Die Pandemie hat sich zu einer regelrechten „Infodemie" entwickelt. Nachrichten und Eilmeldungen verfolgen uns rund um die Uhr. Die Überflutung führt in die totale Überforderung. Was macht all das mit dem Vertrauen der Menschen in die Medien?
In der Corona-Pandemie passiert vieles gleichzeitig und kommt widersprüchlich daher. Einerseits sind traditionelle Medien als Informationsquelle gefragt wie selten zuvor, gleichzeitig werden sie als „Mainstream-Medien" und damit per se unglaubwürdig verteufelt. Die Vertrauenskrise in die Medien geht scheinbar einher mit dem Vertrauensverlust in die Politik.
Aber auch hier scheint nicht alles so düster, wie es der schon fast alltäglich gewordene Zweifel an der Glaubwürdigkeit nahelegt.
Eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC untermauert zwar die Vertrauenskrise der Medien schon vor der Krise (2018/2019), aber mitten im ersten Corona-Jahr zeigt sich ein anderes Bild: Rund 90 Prozent halten das Medienangebot in Deutschland für qualitativ gut oder sogar sehr gut, zwei Drittel (67 Prozent) die Informationen für glaubwürdig (September/Oktober 2020, Infratest Dimap im Auftrag des WDR). Die besten Werte erhielten öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehangebote sowie Tageszeitungen. Am wenigsten Vertrauen wird dagegen den Social-Media-Plattformen wie Youtube, Twitter, Facebook und der Boulevardpresse entgegengebracht. Die jüngere Generation hält im Übrigen ansonsten gern und viel genutzten Apps wie beispielsweise Whatsapp und Telegram ebenfalls für nicht vertrauenswürdig.
Fake News nehmen weiter zu
Als Hauptinformationsquelle über das politische Geschehen wurden von den Befragten das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Tageszeitungen angegeben. Über die Hälfte bewerten die Corona-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien und der Tageszeitungen als gut. Die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau" soll alleine im Jahr 2020 um die zwei Millionen Zuschauer dazugewonnen haben. Es scheint also wie eine Wiederentdeckung der alten, seriösen Informationskanäle in der Krise. Aber ganz so ungetrübt ist das Bild nicht, denn gleichzeitig äußerte mehr als ein Drittel (35 Prozent) der Befragten die Meinung, die Berichterstattung würde durch Vorgaben von Staat und Regierung gelenkt.
Auch eine Umfrage von Hubert Burda Media im November 2020 bestätigt die Zahlen und die Beobachtung, dass das Informationsbedürfnis durch Corona gestiegen ist. Aus dieser Studie geht aber auch hervor, dass die Befragten sich durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien zunehmend beunruhigt fühlen.
Diese Beunruhigung hat ihre Gründe, denn im Zuge der Pandemie entstand eine wachsende Verbreitung unkontrollierter Fehlinformationen über das Virus, die Medizin und die Impfungen, die von sogenannten disinformation campaigns mit Absicht forciert werden. Laut Forschern der University of Oxford soll angeblich vor allem Russland Falschinformationen über die Pandemie gezielt eingesetzt haben, um die westliche Demokratie und die EU zu destabilisieren. Auch der Sprecher des Auswärtigen Dienstes, Peter Stano, geht davon aus, dass Aussagen über Fakten gezielt aus dem Zusammenhang gerissen und anschließend missverständlich kombiniert werden. So sollen russische Medien Studien zufolge beispielsweise verstärkt über Anti-Corona-Proteste und Verschwörungstheorien berichten, während chinesische und türkische Staatsmedien eher den guten Umgang ihrer Länder mit der Pandemie betonen.
Überbietung mit Sondersendungen
Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA sei das Vertrauen in die Medien zunehmend belastet, wie Jonas Nesselhauf, Juniorprofessor für Europäische Medienkomparatistik der Universität des Saarlandes, weiß. Er führt den Vertrauensverlust auf zwei Ursachen zurück. Zum einen habe gerade seit 9/11 in den USA eine stetige Flut an 24-Stunden-Nachrichtenberichterstattungen begonnen, die zudem mit einer immer stärkeren Politisierung verbunden sei.
Mit dem Aufkommen von Fox News, einem stark konservativen Medium am rechten politischen Rand, verschoben sich etablierte Networks wie ABC oder Nachrichtensender wie MSNBC stark nach links, um sich abzugrenzen. „Wenn Medien eine politische Agenda bekommen, sorgt das auch dafür, dass das Vertrauen sinkt, da es sehr stark an politische Fronten gebunden ist", erklärt Prof. Jonas Nesselhauf. Der Selbstüberbietungswettbewerb der politischen Lager gehe mit dem Vertrauensverlust der Bevölkerung einher. „Denn die Leute, die Fox News schauen, würden natürlich dem Nachrichtenbericht auf CNN niemals trauen und umgekehrt." Das Gleiche gelte auch für die großen Zeitungen „New York Times" auf der einen und „Wall Street Journal" auf der anderen Seite. Als zweite Ursache betrachtet Nesselhauf die zunehmende Schnelllebigkeit des Journalismus, da Informationen quasi in Echtzeit verbreitet werden. Das betrifft natürlich nicht nur die Berichterstattung in den USA, sondern die auf der ganzen Welt. „Jeder kann quasi Journalist sein", gibt der Professor zu bedenken, was auf die zunehmende Digitalisierung und die Bedeutung von Social Media zurückzuführen ist.
