zweieinhalb Jahre später in Paris zustande. Einen Monat lang versuchten sie in Celans Hotelzimmer eine Art des Zusammenlebens, welche scheiterte. Bachmann kehrte schließlich wieder nach Wien zu ihrer Daueraffäre Hans Weigel zurück. Im November 1951 lernte Celan die Grafikerin Gisèle de L‘Estrange kennen, die er im Dezember 1952 heiratete.
Ingeborg Bachmann formulierte bereits in einem Brief vom 24. Juni 1949 an Paul Celan die besondere Bedeutung des Liebesgedichtes, das ein Jahr zuvor entstanden war: „Ich habe oft nachgedacht, „Corona" ist Dein schönstes Gedicht, es ist die vollkommene Vorwegnahme eines Augenblicks, wo alles Marmor wird und für immer ist. Aber mir hier wird es nicht „Zeit". Ich hungre nach etwas, das ich nicht bekommen werde, alles ist falsch und schal, müde und verbraucht, ehe es gebraucht wurde."
Zusammen sein und zusammen leben konnten sie nicht
Ihr ganzes Leben lang rangen sie in zahlreichen Briefen mit Worten um ihre Liebe: zusammen sein und zusammen leben konnten sie nicht. Ingeborg Bachmann unternahm 1962 den ersten Selbstmordversuch, Celan wurde Ende desselben Jahres erstmals in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach zwei Mordversuchen an seiner Ehefrau, Zwangseinweisungen, und einem Selbstmordversuch gelang ihm der Suizid im April 1970 in der Pariser Seine. Ingeborg Bachmann hatte im September 1973 einen „Brandunfall" in ihrer Wohnung in Rom, hier starb sie wenige Wochen später im Krankenhaus.
Celans Liebesgedicht „Corona" und die darin enthaltenen Metaphern kehren in Gedichten beider Lyriker später wieder. Heute weiß man, dass sie sich immer wieder auf dieses erste Gedicht ihrer Liebe bezogen haben. Es ist gewissermaßen der „Geheimcode" ihrer Beziehung. Das Wort „Corona" hat mehrere Bedeutungsebenen, zum einen verweist es auf die das Gedicht formenden Versfüße Daktylus und Anapäst, die das Gedicht metrisch „umkränzen", zum anderen bedeutet es wörtlich auch den „Strahlenkranz", der bei einer Sonnenfinsternis um die Sonne sichtbar wird, und steht damit auch als eine Umschreibung dafür, wie die Begegnung mit Ingeborg Bachmann auf Celan im Frühjahr 1948 wirkte. Nach all den unmenschlichen Erfahrungen der letzten Jahre – Verlust der Eltern, Zwangsarbeit – erlebte er in Wien das überschäumende Gefühl der Liebe und nicht zuletzt die Gewissheit, was Worte in der Dichtung bedeuten können.