Kleinkünstler, Veranstalter, Designer, Musiker, Schauspieler und viele mehr – die Kultur- und Kreativbranche ist eine der am härtesten von den Pandemiemaßnahmen betroffenen Branchen. Einer Studie zufolge verliert sie in diesem Jahr 30 Milliarden Euro. Die Mehrheit sieht ihre Existenz als gefährdet an.
Noch immer alles dicht – und keine Aussicht darauf, wann sich das ändern könnte. Die Kultur- und Kreativszene lebt derzeit buchstäblich von der Hand in den Mund. Viele sehen ihre Existenz gefährdet und auch für das zweite Halbjahr keinerlei Perspektiven. Denn diese müssten von klaren Öffnungsplänen seitens des Bundes und der Länder ausgehen.
Die anhaltende Corona-Pandemie könnte für Kultur- und Kreativwirtschaft einer Studie zufolge in diesem Jahr über 30 Milliarden Euro an Umsatzverlust bedeuten. In einigen Bereichen werden bis zu 69 Prozent Minus erwartet. Die Szene werde „länger als andere Branchen brauchen, um aus der Krise herauszukommen", heißt es in der Analyse des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Je nach Szenario werden die Umsatzverluste für 2021 mit zwischen 11,5 und 31,8 Milliarden Euro beziffert. Damit könnten sich die Rückgänge auf einem ähnlichen Niveau wie 2020 bewegen, hieß es. Im vergangenen Jahr lag das Minus den Angaben zufolge bei 22,4 Milliarden Euro.
Lücke in der Altersvorsorge droht
Innerhalb von Kulturwirtschaft und Kreativwirtschaft ergeben sich laut Studie ähnlich wie im Vorjahr erneut deutliche Unterschiede. So berechnete das Zentrum gegenüber dem Vorkrisenjahr 2019 für dieses Jahr für darstellende Künste ein Minus von bis zu 69 Prozent. In der Musikwirtschaft (minus 59 Prozent) und im Kunstmarkt (minus 61) sind die Werte ähnlich dramatisch. Andererseits gibt es weniger betroffene Teilmärkte etwa bei der Software- und Games-Industrie, wo keine Umsatzveränderung erwartet wird, oder dem Architekturmarkt, wo die Verluste mit zehn Prozent berechnet sind – auch dies eine Folge der Homeoffice-Tätigkeit.
Hinter den Zahlen stecken jedoch handfeste Existenzängste und strukturelle Probleme. Für viele Betroffene in der Branche greift durch die Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft die Grundsicherung nicht. Dadurch bleibt nur, auf Rücklagen zurückzugreifen, um in eine Digitalisierung der eigenen Arbeit zu investieren. So dieses Geld überhaupt existiert. Diese Rücklagen fehlen. Auch auf die Vorsorge wird sich das natürlich massiv auswirken. Auch gebe es „keine Lösung für die Umsatzverluste aus der Verwertung von Urheberrechten, die sich ab Mitte dieses Jahres bemerkbar machen", so Branchenvertreter. Hier seien Lösungen dringend gefragt.
Laut einer Umfrage der öffentlichen Fördereinrichtungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft drohe der Kreativwirtschaft ein „Braindrain" – aufgezehrte Rücklagen, die auch für die Altersvorsorge wichtig sind, zwingen vor allem viele Gründer von der Selbstständigkeit in die abhängige Beschäftigung. 42 Prozent der selbstständigen Betriebe verzeichneten einen Umsatzrückgang von über 70 Prozent.
Doch die Krise bot auch Chancen. Viele Selbständige reagierten laut Studie agil auf die Krise und entwickelten neue künstlerische kreative Ideen und Projekte, stellten ihr Geschäftsmodell um oder erweiterten dies, bildeten sich weiter, brachten neue Technologien zur Anwendung, optimierten Arbeitsabläufe, digitalisierten ihre Angebote und erschlossen neue Netzwerke beziehungsweise Kundengruppen.
Besonders gut durch die Krise kam insbesondere die Musikindustrie. Dank großer Zuwächse im Audio-Streaming hat die deutsche Musikindustrie die Folgen der Corona-Pandemie beim Umsatz 2020 gut weggesteckt. „Die Einnahmen aus Tonträgerverkäufen und Erlösen aus dem Streaminggeschäft beliefen sich auf 1,79 Milliarden Euro, das ist ein Plus von neun Prozent gegenüber 2019", teilte der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) mit. Bereits Anfang Januar hatte der BVMI mitgeteilt, dass laut Sonderauswertung des Marktforschungsinstituts GfK Entertainment im Vorjahr hierzulande mehr als 139 Milliarden Musik-Streams verzeichnet wurden – fast ein Drittel mehr als 2019 (107 Milliarden) und sogar drei Viertel mehr als 2018.
Musikindustrie mit gutem Plus
Beim CD-Absatz war die zeitweilige Schließung von Geschäften laut Branchenzahlen deutlich zu spüren: Der Anteil am Gesamtumsatz ging noch einmal um 18 Prozent zurück, bei jetzt 21,6 Prozent ist die silberne Digitalscheibe jedoch weiterhin das zweitstärkste Format des deutschen Musikmarktes. Mit klarem Abstand folgt – erstmals seit langem wieder auf Platz drei – die Vinylplatte mit 5,5 Prozent Gesamtmarkt-Anteil.
Die digitale Aufstellung vieler Musikfirmen habe die Krise abgemildert, hieß es aus der Branche. Dies dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Künstlerinnen und Künstler sowie das Livemusik-Geschäft in dramatischem Ausmaß von den Lockdowns betroffen und die Spätfolgen der Konzertausfälle noch nicht absehbar seien, sagte Verbandschef Florian Drücke. Erschwerend kommt aus BVMI-Sicht weiterhin Unmut über die Regelung des Urheberrechts hinzu. Denn Kreative und ihre Partner sollten eigentlich „besser an den Umsätzen von User-Upload-Plattformen wie YouTube partizipieren". „Es fehlt in Deutschland leider immer noch der Blick für die Branchenwirklichkeiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft – und eben auch dafür, wie mit kreativen Inhalten Geld verdient wird", sagte Drücke – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Kultur- und Kreativbranche zu den am stärksten wachsenden Branchen zähle.
Ob das zweite Halbjahr besser wird, bezweifeln viele Selbstständige. Sie rechnen laut Studien erst 2022 mit einer Erholung. Erste Lichtblicke bieten zwar Formate wie Picknick-Konzerte. Doch die vollständige Normalität ist noch in weiter Ferne.