Die Bundestagswahl ist auch eine Klimawahl. Zumindest haben das alle in ihrem Programm. Dass das auch sozialen Sprengstoff in sich birgt, wird inzwischen immer deutlicher und fordert Antwort von Wahlkampfspitzenpersonal.
Es ist ein Brief, wie ihn seit dem Beschluss der Bundesregierung zur Förderung der energetischen Gebäudesanierung vor gut anderthalb Jahrzehnten, Hunderttausende von Menschen in Deutschland von ihrer Hausverwaltung erhalten haben: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass ihre Wohnanlage nun in den Bereich der energetischen Sanierung kommt. Das heißt für Sie, zukünftig werden weniger Energiekosten anfallen und obendrein schützen wir die Umwelt durch eine massive CO2-Reduktion.“
Das mit den gesenkten Heizkosten ist in erste Linie sicher richtig, doch was die Hausverwalter ihren Mietern im ersten Anschreiben nicht mitteilen, ist, dass die gesenkten Heizkosten bei ihnen definitiv nicht ankommen werden. Im Gegenteil. Da die energetische Sanierung auf die Mieter umgelegt wird, werden die Wohnungen geraden im unteren Mietsegment rabiat teuer. Doch das war und ist erst der Beginn, danach kam die EEG-Umlage auf den Strom. Das Besondere an diesem Instrument: Wer wenig verbraucht, muss exponentiell erheblich tiefer in die Tasche greifen als Haushalte mit hohem Verbrauch. Bei einem Einpersonenhaushalt mit unter 1.000 Kilowatt bedeutete dies innerhalb von zehn Jahren eine glatte Verdoppelung der jährlichen Stromkosten von 250 auf 500 Euro (Beispiel Vattenfall Berlin-Tarif). Betroffen sind hier vor allen Menschen mit kleineren Renten und die Arbeitnehmer in den unteren Lohngruppen. In diesen Kreisen erzeugen Worte wie „energetisch“ oder „erneuerbar“ geradezu Angstzustände.
Verteilungskämpfe bei Klimawende
Der Überbietungswettbewerb beim Klimaschutz lief dann vor gut zwei Jahren mit Fridays for Future (FFF) völlig aus dem Ruder und alle politisch Aktiven versuchten, mit dabei zu sein, um nicht zu sagen, biederten sich geradezu an. Außer Ulrich Schneider. Der 62-Jährige kritisierte bereits damals vor allem die „Klimakinder“ um FFF. Er bezweifelte nicht, dass die Umwelt-Forderungen sicherlich alle ihre Berechtigung hätten, nur seien sie sozial wenig bis gar nicht durchdacht. Nasenrümpfen bei den Klimakämpfern. Eine ihrer Hauptprotagonisten stellte solche Bedenken im FORUM-Interview unter den Generalverdacht der „Klimaverweigerung, weil es Geld kostet“. Das wiederum wies Ulrich Schneider schon damals weit von sich.
Der Mann ist in Oberhausen geboren und groß geworden. Er kennt das Umwelt-Phänomen, dass Muttern die frischgewaschene Wäsche nicht im kleinen Garten aufhängen konnte, weil sie nach dem Trocknen grau war und leicht staubte. Schneider weiß also nur zu gut, was Umweltverschmutzung ist. Inzwischen kümmert sich Dr. Ulrich Schneider hauptberuflich um andere Verwerfungen: den sozialen Frieden. Er ist seit 22 Jahren der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Allein aus seiner Sozialisierung in Oberhausen weiß er: Heute kann man die Wäsche im Garten aufhängen, aber dafür gibt es vor Ort fast keine industriellen Arbeitsplätze mehr. Schneider hat die sozialen Verwerfungen und Ängste hautnah miterlebt, die Zechensterben durch ausländische Konkurrenz und Umweltauflegen bei den Menschen auslöst. Und bereits vor zwei Jahren war er einer der Ersten, der diese gesellschaftlichen Zusammenhänge in die Zukunft dachte. Der 62-Jährige hat Sorge, „dass diese soziale Angst bei der bevorstehenden Bundestagswahl, die dringend notwendigen Bemühungen zur Klimaneutralität“ die Wähler bei ihrem Votum zu falschen Schlüssen animiert.
