Covid-19 schädigt nicht nur die Lunge, sondern gleich mehrere Organe. Zu welchen Folgekrankheiten die Infektion führen kann und wie Fachärzte interdisziplinär die Patienten bei einer individuellen Rehabilitation unterstützen, erklärt der Lungen- und Herzfacharzt Professor Andreas Dösch.
Herr Professor Dösch, Patienten, die nach einer Covid-19-Erkrankung aus dem Akutkrankenhaus entlassen werden, fühlen sich häufig nicht gesund. Sie leiden unter vielfältigen Folgen der Virusinfektion. Was wissen Sie heute über die Langzeitfolgen von schweren Covid-19-Verläufen?
Wir haben als Mediziner seit dem Frühjahr viel dazu gelernt. Erst wurde davon ausgegangen, dass es sich bei Covid-19 insbesondere um eine Lungenerkrankung handelt. Heute verstehen wir, dass die Erkrankung nicht auf die Lunge begrenzt bleibt, sondern viele Organe betrifft.

Es handelt sich um eine echte Multisystemerkrankung. Wir müssen gerade im Langzeitverlauf nicht nur die Lunge betreffenden Beschwerden behandeln, sondern auch Schäden insbesondere an Herz, Nieren, Geruchs- und Geschmackssinn sowie neurologische und seelische Beeinträchtigungen therapieren. So ist lang anhaltende Müdigkeit ein häufig beobachtetes Phänomen, obwohl das Virus schon seit Monaten nicht mehr mittels PCR nachweisbar ist.
Was ist das Besondere an der Rehabilitation dieser Patienten?
Eine echte Multisystemerkrankung erfordert eine aufwendige individuelle und interdisziplinäre Therapiegestaltung. Einige Rehabilitanden kommen im Rollstuhl an und müssen zunächst wieder lernen, erste Schritte zu gehen, andere leiden unter ausgeprägter Atemnot, an Geruchs- und Geschmacksstörungen oder sind durch einen langen Intensivaufenthalt traumatisiert. Diese vielfältigen Folgen erfordern einen intensiven Austausch und Kontakt zwischen Ärzten, Therapeuten, Psychologen und Rehabilitanden. Die Patienten benötigen eine auf sie abgestimmte spezialisierte Behandlung, welche im interdisziplinären Therapeutenteam gemeinsam anhand der patienteneigenen Rehabilitationsziele festgelegt wird.
Wie viele Patienten mit Post-Covid-Syndromen haben Sie bisher behandelt?
Bis Ende November 2020 waren es circa 150 Rehabilitanden. Die Behandlungszahlen folgen zeitlich versetzt der Inanspruchnahme der Akutkrankenhäuser. Da jedoch auch die anderen pneumologischen und onkologischen Erkrankungen weiter auftreten, planen wir aktuell unsere Bettenkapazität an die gestiegene Nachfrage anzupassen. Wir sehen derzeit, dass gerade im Frühjahr viele Patienten mit zum Beispiel onkologischen Erkrankungen aus Angst vor einer Infektion später als üblich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben. Dies hat den Therapiebeginn zum Teil leider erheblich verzögert. Auch diesen Patienten müssen wir weiterhin eine adäquate Therapie anbieten können.
Viele ihrer Patienten haben die schwere Erkrankung auf der Intensivstation überlebt, waren zum Teil tagelang im Koma. Wo fangen Sie an, um diese Patienten wiederaufzubauen?
Die Rehabilitanden kommen in der Regel kurz nach der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus zu uns. Damit wir mit ihnen gemeinsam arbeiten können, müssen bestimmte Mindestbelastungskriterien erfüllt sein. Einige Patienten erhalten immer noch Sauerstoff, gerade dann müssen wir mit ihnen gemeinsam ein individuelles Trainingsniveau festlegen. Nach einem ausführlichen Erstgespräch erfolgt ein umfangreiches und strukturiertes Screening. Zu Beginn der Maßnahme wird insbesondere das Herz-Kreislaufsystem untersucht. Dazu gehören eine Lungenfunktionsdiagnostik, Bestimmung der Blutgase sowie ein Belastungs-EKG und eine Echokardiografie. Im Labor überprüfen wir verschiedene Parameter im Blut, die uns nähere Informationen zum Ausmaß der Entzündungsreaktion, der Leistungsfähigkeit des Immunsystems sowie zur Herzbelastung geben.
