Vor 200 Jahren wurde Schinkels Schauspielhaus am Gendarmenmarkt eingeweiht – passend zum Stil: klassisch, griechisch, ernst mit Goethes „Iphigenie auf Tauris".
Als in der Nacht zum 26. Mai 1821 der Bauzaun am Gendarmenmarkt fiel, staunten die Berliner nicht schlecht: Vor ihren Augen stand der neuartig schöne Theaterbau von Karl Friedrich Schinkel. Der Bauherr, Preußen-König Friedrich Wilhelm III. und dessen kunstsinnige Gemahlin Luise, waren zugegen, der gesamte Hofstaat und der neue Intendant Graf Brühl, ein Freund Goethes.
Später sollte Richard Wagner hier den „Fliegenden Holländer" dirigieren. Gustaf Gründgens verwandelte sich in seinen legendären Mephisto. Die junge Marlene Dietrich erschien angetrunken zu ihrer ersten Probe für eine Nebenrolle; mit Seidenhosen, schwarzem Jackett und Monokel.
Doch 1821 ging drei Wochen nach Eröffnung des Hauses die erste Oper über die Bühne – am 18. Juni wurde Carl Maria von Webers „Der Freischütz" uraufgeführt, also auch ziemlich exakt vor 200 Jahren. Das Stück wurde ein sensationeller Erfolg. Größtes Aufsehen erregte die Wolfsschlucht-Szene, wo neuartige Harmonien und Klangfarben für Thriller-Wirkung sorgten. Die eingängigen Melodien – vom „Jägerchor" bis zum Brautjungfern-Gesang „Wir winden dir den Jungfernkranz" – wurden als Gassenhauer gepfiffen.
„Der Freischütz" stärkte die deutsche Identität
Der Komponist Weber war zu jener Zeit Operndirektor in Dresden. Zu den Waldszenen ließ er sich bei Wanderungen in der Sächsischen Schweiz inspirieren. Deutschsprachiger Gesang und volksmusikalischer Tonfall trugen zum schnellen Durchbruch der Oper bei – in einer Epoche, als französische und italienische Stücke die Bühnen beherrschten.
Zugleich stärkte der „Freischütz" nach der napoleonischen Fremdherrschaft die deutsche Identität – zumal die Uraufführung exakt sechs Jahre nach dem endgültigen Sieg über Napoleon bei Waterloo stattfand.
Der deutsche Wald mit seinen Sagen und Geheimnissen steht im Mittelpunkt dieser Oper. Der Jäger Max kann seine geliebte Agathe, die Förstertochter, nur heiraten, wenn er beim Preisschießen gewinnt. Um dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen, lässt er sich vom zwielichtigen Kaspar zu einem teuflischen Pakt überreden: Beide gehen um Mitternacht in die grausige Wolfsschlucht, um Freikugeln zu gießen, die stets ihr Ziel treffen.
„Der Freischütz" ist auch mit einem der größten Theater-Skandale der DDR verbunden. Die Regisseurin Ruth Berghaus inszenierte die Oper 1970 an der Berliner Staatsoper, ohne auch nur einen einzigen Baum zu zeigen. Während der Premiere wurde lauthals protestiert, sodass der Dirigent unterbrechen musste. Besonders hoch schlugen die Wogen beim „Jungfernkranz"; dargeboten von vier tölpelhaften, schadenfrohen Brautjungfern. Im Publikum saß der Komponist Paul Dessau, Ehemann von Regisseurin Ruth Berghaus, der die Inszenierung mit Zwischenrufen verteidigte. Anschließend aber wurden einige Szenen zensiert. Berghaus stand fortan unter intensiver Beobachtung, auch als sie den Platz von Helene Weigel als Intendantin des Berliner Ensembles einnahm.
Die DDR hatte das Schauspielhaus behutsam und im Geiste Schinkels wiederaufbauen lassen, nachdem es 1945 Bomben zum Opfer gefallen war. Nun diente es allerdings als ein Konzertsaal, denn Ost-Berlin besaß bereits mehrere Theater. 1984 wurde das Haus schließlich mit dem Berliner Sinfonie-Orchester unter Dirigent Kurt Sanderling wiedereröffnet.

„Die Architektur ist einfach überwältigend. Jedes Mal, wenn ich das Gebäude betrete, geht mir das Herz auf." Das sagt Christoph Eschenbach, der das Konzerthausorchester leitet, Nachfolger des Berliner Sinfonie-Orchesters.
Die Jubiläumssaison zum 200-jährigen Bestehen des Konzerthauses, hinter der zwei Jahre Vorbereitung steckten, wurde bislang von Corona überschattet. Das Jubiläums-Motto „Alles bleibt anders" war eigentlich auf die wechselvolle Geschichte des Gebäudes gemünzt. Ließ sich aber auch als Beschreibung des Pandemie-Alltags lesen, der die Planung von Konzerten und Veranstaltungen verkomplizierte.
