Für viele geht es um die Existenz: Die saarländische Kultur- und Kreativbranche wartet noch immer auf eine Spur Normalität. Lars Potyka von Dock11 erwartet diese erst wieder 2022. Designer Oliver Jungmann hat in der Krise sein Geschäftsmodell geändert – und kam damit glimpflich durch den Lockdown.
Herr Jungmann, Sie haben die Pandemie als Chance genutzt. Wie?
Oliver Jungmann: Ich bin seit 2009 selbstständiger Kommunikationsdesigner. Im vergangenen Jahr habe ich mich entschieden, in Richtung Film zu gehen. Der Lockdown hat mich in meiner Entscheidung, dies zu tun, noch mehr bekräftigt, denn ich habe gemerkt, dass sich trotz guter Auftragslage ziemlich schnell ziemlich viel verändert hat – trotz vieler Kunden aus Industrie und Wirtschaft.
Inwiefern?
Jungmann: Zwei mittelständische Unternehmen, die zu meinen Kunden zählen, brauchten plötzlich im klassischen Grafikdesign von mir keinen Input mehr: keine Messen, keine Imagebroschüren. Es hieß abwarten. Ein anderer Kunde, der Visitenkarten bestellt hatte, meinte zu mir: „Wem soll ich die denn geben?" Trotzdem habe ich überlegt, was für sie von Vorteil ist. Und mir kam die Idee, Videos für sie zu drehen.
Hatten Sie diesbezüglich schon Vorerfahrung?
Jungmann: Ja, ich fotografiere und habe ein Tonstudio betrieben. Aber ich dachte, die Unternehmen wollen sich ja trotz Lockdown mitteilen. Per Film Emotionen zu transportieren, war eine Herausforderung, aber auch für mich eine gute Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln.
Und wie war die Resonanz?
Jungmann: Die Idee wurde gut aufgenommen, und zwar ziemlich schnell. So schnell, dass ich im Dezember entschieden habe, zu investieren. Ich habe professionelle Ausrüstung geleast und Mitarbeiter eingestellt.
Blieb die Existenzangst trotzdem?
Jungmann: Die Jahre davor waren immer schwierig. Diese Episode aber hat mir gezeigt, dass ich als Kreativer offen sein muss, um neue Wege einzuschlagen. Das Spezialistendenken, das in der Branche oft vorherrscht, war in diesem Fall kontraproduktiv. Aber ich habe das nie so gesehen. Offen bleiben heißt, sich auf eine neue Herausforderung schnell einstellen zu können und auch den Mut zu haben, sich darauf einzulassen – auch wenn es gerade nicht so läuft.
Haben Sie also überhaupt Corona-Hilfen in Anspruch nehmen müssen?
Jungmann: Ich habe mich für ein Stipendium beworben und 3.000 Euro erhalten. Damit konnte ich ein Projekt starten, das noch auf seine Fertigstellung wartet. Als freiberuflicher Kommunikationsdesigner hat man zwar nicht so viele laufende Ausgaben, aber es war zwischenzeitlich finanziell schon schwierig. Abwarten und hoffen, dass jemand eine Broschüre bestellt, funktioniert ja nicht.
Herr Potyka, welche Auswirkungen hatte denn die Krise bislang insgesamt auf die Kreativen im Saarland?
Lars Potyka: Die Arbeitskammer im Saarland hat noch 2019 Zahlen dazu veröffentlicht. Damals waren 5.060 Menschen in der Kreativbranche tätig, inklusive Software und Games sind es 9.100, insgesamt zwei Prozent der Beschäftigten. Wie viele es heute sind, ist statistisch schwer zu erfassen, auch, weil die Branche extrem
vielfältige Wertschöpfungs- und Geschäftsmodelle aufweist. Wir können sagen, dass in einer bundesweiten Studie 42 Prozent aller Selbstständigen in der Kreativwirtschaft angegeben haben, sie hatten 2020 Umsatzeinbußen von über 70 Prozent. Die Verluste fallen drastischer aus als erwartet. 52 Prozent aller Selbstständigen sagen, ihre wirtschaftliche Existenz sei stark oder sehr stark bedroht.
