„Click and Meet", also online Termine buchen und dann einkaufen gehen, sollte den Einzelhandel allmählich aus dem Corona-Lockdown lösen. Dies verstoße gegen geltendes Recht, urteilte das saarländische Oberverwaltungsgericht. Ein Urteil mit bundesweiter Wirkung? Die Gewerbevereine im Land sind vorsichtig optimistisch.
Zuerst anrufen und einen Termin buchen, bevor man shoppen geht? Seit vergangener Woche sind laut Corona-Verordnungen der Länder Einzelhandelsgeschäfte wieder geöffnet. Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, dass Einzelhandelsgeschäfte ab einem festgelegten Inzidenzwert per Click and Meet öffnen dürfen, pro 40 Quadratmeter ist ein Kunde zugelassen. Der erste Lichtblick für den gebeutelten deutschen Einzelhandel? Nein, sagt der Handelsverband Deutschland (HDE). Er kritisierte das Vorgehen. Click and Meet sei für viele Unternehmen nicht wirtschaftlich. Der Verband fordert stattdessen eine Verdoppelung der Überbrückungshilfen des Bundes und sprach sich für eine bundesweit einheitliche Lösung zur Kontaktnachverfolgung etwa per App aus.
Auch im Saarland galt zunächst die Verordnung wie in der Bund-Länder-Konferenz besprochen. Doch das System „erst anrufen, abholen, vergleichen und zurückbringen" habe nie wirklich funktioniert, erklärt Wolfgang Zeyer. Der Rechtsanwalt ist Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft der Gewerbetreibenden der saarländischen Kreisstadt St. Wendel. Auch dort füllen sich die Geschäfte wieder, wenn auch zögerlich. „Ohne eine geöffnete Gastronomie ist der Einzelhandel nicht der alte und umgekehrt", so Zeyer. Die gegenseitige Abhängigkeit sei deutlich.
Verordnung im Saarland gekippt
Die Verordnung aber sei nicht nur nicht praktikabel, sondern laut einem Urteil des saarländischen Oberverwaltungsgerichts auch in Teilen rechtswidrig. Dem Antrag einer Betreiberin eines IT-Fachgeschäftes mit einer Fläche von 140 Quadratmetern wurde stattgegeben. Sie hätte trotz großer Verkaufsfläche nur einen Kunden mit Begleitung nach telefonischer Absprache empfangen dürfen. Geschäfte, „die nicht immer zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung unbedingt erforderlich seien", dürfe man mit Blick auf das Infektionsgeschehen nicht deutlich strenger behandeln als beispielsweise Blumengeschäfte oder Buchhandlungen, urteilte das Gericht. Die gegenwärtige Regelung verletze auch das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit und die Eigentumsgarantie, hieß es. Die Landesregierung hätte, selbst wenn sie es wollte, gegen das Urteil keinen Einspruch einlegen dürfen. Seither dürfen Geschäfte wieder öffnen, solange sie sich an die Regel „ein Kunde pro 15 Quadratmeter" halten.
Ein Urteil, das auch bundesweit für Aufsehen sorgt. Handelsverbände in Deutschland wollen auf Grundlage der saarländischen Blaupause nachziehen, berichtete unter anderem die „Stuttgarter Nachrichten". Dieses Urteil sei längst überfällig und ein Vorreiter für weitere Öffnungen, sagt auch Marcel Philipp Schmitt, Agenturinhaber und Vorsitzender des Gewerbevereins der Kreisstadt Homburg. „Bei vielen unserer Mitglieder geht es an die Existenz, zumal bei unseren Mitgliedern oft noch kein Geld der aktuellen Coronahilfen angekommen ist – noch nicht einmal Abschläge." Die Angst vor weiteren Lockdowns in einer möglichen dritten Welle schwingt immer mit, trotz vieler Investitionen in Hygienemaßnahmen. Genau die aber seien ein Grund, zu öffnen, heißt es seitens der Gewerbetreibenden. Und: Je mehr Geschäfte geöffnet seien, desto besser verteilten sich die Kunden.
Folgen gemeinsam schultern
Trotzdem habe man anfangs das Urteil akzeptiert, berichtet Peter Schill, Vorsitzender des Gewerbevereins der Kreisstadt Merzig. „Natürlich war anfangs die Stimmung nach der Verordnung eher verhalten, aber in diesen Zeiten greift man nach jedem Strohhalm." Zwar hätten Onlinebestellungen und Lieferdienste ein bisschen Geld gebracht, aber bei Weitem nicht genug. Auch die Coronahilfen der Bundesregierung seien nur zögerlich eingetroffen. „Ein Tropfen auf den heißen Stein", so Schill. Hinzu kam eine Gutscheinaktion, die in der ersten Woche immerhin 50.000 Euro in die Kassen der Merziger Kaufleute spülte. Zu einem 200-Euro-Gutschein packte der Stadtrat noch einmal 20 Euro obendrauf und machte dafür 200.000 Euro locker. Jetzt blickt Schill teils mit verhaltenem Optimismus, teils mit Sorge vor einer dritten Welle der Pandemie in die Zukunft. Denn der Tourismus im Nordsaarland muss in diesem Jahr wie im vergangenen Jahr auf Besuchermagneten wie den traditionelle Blumenmarkt verzichten. „Und das werden wir Kaufleute deutlich spüren." Anders Zeyer: Der harte Lockdown habe die Einzelhändler im Nachbarkreis von Merzig, in St. Wendel, schwer getroffen, sagt der St. Wendeler Gewerbevereinchef. Doch die Coronahilfen hätten das Schlimmste, eine Welle an Insolvenzen, verhindert. Zeyer ist zuversichtlich, dass St. Wendel die Verluste im Sommer wieder hereinholen kann. Es habe sich bereits im vergangenen Jahr gezeigt, dass dies möglich sei.
