Einmal im Jahr werden zur weltgrößten Messe der Verbraucherelektronik, der IFA in Berlin, die neuesten Technik-Trends ausgerufen. Auf der ersten stationären Ausgabe der Pandemie-Zeit verband die Branche diesmal zwei Welten: Präsenz und Fernzugriff.
Wenn Achim Berg von Alfred erzählt, leuchten seine Augen. Alfred heißt der mähende Assistenzroboter des Präsidenten des Digitalverbandes Bitkom. Glaubt man einer vom Verband initiierten repräsentativen Studie zur „Zukunft der Consumer Technology" mit 1.195 Befragten anlässlich der IFA, haben 19 Prozent der Roboternutzer ihren Tech-Assistenten einen Namen gegeben. „Dazu gehöre ich auch", verrät Berg.
Doch die Verbraucher wollen mehr. „Die Assistenzroboter werden sich für mehr Einsätze entwickeln als nur für Staub und Rasen", prophezeit der Digitalverbands-Präsident. „Sie werden künftig auch schwer zu greifende Objekte handhaben können", präzisiert er. Tatsächlich? Forscher und Entwickler melden zwar immer wieder Fortschritte. Wahnsinnig viel wird in diesem Jahr von Sprachassistenten geredet, die kommunizieren und intelligent helfen bei der „Care@Home"-, „Clean@Home-" und „Cook@Home"-Arbeit, wie Kümmern, Putzen und Kochen seit Corona trendbewusst heißt. Aber der Weg zu selbstständigen Haushaltshelfern, in deren Brust ein Motor vibriert, ist weit. Kein Wunder, dass Berg bei der Frage lacht, wann denn seiner Meinung nach ein Haushaltsroboter allein Spülmaschinen ausräumen wird. Der Präsident sagt spontan: „Ich würde ihn als Erster kaufen." Dann überlegt er, legt sich schließlich fest: „Ende dieses Jahrzehnts werden wir sehr viel intelligentere Roboter auch im Haushalt sehen."
Intelligenz ist ein weites Feld. Speziell in der Künstlichen Intelligenz (KI) tragen Erfahrung und Wissen zu sammeln (noch) nicht viel zum manuellen Geschick von Maschinenwesen bei. Immerhin gab rund die Hälfte der befragten Nutzer an, dass ihr Roboter ihnen mehr Freizeit beziehungsweise Lebensqualität verschafft. „Logisch, die Anwender müssen nicht mehr jeden Samstag Rasen mähen", sagt Berg. Natürlich ist es ein beruhigendes Gefühl, dass der Rasen sogar täglich millimetergenau gekürzt wird, selbst wenn die Gartenbesitzer ein paar Wochen im Urlaub sind. Doch hilft das wirklich im Alltag? Und geht der Trend nicht viel mehr vom Stoppelrasen hin zu üppigen Blühwiesen, über die sich Mensch und Natur freuen?
Manche Trends für Verbraucher uninteressant
Trends zu setzen, ist ein schwieriges Geschäft. Für die Unterhaltungselektronik-Branche (UE), die einst von hochauflösenden Flachfernsehern lebte, erst recht. Zur diesjährigen IFA kursierten unterschiedliche Zahlen und Einordnungen bei Bitkom, Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK) und anderen Instituten. Je nachdem, wie die Filter aufgesetzt wurden. Klar ist: Smartphones verkaufen sich nach wie vor recht gut. Auch als Ersatzfernseher. Nachrichtensendungen machten Fernsehen während der ersten Monate der Pandemie wieder mehr zum Kaminfeuer-Erlebnis. Sie bewahrten den Absatz der TV-Geräte vor weiterem Absturz. Doch Videos von Netflix, Prime, Joyn und Disney+ streamen Familienmitglieder keinesfalls nur auf einem internetfähigen Fernseher. Tablet, Laptop oder Smartphone genügen vielen. Hauptsache, die Inhalte passen. Eine augenfreundliche Auflösung ist auch hier empfehlenswert. Doch wer braucht nach der pixelstrotzenden 4K- beziehungsweise Ultra-HD-Auflösung eine noch höhere 8K-Auflösung, die passende Produktionen unnötig teuer und schwierig macht?
Manche Trends gehen an den Verbraucherinteressen vorbei. Siehe Dreidimensionalität (3-D) und Virtuelle Realität (VR), die lange Zeit nicht richtig am Markt ankamen: Wer will zu Hause mit einer unbequemen 3-D- oder VR-Brille auf der Nase den Feierabend verbringen? Ob bei extrem hohen Auflösungen, 3-D oder VR: Wenn Sinn und Inhalt fehlen, braucht keiner Tech-Trends, mit denen sich Anwender eher unwohl fühlen.