Bei Bedarf erfolgt ebenfalls eine Kontrolle der Blutdruck- und Diabeteseinstellung. Auch eine ernährungsmedizinische Betreuung ist fester Bestandteil einer Rehabilitationsmaßnahme nach Covid-19. Denn neben Adipositas, Übergewicht, sind gerade Bluthochdruck, Diabetes mellitus, bestimmte Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, vorbestehende Nierenbeschwerden oder Krebserkrankungen Risikofaktoren für schwere Covid-19-Verläufe. Ziel ist es, ein ganzheitliches Bild zu erhalten, um die Patienten individuell verstehen und optimal behandeln zu können. Zu den grundlegenden Maßnahmen gehört häufig, insbesondere die Atemnot zu mindern. Dafür versuchen wir mit speziellen Übungen die Atemmuskulatur zu stärken und die allgemeine körperliche Belastbarkeit zu verbessern.
Unter welchen Symptomen und Beschwerden leiden die Patienten am häufigsten?

Besonders häufig sind KrankheitssympÂtome im Bereich der Atemwege, insbesondere bei Patienten mit einer vorbestehenden Lungenerkrankung. Dies erklärt sich durch den Schädigungsmechanismus mit Beeinträchtigung der für den Gasaustausch wichtigen Zellen und durch die Abwehrreaktion ausgelöste Vernarbungen des Lungengewebes.
Ebenfalls im Vordergrund stehen Zeichen der Herzschwäche. Neuere Studien zeigen einen sehr hohen Anteil an Patienten mit einer Herzbeteiligung, beispielsweise einer Herzmuskelentzündung, welche auch noch nach mehreren Wochen nachgewiesen werden kann.
Viele Patienten schildern uns subjektiv sehr belastende Geruchs- und Geschmacksstörungen, welche wir im Team therapeutisch jedoch gut angehen können.
Zunehmend häufig wird auch eine anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung sowie Haarausfall beschrieben. Dies kann die Patienten monatelang beeinträchtigen. Daher sprechen wir nicht mehr vom Post-, sondern vom Long-Covid-Syndrom.
Wie sieht es bei Patienten mit leichteren Erkrankungen aus? Können diese auch unter Post-Covid-Syndromen leiden?
Bei den meisten Betroffenen führt die Infektion mit dem neuartigen Coronavirus nur zu milden Symptomen, nach denen sie auch wieder vollständig genesen. Doch wir beobachten zahlreiche Rehabilitanden, die trotz einer relativ gut überstandenen akuten Covid-19-Erkrankungsphase anschließend stark im Alltag limitiert sind. Die Betroffenen leiden häufig an einer postviralen Fatigue, ein Zeichen dafür wie stark die akute Infektion den Organismus als Ganzes belastet hat. Diese Rehabilitanden sind im privaten und beruflichen Alltag körperlich und seelisch nicht ausreichend belastbar, vermehrt müde und benötigen auch tagsüber Ruhephasen.
Zu welchen psychischen Folgen können die Corona-Erkrankungen führen?
Es kann zu psychischen Veränderungen kommen, die neben dem häufig seelisch belastenden Intensivaufenthalt vermutlich auch auf organischen Schäden im Gehirn beruhen. Diese Patienten leiden unter Stimmungsschwankungen, nicht selten beobachten wir auch Schlafstörungen. Gerade andauernde Müdigkeit und Ängste oder Gedächtnisstörungen können noch Wochen nach der akuten Covid-Erkrankung auftreten. Auch bereits bestehende psychische Vorerkrankungen können negativ verstärkt werden.
Hier bieten wir als Team eine breite Behandlungspalette an, vom psychologischen Einzelgespräch durch erfahrene Therapeuten bis hin zur Aromatherapie. Auch die Miteinbeziehung der schönen Umgebung in Bad Salzungen ist sehr hilfreich.
