Die Corona-Pandemie wäre ohne die Unsummen, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) als Schulden aufgenommen hat, nicht zu ertragen gewesen. Wie aber das geliehene Geld wieder zurückgezahlt werden kann, darüber scheiden sich die Geister.
Der IW-Direktor Michael Hüther hat einen Vorschlag gemacht.
Noch nie seit 1945 hat der Staat so viel Geld in so kurzer Zeit für ein Ziel ausgegeben wie in der Corona-Pandemie: 650 Milliarden Euro. So viel Schulden nehmen Bund, Länder und Kommunen auf. Das entspricht etwa einem Fünftel der deutschen Wirtschaftsleitung eines Jahres. 480 Milliarden, der Anteil des Bundes, müssten laut Schuldenbremse schon in 20 Jahren zurückgezahlt werden.

Die Zahlen hat das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) berechnet. Michael Hüther, Direktor des IW, ist kein Experte, der zu Dramatisierungen neigt. Trotzdem gibt er zu bedenken, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist: „Wir wissen nicht, wie lange es dauert, bis endlich ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist und wann die wirtschaftliche Erholung eintritt. Bis dahin kostet die Pandemie den Staat jede Woche Milliarden."
650 Milliarden Schulden für Bund, Länder und Kommunen
Hüther hat sich damit beschäftigt, wie Deutschland diese Corona-Schulden bewältigen kann. Das haben andere auch getan, und sie haben schon eine Lösung gefunden. SPD-Chefin Saskia Esken will kurzerhand Vermögende in der Corona-Krise künftig stärker zur Kasse bitten. Lisa Paus, finanzpolitische Sprecherin der Grünen, möchte Krisengewinnlern wie zum Beispiel Amazon Sonderabgaben auferlegen. Und das Konzept der Linken sieht Steuern für die Reichsten vor, die bei einem abgabepflichtigen Vermögen von über 100 Millionen Euro bis auf 30 Prozent steigen können. Der IW-Chef entgegnet diesen Plänen ganz nüchtern: Egal, wie tief man den oberen zehn oder 20 Prozent in die Tasche greife, um die Kosten der Krise auszugleichen, was sich da „erbeuten" lasse, werde nicht ausreichen.
Was aber würde passieren, wenn der Staat wie ein privater Schuldner sich gezwungen sähe, durch hohe Rückzahlungen die Schulden möglichst schnell abzudecken? Was für jeden Privatmensch gilt, gilt für den Staat nicht. Darauf hat Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hingewiesen. Nicht selten passiere der Irrtum (selbst bei der SPD), den Staat als Schuldner genauso zu sehen wie einen Privatschuldner und die Staatstätigkeit einer unternehmerischen Tätigkeit gleich zu setzen. „Ein Staat ist jedoch weder ein Unternehmer noch ein Privatschuldner. Er unterscheidet sich von diesen in drei wesentlichen Merkmalen", so Horn. Er könne vor seinen Gläubigern nicht fliehen, sei quasi unsterblich und trage kein unternehmerisches Risiko, weil er nicht mit seinem Eigenkapital hafte, sondern sich im Zweifel immer wieder durch Steuern refinanzieren könne. Und in Zeiten von Niedrigzinsen lohne sich das erst recht.
Gustav Horn schlussfolgert: „Diese Eigenschaften des Schuldners Staat bewirken, dass es im Vergleich zu anderen Schuldnern sehr sicher ist, ihm Geld zu leihen. Der Kauf von Staatsanleihen ist also eine sehr sichere Geldanlage." Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass es gefährlich ist, einen riesigen Schuldenberg vor sich her zu schieben. Sollte sich das Zinsniveau auch nur wenig ändern, fällt die ganze Last auf die Schultern der nächsten Generation.
Hüthers Vorschläge lauten also: Erstens Schuldenrückzahlung strecken. Nicht in 30, in 40 Jahren sollten die Haushaltsexperten rechnen. Jedes Jahr müsste der Bund also statt 16 nur zwölf Milliarden Euro für die Rückzahlung vorsehen. Für Hüther wird es entscheidend auf das kommende Jahrzehnt 2022 bis 2032 ankommen. Das sieht er als ein „Modernisierungsjahrzehnt". Große Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Bildung stünden an, der Kohleausstieg, die Digitalisierung, auch die steigenden Militärausgaben und die Alterung der Gesellschaft mit der Folge des Fehlens von Fach und Nachwuchskräften kosteten Milliarden. „Wir haben nicht nur die Pandemie-Folgen zu meistern, sondern auch einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel", so Hüther.
Das ginge nur, wenn – zweitens – die Schuldenbremse, die eigentlich ab 2023 wieder in Kraft treten sollte, zumindest zeitweise gelockert werde. Damit wäre es möglich, einen „Deutschlandfonds" aufzulegen, der zu „exakt definierten Zwecken" (Bildung, Klimaschutz, Infrastruktur) genutzt werde. „Auf zehn Jahre könnten so jährlich 45 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden." Das deckt sich mit Vorstellungen der Grünen, die ebenfalls ein staatliches Investitionsprogramm in Höhe von 500 Millionen Euro vorschlagen – eine seltene Übereinsimmung. Diese Investitionen würden aus den künftigen Steuereinnahmen, die sich daraus ergäben, gedeckt.
Schuldenbremse lockern, mehr Schulden genehmigen

Drittens würde den Bundesländern eine zusätzliche Neuverschuldung von 0,15 Prozent der Wirtschaftsleistung pro Jahr genehmigt, die heute nicht vorgesehen ist. Das würde ihnen helfen, ihren Teil der Corona-Schulden abzutragen, ohne ihre laufenden Aufgaben zu gefährden. Denn der enorme Investitionsstau ergebe sich auch daraus, dass die Kommunen in den vergangenen Jahrzehnten trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung nicht investieren konnten, weil sie zu tief in den Altschulden steckten. Die Pandemie hat das nicht besser gemacht, im Gegenteil: Jetzt brach mit der Gewerbesteuer auch eine der wichtigsten Einnahmenquellen weg.
An der Erfolgsgeschichte nach der letzten großen Wirtschaftskrise 2009 könne man sich schlecht orientieren, dieser Erfolg werde sich nicht wiederholen lassen, warnt Hüther. Nach 2009 hat sich die Konjunktur gut entwickelt –
rund 45 Millionen Personen gingen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Dadurch flossen die Steuern und Sozialbeiträge so reichlich wie noch nie. Dazu kam, dass die Zinsen auf ein historisches Tief gesunken sind, was das Schuldenmachen enorm erleichterte. Das werde sich nicht wiederholen.
Dennoch geht das IW derzeit in einer laufenden Studie der Frage nach, wie hoch das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland eigentlich sei. Hüther: „So gibt es beispielsweise viele Frauen, die unfreiwillig zeitlich beschränkt in Teilzeit arbeiten, weil das Betreuungsangebot nicht ausreicht." Auch von einer Erhöhung der Lebens- und der „Jahresarbeitszeit" spricht Hüther, denn demografisch bedingt wird die Zahl der Erwerbspersonen abnehmen. „Aus all diesen Gründen können wir nicht auf vorhandene Rezepte vertrauen, sondern müssen einen neuen Weg finden, um der Schulden Herr zu werden."