Digitale Wirklichkeiten könnten die Menschen spätestens dann einholen, wenn die Mobilfunktechnologie 5G mit schnellen Telekommunikationsnetzen in der Bevölkerung ankommt. Plus leistungsfähiger Hardware und passend produzierter Inhalte, für die sich Investitionsfreudigkeit zur Innovationsfähigkeit gesellen muss. Deshalb wäre es zu früh, die Extended Reality XR zum großen Trend der IFA 2020 auszurufen, auch wenn manche XR-Erlebnis-Brillen leichter und besser werden mögen.
VR-Technologie soll attraktiver gemacht werden
Dem Leiter des Bereichs Media und Entertainment bei Deloitte, Klaus Böhm, zufolge, habe man der VR vor fünf Jahren ein ähnliches Potenzial zugetraut, wie seinerzeit dem Smartphone. Diesem Hype habe VR bisher nicht gerecht werden können. „Nur fünf Jahre nach ihrem kommerziellen Start hatten Smartphones in Deutschland eine Verbreitung von 56 Prozent erreicht. VR steht am Ende des gleichen Zeitraums bei gerade einmal fünf Prozent", bilanziert Böhm nüchtern. Dabei sei das Verbraucherinteresse an VR weiterhin groß und beschränke sich nicht nur auf Games. Ebenso gefragt seien Filme, Konzerte, Sport und Shopping.
„Der Markt ist da, die Geschäftsmodelle sind noch mal zu überdenken", bilanziert Bitkom-Präsident Berg, der bei seinen eigenen, virtuellen Reisen während des Lockdowns ernüchternde Erlebnisse mangels Sehenswürdigem verbuchte. Auch Böhm appelliert hier an die großen Medien- und Plattformunternehmen, die Technologie mit Filmproduktionen für VR attraktiver zu machen. „In der Covid-19-Pandemie könnten XR-Konzerte ein attraktiver Kompromiss zwischen Sicherheit und Erlebnis sein", sagt der Wirtschaftsberater.
Stichwort „XR Viewers": Sind die Brillen eine 2020er-Realität? Setzt der Halbleiter-Hersteller Qualcomm mit eigenen und Partner-Produkten zu seiner XR-Plattform zu einem „Killer-Sprung" für Virtual und Augmented Reality-Anwendungen an? Die Keynote von Qualcomm-Präsident Cristiano Amon auf der IFA kündete von neuem Leben für virtuelle Wirklichkeiten. Zumal Qualcomm massive Ausweitungen realitätserweiternder Technologien schon im Mai auf der virtuellen Augmented World Expo (AWE) angekündigt hatte.
Konzert-Erlebnisse neuer Art, wie sie mit 3-D-Sound auf die zu Hause bleibenden Ohren bereits erprobt werden, sollen ausgeweitet werden. XR soll vorgaukeln, dass die Anwender vor Ort mitfeiern. „Wir werden die Live-Music-Experience absolut transformieren", sagt Amon. „Ihr werdet sie neu mixen, auf eure eigene Art." Künstler könnten physische Grenzen überwinden, Fans sich gemeinsam neu im Erleben organisieren: „Von der Bühne ins Haus, in Echtzeit". Künftig könne es normal werden, im täglichen Leben virtuell an einem anderen Ort zu sein. Bereits 2022 sollen dem Chip-Hersteller zufolge 750 Millionen Smartphones basierend auf 5G-Standard bereit sein, mit ihren Nutzern virtuell zu reisen. Oder auch mit XR zu lernen und zwischendurch zu spielen.
Unterhaltung, Lern- und Arbeitswelt liegen beim XR-Trend nah beieinander: Die CAD Schroer GmbH brachte im September ein Tool heraus, mit dem Kunden auch schwer transportierbare Produkte im 3-D-Format mit AR virtuell in deren Räumen vorgeführt werden können: als Ersatz für Kundenbesuche vor Ort.
Wirklichkeiten vermischen sich zu Trends. Die Frage bleibt: Was braucht der Verbraucher wirklich? Einen Unterhaltungstrend der neuen Normalität liefert „Wash@home". Während Corona nutzten die Menschen vernetzte Waschmaschinen-Programme dreimal so oft wie sonst, sagt Yannick Fierling von Haier. „Wir bieten ein Programm an, das Masken sehr gut wäscht."
Haiers „Nova" sei die erste Waschmaschine, die nur einen Knopf hat. Dafür besitzt sie eine App, um sich smart aus der Ferne oder per Sprache steuern zu lassen. Auch so ein Trend der IFA 2020. „Du kannst Programme runterladen, Zyklen ändern, die Künstliche Intelligenz alles machen lassen. Du kannst dir von der KI Tipps geben lassen zum Waschen", sagt der chinesische Hersteller mit europäischem Headquarter in Italien dazu.