Heißt das, die Kreativen suchen sich nun andere Jobs?
Potyka: Viele haben sich weitergebildet, ihr Geschäftsmodell geändert und neue Kundengruppen erschlossen, Arbeitsabläufe optimiert oder in neue Technologien investiert. Andere, deren Existenz stark bedroht ist, schließen. Dadurch erfolgt aus finanzieller Existenzangst nun ein „Braindrain" aus der Branche. Das bedeutet, dass Kreative, die schon jahrelang in diesem Beruf arbeiten und über entsprechende Expertisen und Spezialwissen verfügen, nun in andere Jobs außerhalb der Kreativbranche und außerhalb der Selbstständigkeit abwandern.
Was ist denn die Ursache dafür? Zu viele Spezialisierungen innerhalb der Jobs?
Potyka: Zum einen haben viele ihre Rücklagen aufgebraucht. Zum anderen ist die Kreativwirtschaft zwar fähig, schnell komplexe Projekte zu bearbeiten. Aber in diesen Zeiten birgt dies ein großes Risiko, dann, wenn auf komplexe Wertschöpfungsketten Hilfs- und Fördermaßnahmen zugeschnitten werden sollen. Viele Kreative sind durch die ersten Hilfsnetze der Bundesregierung einfach hindurchgefallen. Drittens dauert es mitunter zu lange, bis die Wirtschaft wieder in Schwung kommt – was vor allem für Konzertveranstalter und Kreative, die Großveranstaltungen mitbetreut haben, relevant ist. Viertens fehlen, weil Rücklagen aufgebraucht sind, Gelder für neue Investitionen, zum Beispiel in neue Technik, wie Oliver Jungmann es beschrieben hat.
Woher stammt denn ihr Investitionskapital, Herr Jungmann?
Jungmann: Kamerahersteller haben oftmals Null-Prozent-Finanzierungen für Selbstständige angeboten. Weil ich so lange selbstständig bin, konnte ich langfristige Leasingverträge abschließen. Mit dem neuen Equipment kommen auch neue Aufträge herein, wodurch ich die Verträge abbezahlen kann. Hätte ich nicht Kunden aus anderen Branchen gehabt, wäre das alles anders ausgegangen.
Wann kann sich die Branche wieder erholen?
Potyka: Weil sie so lange Vorlaufzeiten hat, dauert es wahrscheinlich bis 2022. Die Herausforderung wird sein, den Zeitraum bis dahin zu überbrücken.
Womit? Die Coronahilfen enden in diesem Jahr.
Potyka: Angesichts der Überbrückungszeit wäre dieses Enddatum zu überdenken. Dies hat auch der Bundesverband der Kreativwirtschaftsverband „Kreative Deutschland" gefordert. Aber es hat sich gezeigt, dass das Geld nicht mit der Gießkanne verteilt werden kann, sondern sehr individuell. Digital aufgestellte Betriebe kamen auch in der Kreativwirtschaft besser durch die Krise. Vielleicht ist es sinnvoll für die Betriebe, sich diesbezüglich zu überprüfen. In Dresden gibt es darüber hinaus ein Förderprogramm, das Leistungen aus der Kreativwirtschaft im Bereich Digitalisierung bezuschusst. Sprich, wenn ein Kreativunternehmen anderen Unternehmen bei der Digitalisierung hilft, kann das gefördert werden. So etwas könnten wir uns ebenfalls hier im Saarland vorstellen. Drittens glauben wir von Dock11, dass wir kollaborative Strukturen in der Kreativwirtschaft stärken sollten.
Jungmann: Ohne mein Netzwerk hätte ich es nicht geschafft, deshalb bin ich ebenfalls der Meinung, dass Kollaboration unbedingt gefördert werden sollte. Es umfasst nicht nur Kreative, sondern eben auch den Kontakt zu Stellen wie Dock11, den Steuerberater und viele mehr, die Anlaufstellen für Ideen und Ratschläge sein können. Wäre es möglich, so etwas wie das Stipendium unabhängig von Corona zu erhalten, wären sicher neue Projekte und eine neue, breitere Aufstellung für Betriebe drin. Und damit eine größere Widerstandsfähigkeit gegen Krisen.