„Wir feiern unser Jubiläum in einer schwierigen Zeit, die uns allen viel Flexibilität, Geduld und Verzicht abverlangt. Vieles, was wir umfangreich und voller Vorfreude geplant hatten, musste verändert oder verschoben werden", sagt Konzerthaus-Intendant Sebastian Nordmann, der kreativ und improvisierend mit der Lage umgeht. „Wir konnten im Lockdown immerhin eine Reihe von Tonaufnahmen und Konzert-Streams umsetzen. Die Verbindung zu unserem Publikum ist durch solche Aktionen intensiv und lebendig geblieben."
Eine 360-Grad-Video-Installation zum 200. Geburtstag
Nun wollen die Veranstalter viele Konzerte nachholen und die Feierlichkeiten bis zum Jahresende ausdehnen. Ein völlig unbedenklicher Beitrag zum Konzerthaus-Jubiläum – egal, wie sich Auflagen ändern und anpassen mögen, ist zudem der Comic-Roman „Alles bleibt anders". Darin führt der Berliner Künstler Felix Pestemer auf kurzweilige Weise durch die Geschichte des Hauses. Man erfährt etwa, dass Theodor Fontane als gefürchteter Theaterkritiker stets auf Platz 23 im Parkett saß und rund 700 Rezensionen für eine Tageszeitung schrieb. Der „Teufelsgeiger" Paganini riss das Berliner Publikum 1829 zu Begeisterungsstürmen hin. Ein gutes Jahrhundert später besuchte Hermann Göring, der Nazi-Machthaber von Preußen, den Schauspieler Gustaf Gründgens in seiner Garderobe. Gründgens ließ sich von den Nazis auf den Posten des Intendanten heben; zugleich versuchte er, seinen jüdischen Kollegen zu helfen. Überhaupt ist der Bau am Gendarmenmarkt eng mit politischen Entwicklungen verbunden. Im Schauspielhaus tagte das erste Parlament nach der Revolution von 1848. Nach dem Mauerfall, Weihnachten 1989, dirigierte Leonard Bernstein hier Beethovens Neunte mit neuem Text, als „Ode an die Freiheit". Wenige Monate später wurde am selben Ort die DDR zu Grabe getragen. Bis heute dient das Konzerthaus als respektables Umfeld für Staatsakte. So wurde hier im April 2021 die zentrale Gedenkfeier für die Corona-Toten veranstaltet.
Nun feiert das Konzerthaus den 200. Geburtstag des „Freischütz" mit einer Inszenierung der beliebten katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus. Wegen Corona hat man sich für eine filmische Variante entschieden, die seit dem 18. Juni in der Arte-Mediathek zu sehen ist. Es handelt sich um eine 360-Grad-Installation, die den gesamten großen Saal des Konzerthauses einbezieht. Ein großer Chor und das volle Orchester kommen zum Zuge. Der Videokünstler Jose Vaalina sorgt dafür, dass sich die Zuschauer in einen riesigen Wald versetzt fühlen.
Regisseur Carlus Padrissa interpretiert den „Freischütz" als Sinnbild für eine Katastrophe. Das Waldsterben ist hier Thema, aber auch der Verlust von Mitgefühl und Menschlichkeit durch die Corona-Pandemie. Die Besetzung ist hochkarätig. Der fürstliche Erbförster Kuno wird vom Bassbariton Franz Hawlata verkörpert, der sonst in Salzburg oder Bayreuth zugange ist. Die Rolle des Ännchen übernimmt die beliebte Sopranistin Anna Prohaska von der Berliner Staatsoper, derzeit „Artist in Residence" am Konzerthaus. „Wir verbringen Tage intensiver musikalischer Arbeit, in denen die herrliche Musik Webers den Großen Saal erfüllt", freut sich Dirigent Christoph Eschenbach über die Proben.
Während des Lockdowns hat sich Eschenbach intensiv mit dem Komponisten Carl Maria von Weber beschäftigt. Ergebnis ist eine neue CD mit der melodienseligen „Freischütz"-Ouvertüre, den von Anna Prohaska gesungenen Ännchen-Arien sowie Webers stimmungsvollem Konzertstück für Klavier und Orchester.
Auch sonst hat man sich am Konzerthaus viel einfallen lassen, um das 200-jährige Bestehen auch unter widrigen Umständen zu feiern. Zahlreiche abgesagte Konzerte werden ab dem Spätsommer nachgeholt, darunter das Jubiläumskonzert am 26. und 27. August.