Unsere Kulturlandschaft ist vielfältig. Bleibt sie es oder mutiert Corona zum Killer? Eine Betrachtung in Zeiten der Pandemie – und ein Blick auf die Zeit danach.
Ja; mach nur einen Plan/sei nur ein großes Licht!/Und mach dann noch ’nen zweiten Plan/gehn tun sie beide nicht." Das trällerten die Berliner im Herbst des Jahres 1928. Das „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens" avancierte nach der Uraufführung von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper" zum Gassenhauer.
![Bestuhlung in der Congresshalle Saarbrücken, als die Deutsche Radio Philharmonie noch mit Abstandsregel für Zuschauerraum und Bühne konzertieren durfte](/sites/default/files/inline-images/01_Kultur_Corona_Kulturlandschaft_SL_02.jpg)
Katharina Bihler, eine energiegeladene freischaffende Künstlerin, eine, die nicht unter den wochenlangen Zumutungen jammert, eine, die Plan B parat hat – ihr ist die Erschöpfung anzumerken. Das „permanente neu organisieren und bewerten" koste sie emotional Kraft. Selten ist davon die Rede, weil das wirtschaftliche Überleben im Vordergrund steht, dabei ist die emotionale Verfasstheit die Grundlage jedes kreativen Schaffens und damit essenziell.
Die staatlichen Kultureinrichtungen, beispielsweise das Saarländische Staatstheater, und die mit festen, jedoch befristeten Verträgen angestellten Künstler, werden überleben. Gleichwohl arbeitet das Staatstheater auch mit Gastkünstlern zusammen. Der Kaufmännische Direktor, Prof. Dr. Matthias Almstedt entwickelte das „Saarbrücker Modell" – in Absprache mit dem saarländischen Ministerium für Bildung und Kultur und auch mit dem Ministerium für Finanzen und Europa – das einen finanziellen Ausgleich für pandemiebedingte Gagenausfälle von Gast-Darstellern aller Sparten garantiert. Der Bundesverband Freie Darstellende Künste – Aktionsbündnis Darstellende Künste zeichnete diese Idee aus.
Zu unserer Kulturlandschaft gehören eben auch Ensembles mit Künstlern auf freischaffender Basis und ebenso privatwirtschaftlich organisierte Spielstätten. Vieles, was bekannt ist, aber gerne vernachlässigt wird, tritt unter Corona-Bedingungen unübersehbar zutage.
Freischaffende Künstler geraten in Existenznot
Dabei verheimlicht die Künstlersozialkasse die Einkommensverhältnisse freischaffender Künstler nicht. Unter den 2,3 Millionen Soloselbstständigen befinden sich Künstler und auch Einzelunternehmer, die der Veranstaltungsbranche zuzurechnen sind. Auf die enge Verflechtung zwischen Künstler, Veranstalter und Dienstleister hinter der Bühne macht Peter Meyer, Vorsitzender des Vereins Pop-Rat Saarland – Verband für Pop- und Eventkultur, aufmerksam. Er versteht es, seinen Mitgliedern Gehör zu verschaffen und Geld für Projekte zu akquirieren, um Künstler und Tätige in der Veranstaltungswirtschaft zu unterstützen. Sei es von Partnern wie Pfarreien und Kirchengemeinden, oder der Union Stiftung oder auch aus der Politik. Das Wirtschaftsministerium legte kürzlich ein Sonderprogramm für letztgenannte auf.
![Joachim Arnold hält den Zeltpalast auf Kurs, auch wenn er die Segel anders setzen muss](/sites/default/files/inline-images/01_Kultur_Corona_Kulturlandschaft_SL_03.jpg)
Während abhängig Beschäftigte mit Kurzarbeitergeld über die Runden kommen, bastelte die Bundesregierung für Freischaffende ein Flickwerk an Hilfsmöglichkeiten. Dringend erforderlich wäre, dass Soloselbstständige mindestens 60 Prozent ihres letzten Jahreseinkommens erhalten, ähnlich wie es in Großbritannien praktiziert wird. In der „Vermeidung einer nationalen, akuten Gesundheitsnotlage", die alle angeht, darf es nicht als Kollateralschaden angesehen werden, wenn Menschen in die Existenznot getrieben werden.