Nicht nur die Tatsache, dass im Netz ungefiltert und unkontrolliert Informationen verbreitet würden, sondern auch die sehr erhebliche Rolle von Algorithmen sei nicht zu unterschätzen. „Man müsste im Prinzip jeden Tag die Cookies löschen, ansonsten ist man immer nur in dieser einen Bubble. Man bekommt nur Dinge angezeigt, die einem potenziell gefallen, damit man länger auf den jeweiligen Internetseiten bleibt", erklärt Jonas Nesselhauf. „Wenn ich beispielsweise Querdenker bin, dann bekomme ich immer nur meine Wahrheiten angezeigt und bewege mich in dieser Bubble. Und wenn ich mich dann abends hinsetze und die ‚Tagesschau‘ angucke oder eine Talkshow von Markus Lanz oder jemand anderem, dann höre ich plötzlich andere Dinge und habe sicher Probleme, da zuzustimmen", fährt der Professor fort. Spaltung innerhalb der Gesellschaft würde durch die Medien zum Teil noch forciert. Der Professor für Europäische Medienkomparatistik nennt als Beispiel: „Gerade im Zusammenhang mit Corona haben viele Menschen das Gefühl, dass abweichende oder kritische Positionen nicht ausreichend zu Wort kommen würden. Für die Demokratie und eine ausgewogene Presselandschaft ist das allerdings nicht gut. Denn so gefährlich diese abweichenden Meinungen auch sind in diesen Zeiten, muss man sie eigentlich aushalten können." Zu den Folgen dieser Ausgrenzung fügt er noch hinzu: „Das führt erstens zu einer Selbstviktimisierung (Anm. d. Red.: man erklärt sich selbst zum Opfer), weil man leicht sagen kann: ‚Unsere Meinungen werden nicht gehört‘. Und zweitens ist das ein naturwissenschaftliches Prinzip: Wenn sich irgendwo Druck anstaut, muss er eben woanders hin. Und abgesehen von neu-rechten Zeitungen sind dann natürlich soziale Netzwerke der Ort, wo sich das Angestaute entleert."
Doch welchen Medien vertrauen wir überhaupt und warum? „Es gab früher immer wieder ikonische Nachrichtensprecher, vor allem Männer. In den USA war das beispielsweise Tom Brokaw, in Deutschland war es vielleicht jemand wie Ulrich Wickert von den ‚Tagesthemen‘. Diese Ikonen hätten alles sagen können, man hätte ihnen blind vertraut. Und ich glaube, wenn mit einer solchen Regelmäßigkeit quasi jeden Abend jemand ins Wohnzimmer kommt und es sowieso wenig Auswahlmöglichkeiten gibt – vor wenigen Jahrzehnten beispielsweise noch gerade mal drei Kanäle – dann bringt man den Nachrichten deutlich mehr Vertrauen entgegen als das heute vielleicht der Fall ist. Gerade in diesen Sondersendungen heute, die regelrecht zu einem Selbstüberbietungswettbewerb verkommen. Wer ist noch näher dran, wer hat den spannendsten Interviewgast und so weiter."
Andere Meinung aushalten
Allerdings zeigen Studien und Umfragen, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch im Vereinigten Königreich und Frankreich im Zuge der Corona-Pandemie das Vertrauen in die Medien erneut gestiegen sein soll. Während sich die französischen Medien von den Gelbwestenprotesten von 2018 und 2019 noch erholen, beobachtet der Professor für Europäische Medienkomparatistik im Vereinigten Königreich vor allem eine starke Boulevardisierung der Medien. Die Berichterstattung sei dadurch wesentlich aufgeladener als in Deutschland und das Land wolle sich zunehmend von den Impfproblemen der EU abgrenzen. Im Sinne der Pressefreiheit ist auch Nesselhauf der Meinung, es sei gut, dass es keinerlei Zensur gäbe.
Allerdings sei vor allem im Netz eine erhöhte Aufmerksamkeit notwendig. In Frankreich kämpften im Mai letzten Jahres 30 Medienhäuser gegen eine von der französischen Regierung als „sichere Quelle und zur Lektüre empfohlene" Rubrik namens „Desinfox Coronavirus" zur Beschaffung von Informationen über Corona auf einer Internetseite der Regierung an, denn der Staat sei nicht „Richter über Information".
Die Gefahr von Social Media und neueren Medien wie Podcasts und Kanälen von Influencern sei vor allem für jüngere Generationen nicht zu unterschätzen. Denn dort würden politische Informationen nicht nur unkontrolliert verbreitet, sondern auch in den Alltag eingebettet, sodass eine zunehmend unbewusste Politisierung, auch von jüngeren Generationen, stattfinde. Laut Professor Nesselhauf dürfe man nicht nur die Reichweite dieser Personen des öffentlichen Lebens, sondern auch die Regelmäßigkeit und die Serialität ihrer Formate nicht unterschätzen. „Hier fehlt einfach eine gewisse Distanz. Wir können mit den Influencerinnen und Influencern in Kontakt treten und Kommentare hinterlassen, die vielleicht sogar geliked oder beantwortet werden", erklärt er.
Das schaffe eine Illusion und vermeintliche Intimität, die dafür sorgen kann, dass Informationen falsch gewertet werden und eine Person möglicherweise in eine bestimmte Richtung beeinflusst wird. Auch das könnte im schlimmsten Fall zu Spaltung und Vertrauensverlust führen.
Bei all diesen vermeintlichen Bedrohungen in den Medien ist es erleichternd, wenn auch etwas überraschend, dass das Vertrauen innerhalb der Bevölkerung in die Medien insgesamt während der Pandemie gestiegen sein soll. Vielleicht ist das auf die Tatsache zurückzuführen, dass man so stark auf Informationsbeschaffung angewiesen ist, wie schon lange nicht mehr. Eigenverantwortlichkeit ist dabei jedoch nicht zu unterschätzen. Die selbstständige Prüfung von Quellen und eine stetige Reflexion von Informationen sollten während der Pandemie bei jedem Mediennutzenden auf der Tagesordnung stehen.