„In den bisher vorgestellten Wahlprogrammen, werden zwar angestrebte Klimaziele ausformuliert. Doch niemand ist bislang auf die Idee gekommen, wirklich schlüssig zu erklären, wie gerade die sozial Schwachen vor den anstehenden Kosten geschützt werden“, so Schneider.
Ein gängiges Argument in der Klimadebatte beinahe aller Parteien ist, die Mehrkosten für die angestrebte Klimaneutralität müssen von den „starken Schultern“ per höheren Steuern getragen und dafür die anderen durch Steuererleichterungen entlastet werden. „Das hat in den letzten Jahren bei diversen anderen Öko-Gesetzen auch nicht funktioniert. Denn die Mehrkosten durch Ökoauflagen bei Besserverdienenden konnten bislang dann ja meist wieder steuerlich abgesetzt werden, während die unteren Lohngruppen von größeren steuerlichen Entlastungen, keinen finanziellen Vorteil hatten.“ Was logisch ist, denn ihr Steueraufkommen ist ja viel geringer. Diesbezüglich ist Ulrich Schneider von den vergangenen zehn Jahren Klima-Steuerpolitik also reichlich desillusioniert und in Anbetracht der Herausforderungen der Klimawende wird seine Laune diesbezüglich auch nicht viel besser. „Denn diese Aufgaben können wir nur gemeinsam stemmen, doch wenn Menschen Angst davor haben, weil sie den sozialen Abstieg fürchten, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Wahlentscheidungen haben.“
Bislang stieß der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes damit auf wenig Resonanz. Er steht mit allen Parteien, bis auf die AfD mi ihrer speziellen Haltung in diesen Fragen, im regen Austausch, doch den großen, „ökosozialen“ Wurf sieht er gerade noch nicht. „Aber der Wahlkampf hat ja auch noch gar nicht angefangen und bei einigen Parteien steht ja selbst noch das Wahlprogramm aus“.
Liest man den Forderungskatalog, den der Paritätische Gesamtverband zusammen mit dem BUND für eine „sozialökologische Transformation“ erarbeitet hat, stellen sich Fragen an alle Parteien, vor allem aber die, deren Kandidaten das Kanzleramt im Blick haben:
„Das können wir nur gemeinsam stemmen“
Überwindung von Hartz IV, eine Anhebung der Regelsätze auf 644 Euro. ein gesetzlicher Mindestlohn von 12 Euro, dazu die volle Rückzahlung der CO2-Bepreisung an alle per Kopf-Pauschale. Trotz energetischer Sanierung so etwas wie einen Mietendeckel einführen und dazu den Ausbau des Gemeinnützigen Wohnungsbaus massiv fördern. Finanziell leistbare Mobilität für jedermann, Eindämmung des innerstädtischen Individualverkehrs und Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
Ulrich Schneider räumt gegenüber FORUM ein, dass diese Forderungen selbst für die Grünen politisch „harter Tobak sein dürften, aber ohne die damit anstehenden Verteilungskämpfe bekommen wir die Klimawende nicht hin, für alles andere wird es keinen gesellschaftliche Akzeptanz und einen Konsens geben“. Eine seiner sozialen Horrorversionen: Der Gutverdiener bringt seine Kinder mit einen Elektro-SUV, fast steuerbefreit und mit Staatsprämie von 7.000 Euro erworben, zur Schule. Eltern mit kleinerem Geldbeutel tuckern mit einem alten Diesel bei Kfz-Steuer Höchstsatz vor und zahlen dann noch fünf Euro für den Liter Sprit. „Abgesehen vom Wohnen könnte die Mobilitätsfrage schon in wenigen Jahren zu einem sozialen Sprengsatz werden, der die Gesellschaft zerreißt“. Die jüngste Wahlkampfforderung der Grünen-Kanzlerkandidatin nach einem Verbot von Kurzstreckenflügen und der Vollbesteuerung von Kerosin ist für den Paritätischen Hauptgeschäftsführer zwar richtig, aber zu kurz gesprungen. „Darum geht es für sehr viele Menschen eben nicht, sondern, ich muss auch zukünftig in meinem Alltag bezahlbar von A nach B kommen“.