Wie können psychische Folgen behandelt werden?
Die durchgehende psychologische Betreuung ist ein wesentlicher Bestandteil der Rehabilitationsmaßnahme. Gerade schwere Krankheitsverläufe, beispielsweise von Patienten, die intubiert, also unter Narkose künstlich beatmet wurden, hinterlassen Spuren. Da ist im Einzelfall zu klären, welche Unterstützungsmaßnahmen benötigt werden, auch über die Dauer der Rehabiltation hinaus.
Was kann die Reha leisten und wie lange dauert sie in der Regel?
Als Fachklinik insbesondere für Lungenrehabilitation haben wir bereits viel Erfahrung mit schwerkranken pneumologischen und onkologischen Patienten. Die Krankheitsverläufe sind sehr unterschiedlich, einige Rehabilitanden sind initial bettlägerig, andere bereits auf der Station oder im Haus mobil. Durch zum Beispiel abgestimmte Bewegungsprogramme von der Einzelgangschule bis hin zum Ausdauer- und Krafttraining können wir die Genesung wesentlich unterstützen. Dies sind jedoch stets nur Bausteine unseres ganzheitlichen Therapiekonzeptes. Eine Maßnahme dauert in der Regel zwischen drei und sechs Wochen.
Wir beobachten eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes der weit überwiegenden Mehrheit unserer Rehabilitanden. Gemeinsam mit den Unikliniken Heidelberg und Jena führen wir aktuell eine wissenschaftliche Analyse des Therapieerfolges durch.
Können die meisten danach in ihr altes Leben zurückkehren oder müssen sie weiter behandelt werden?
Diese Frage lässt sich nur patientenindividuell beantworten. Grundsätzlich ist es extrem wichtig, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und auch nach der Rehabilitationsmaßnahme eine strukturierte Betreuung durchzuführen. Meist können die Patienten mittelfristig jedoch wieder in ihr gewohntes privates und berufliches Umfeld zurückkehren.
Welche Folgeerkrankungen und Organschädigungen bleiben?
Bis wir wirklich belastbare Daten zu den Folgeerkrankungen und deren Verläufen haben, dauert es noch Monate oder sogar Jahre. Wir kennen die Covid-19-Erkrankung erst seit einem Jahr und lernen als Mediziner weiterhin täglich dazu. Gerade Schädigungen an Lunge und Herz sowie neurologische Begleiterkrankungen müssen so früh wie möglich therapeutisch angegangen werden um die Spätfolgen zu minimieren.

Veränderungen der Blutgerinnung sind ein häufig beobachtetes Krankheitsbild. Embolien etwa sind überdurchschnittlich oft im Krankheitsverlauf festzustellen und können zu Spätfolgen führen. Auch eine Verschlechterung der Nierenfunktion kann zentral im Krankheitsverlauf sein, dann ist mitunter eine Dialysebehandlung erforderlich. Synchron dazu können auch neurologische oder kardiale Schädigungen auftreten. Dieser Multi-System-Befall macht die Nachsorge dieser Erkrankung so komplex. Mindestens genauso wichtig ist die Behandlung der seelischen Folgeschäden. Mittlerweile existieren auch strukturierte Behandlungsempfehlungen für den Akutaufenthalt, wie diese den Langzeitverlauf beeinflussen werden, bleibt abzuwarten.
Was können Patienten unternehmen, damit sich ihr Zustand weiter verbessert?
Sinnvoll ist es, die erlernten Übungen ambulant fortzusetzten und durch die weitere Verordnung von Bewegungsprogrammen zu unterstützen. Wichtig ist auch die Nachbetreuung durch niedergelassene Ärzte. Es ist entscheidend, dass auch die Nachsorge strukturiert und individuell angepasst durchgeführt wird.
Was sollte aus Ihrer Erfahrung mit den Patienten und deren Krankheitsverläufen jeder beachten?
Meine Empfehlung ist, die Krankheit ernst zu nehmen und die Schutzmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen zu respektieren. Sehr viele Patienten sind gegenüber der Erkrankung sehr demütig geworden.