Katharina Bihler, Autorin und Regisseurin, Stimm- und Performancekünstlerin und Mitgründerin des Liquid Penguin Ensembles, spricht von einem „guten Draht zum Ministerium" und fühlt sich zumindest nicht alleine gelassen. Tatsächlich hat Christine Streichert-Clivot, die saarländische Ministerin für Bildung und Kultur, bereits im Juni einen Kulturgipfel anberaumt, zu dem Institutionsleiter und auch Mitglieder der freien Szene eingeladen waren. Ein Ergebnis dessen hätte demnächst unsere Region bereichert, und auch Katharina Bihler wäre daran beteiligt gewesen: Das Netzwerk Freie Szene Saar hatte im Weltkulturerbe Völklinger Hütte einen Kooperationspartner gefunden und beabsichtigte mit dem „Freistil Festival" die Potenziale der hiesigen Szene zu präsentieren. Anfang November verkündete die Bundesregierung jedoch den zweiten Lockdown. Was ausgetüftelte Hygiene- und Abstandspläne ermöglicht hätten, wurde obsolet. Mit der Absage des „Freistil Festivals" kam die Ansage: „Wir machen weiter. Denn ohne Kultur wird’s trist."
![Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger überreicht MOP-Festivalleiterin Svenja Böttger den Zuwendungsbescheid, der die Erprobung einer Blockchain-Technologie auf der Streamingplattform finanziell ermöglicht](/sites/default/files/inline-images/01_Kultur_Corona_Kulturlandschaft_SL_04.jpg)
Auch Katharina Bihler blickt nach vorne und sieht: „Eine neue Achse, die sich aufgetan hat, auch für die Zukunft nach Corona."
Einige Kulturveranstalter luden im Sommer zu Open-Airs. In Merzig wagte einer sogar, zu Indoor-Veranstaltungen einzuladen. Der sturmerprobte Joachim Arnold, Chef von Musik und Theater Saar, traute sich und baute auf sein Publikum. Klassikfreunde sandten ihm nicht nur emotional unterstützende E-Mails, sondern kamen anstatt in die Alte Abtei nach Mettlach in den Zeltpalast nach Merzig. Dieser, durch seine Größe die Abstandsregeln garantierend, als auch die Treue des Publikums gewährten, dass die Anzahl der verkauften Karten der Kammermusiktage die des Vorjahres erreichte.
Die Ausgabe 2021 ist gesichert. Das Programm ist bis zur Drucklegung der Ausgabe mutmaßlich bereits veröffentlicht. Ähnliches gilt für das „SR Klassik am See", das am 3. Juli stattfinden wird. Einzig das angekündigte Musical „Jekyll & Hyde" wackelt. Noch ist nicht zu klären unter welchen Bedingungen Proben ablaufen, oder welche Zuschauerzahl erlaubt sein wird. Davon hängt wiederum ab, ob es überhaupt wirtschaftlich lohnen kann, ein neues Musical zu produzieren.
„Es wird eine Veränderung der Kulturszene geben"
![Bernhard Leonardy nimmt neuen Anlauf für das Festival](/sites/default/files/inline-images/01_Kultur_Corona_Kulturlandschaft_SL_05.jpg)
Auch Bernhard Leonardy, Intendant und Künstlerischer Geschäftsführer der Internationalen Musikfestspiele Saar, macht sich Gedanken um Publikum und Sponsoren. Er fürchtet, dass, wenn weniger Zuschauer zugelassen sind, die Attraktivität für Sponsoren sinkt. Er plant, mehrere Aufführungen einer Veranstaltung anzubieten und tüftelt an einer Idee, wie er bei Sponsoren Interesse weckt oder erhält. Bernhard Leonardy sagte seine Festivalausgabe 2020 im März komplett ab – für das Jahr 2021 plant er die nächste, die Ende April starten soll. Die Gefühlslage der Menschen ringsum nimmt er als „angespannt, ängstlich, panisch, gereizt, nervös" wahr und sagt: „Der Klang der Musik fehlt extrem." Die Menschen seien vorsichtig. Das Publikum zurückzugewinnen sieht er als seine Aufgabe. Die Frage, wie man Vertrauen zum Publikum schaffe, bewegt ihn, er glaubt: „Es wird eine Veränderung der Kulturszene geben."
Das 42. Filmfestival Max Ophüls Preis vom 17. bis zum 24. Januar wird online stattfinden. Was einerseits erfreut, besorgt andererseits, weil man denkt: Wird die Kinolandschaft überleben? Werden wir uns an das Streamen von Filmen gewöhnen, und somit dem Kino entwöhnt? Festivalleiterin Svenja Böttger und der Künstlerische Leiter Oliver Baumgarten wollen mit der Digital-Ausgabe „Plattform sein, um in Zeiten der Pandemie die Arbeiten junger Filmschaffender zu würdigen, zu diskutieren und ihnen eine möglichst breite Öffentlichkeit zu bieten".
Brechts „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens" darf uns nicht entmutigen. Auf Plan A folgt B und C und …