Von Normalität sind die Saarbrücker Kaufleute ebenfalls noch weit entfernt, sagt Michael Genth vom Gewerbeverein in der Landeshauptstadt. Trotz der gekippten Verordnung fehlen vor allem die französischen Kunden und damit „zirka ein Drittel der Besucherfrequenz". Diese müssen sich an grenznahen Teststationen erst einmal testen lassen, bevor sie die Grenze überqueren. Dennoch blickt der Inhaber eines Lederfachgeschäftes mit Optimismus in die Zukunft: „Die Kunden sind sehr rücksichtsvoll." Und die Kunden wollen raus, sagt Susanne Färber vom Gewerbeverein der Kreisstadt Neunkirchen. „Der Drang, nach draußen zu gehen, ist enorm groß, genauso wie der Drang, über Sorgen und Nöte zu sprechen und Positives zu erleben." Die Augenoptikermeisterin war bislang noch in einer privilegierteren Position als viele andere Einzelhändler: Optikläden durften als systemrelevante Geschäfte offenbleiben.
Mit Blick auf die kommenden Monate mahnt Michael Genth jedoch einen Schulterschluss von Handel, Gastronomie, Banken, Vermietern und der Stadt an. Denn ein weiteres Thema treibt die Einzelhändler um: „Niemand kann derzeit eine reguläre Miete zahlen." Die Folgen daraus müssten alle gemeinschaftlich schultern und aufeinander Rücksicht nehmen. Nur so gelänge es, Leerstände künftig zu vermeiden. „Und von vorne anzufangen ist in der jetzigen Situation sehr schwierig", so Genth.
Als schwierig bezeichnet Harald Feit, Inhaber eines Fachgeschäftes für Bürotechnik, ebenjene Situation zwischen Mietern und Vermietern in der Kreisstadt Saarlouis. Zum einen sei die Erleichterung bei Kunden, wie bei den Händlern greifbar. Dennoch sei die Stimmung von Unternehmern vielerorts angespannt, weil Vermieter auf ihren Ladenmieten bestehen. „Wir haben bereits einige Leerstände, und das wird sich ausweiten, wenn die Politik nicht die Moderation des Problems übernimmt", so Feit, Vorsitzender des örtlichen Verbandes für Handel, Handwerk, Industrie und Freie Berufe. Wenn der Nebel sich lichte, werde sich das auch auf die Immobilienpreise auswirken.
„Wirkung auf Immobilienpreise"
Derweil sitzen viele Einzelhändler, vor allem die Bekleidungs- und Schuhgeschäfte, auf den Winterwaren. Dass seit einigen Tagen wenige Kunden mit Termin in die Läden können, hilft da wenig. Im Lebensmittelgeschäft und beim Online-Handel läuft es dagegen sehr gut, ebenso bei Lieferdiensten in der Gastronomie. Jeder vierte Gastronomiebetrieb aber denkt laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ans Aufgeben. Außerdem könnten auf den Gesetzgeber noch mehr coronabedingte Klagen zukommen. So geht der Handelsverband Deutschland (HDE) davon aus, dass zahlreiche Einzelhändler auf eine staatliche Umsatzerstattung für die Schließung ab Mitte Dezember klagen. Dies habe gute Erfolgsaussichten, glaubt der HDE. Grundlage ist ein Gutachten, das der Verband in Auftrag gegeben hat. Dieses sieht laut dem Verband eine haltlose Ungleichbehandlung von Handel und Gastronomie. Denn Gastronomen könnten sich über die Dezemberhilfe bis zu 75 Prozent ihres entgangenen Umsatzes ausgleichen lassen. Der Handel dagegen werde auf die Überbrückungshilfe III verwiesen, mit der Fixkosten teilweise kompensiert werden. Dies sei deutlich weniger Geld als die Dezemberhilfe.
Die Verbände sowohl von Gastronomie, als auch Handel erwarten von der nächsten Runde der Regierungsspitzen von Bund und Ländern die Aussicht auf eine Öffnung. „Die Politik muss weg von der Symbolpolitik der Ladenschließungen", forderte Stefan Genth, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands. Das Infektionsrisiko in Geschäften sei gering. „Ein nachhaltiger Weg in die Öffnung funktioniert nur, wenn sich die Politik von den starren Inzidenzen löst, weitere Parameter wie die Auslastung der Intensivbetten und die höheren Testquoten berücksichtigt", so Genth. Gewerbevereine verweisen darauf, dass die Kunden Verantwortung zeigen und sich an die Hygieneverordnungen der Geschäfte halten. Und auch die Gastronomie dringt immer stärker auf eine Perspektive. Kein Betrieb dürfe länger als gesundheitspolitisch geboten geschlossen bleiben, meinte Dehoga-Geschäftsführerin Hartges. Es müsse schneller gehen mit dem Impfen und Testen. „Der Endlos-Lockdown ist keine Lösung – nicht für die Unternehmer, nicht für die Beschäftigten."