Das auf der traditionsreichen Galoppbahn Hamburg-Horn stattfindende Deutsche Derby, bei dem der beste dreijährige Vollblüter ermittelt wird, ist der Höhepunkt des hiesigen Rennjahres und eines der bedeutendsten Ereignisse im Pferdesport. Als Favoriten werden „Best of Lips" und „Sea of Sands" gehandelt.
Es ist längst Kult und hat alljährlich einen festen Platz im Terminkalender der hanseatischen High Society sowie der Freunde des Pferde- und Wettsports. Allerdings wird am 4. Juli 2021 der legendäre, aufgeregt-enthusiastische „Hamburg Roar", der auf der Tribüne regelmäßig beim Auftauchen der Vollblüter auf der Rasen bewachsenen Zielgerade der Horner Rennbahn beim Deutschen Derby zu ertönen pflegt, nicht so laut und vielstimmig zu hören sein. Weil coronabedingt nur eine noch ungewisse Zahl von Zuschauern live dem hiesigen Pferderennsport-Event des Jahres beiwohnen können wird. Der schon von Kaiser Wilhelm II. häufig besuchte und außerhalb des Derby-Meetings als Freizeitpark beliebte Veranstaltungsort in dem grünen und von Backstein-Wohnsiedlungen geprägten östlichen Stadtteil Horn ist die Sportstätte mit der längsten Tradition Hamburgs. Das erste Rennen fand bereits 1869 statt, wurde zunächst als „Norddeutsches Derby" ausgetragen und wurde 1889 in „Deutsches Derby" umbenannt. Es fand bis heute von wenigen Ausnahmejahren abgesehen immer in Hamburg-Horn statt und geht 2021 in seine 152. Auflage. Es zählt weltweit zu den ältesten Pferderennen außerhalb Großbritanniens, wo der Pferdesport noch weitaus traditionsreicher ist und wo auch die Bezeichnung „Derby" schon 1780 im Zusammenhang mit einem vom 12. Earl of Derby begründeten Leistungsvergleich für dreijährige Vollblutpferde auf der Rennbahn im englischen Epsom Downs entstanden war.
Das Deutsche Derby ist alles andere als ein gewöhnliches Rennen, sondern vielmehr der mit einem Preisgeld von 650.000 Euro dotierte Höhepunkt des hiesigen Pferdesport-Jahres. Um die Krone des besten Vollblüters dürfen dabei nur dreijährige Hengste oder Stuten kämpfen, die Teilnahme von kastrierten Wallachen ist ausgeschlossen. Siege von Pferdedamen sind eher die Ausnahme, bislang konnten sich erst zwölf Stuten in die ewige Gewinnerliste einreihen, letztmals war das Husarenstück der Pferdedame „Borgia" 1997 gelungen. Eine Besonderheit des Deutschen Derbys ist die Streckenlänge von 2.400 Metern (zum Vergleich: beim französischen Derby sind nur 2.100 Meter zu bewältigen), was den jungen Rennpferden eine erhebliche Steherqualität abverlangt, der Speed alleine, im Schnitt sind es in Horn knapp 60 Stundenkilometer, wird zum Sieg nicht ausreichen.
Das erste Rennen fand bereits 1869 statt
Wichtig sind auch die Erfahrungen, die die blutjungen Tiere als Zweijährige bei ersten Wettbewerben sammeln konnten. Wobei der auf der Galopprennbahn in Köln-Weidenpesch jeweils im Oktober ausgetragene und zuletzt mit 155.000 Euro dotierte Zweijährigen-Klassiker „Preis des Winterfavoriten" mit einer Streckenlänge von 1.600 Metern einen ersten Fingerzeig auf das etwaige Sieger-Potenzial eines Pferdes für das Derby erlauben kann. Wenig überraschend daher, dass der vom ehemaligen Spitzenjockey Andreas Suborics in Köln für den Stall Lintec des Unternehmers Hans-Dieter Lindemeyer (der alle seine Pferde nach seiner Heimatstadt Leipzig = Lips benennt) trainierte „Best of Lips" nach seinem „Winterfavoriten"-Triumph im Oktober 2020 auch als möglicher Derby-Gewinner gehandelt wurde. „Ich habe noch nie einen so guten Zweijährigen gehabt", jubilierte Suborics nach dem Rennen.
Seine Position als Top-Favorit bei den Wettmachern für das Derby 2021 und damit als wahrscheinlicher Gewinner der Trophäe namens „Blaues Band" sollte „Best of Lips" dann am 13. Juni 2021 durch einen grandiosen und mit 37.000 Euro belohnten Erfolg beim 181. Sparkasse Köln-Bonn Unions-Rennen untermauern, bei dem nur Dreijährige zum Start zugelassen sind. Mit dem vierten Erfolg beim siebten Wettbewerb seines Lebens konnte „Best of Lips" seine Gewinnsumme auf knapp 160.000 Euro steigern. Das älteste heute noch gelaufene deutsche Galopprennen auf der Gras-Rennbahn in Köln-Weidenpesch, das erstmals 1834 ausgetragen wurde, gilt mit seiner Streckenlänge von 2.200 Metern seit jeher als die bedeutendste Vorprüfung für das Derby. „Ich habe immer an das Pferd geglaubt", so Besitzer Hans-Dieter Lindemeyer. „Das einzige Fragezeichen war, ob ‚Best of Lips‘ die Distanz bewältigen würde. Es war eine überzeugende Vorstellung. Wir haben ein Ausrufezeichen gesetzt."
Neben „Best of Lips" wird in der Szene der von Jean-Pierre Carvalho in Mülheim trainierte Hengst „Sea of Sands" als zweiter Derby-Mitfavorit am häufigsten gehandelt. Er stammt aus der Vollblutzucht des im nordhessischen Luftkurort Oberaula beheimateten Gestüts Höny-Hof von Manfred Hellwig. Beim „Preis des Winterfavoriten" 2020 hatte er sich noch als Zweitplatzierter „Best of Lips" geschlagen geben müssen. Doch am 23. Mai 2021 bescherte er seinem Besitzer mit einem fulminanten Endspurt einen Sieg beim 2.000 Meter langen und mit 33.000 Euro dotierten Derby-Trial auf der Galopprennbahn in Berlin-Hoppegarten. Mit der Siegprämie von 19.000 Euro konnte „Sea of Sands" seine Gewinnsumme auf rund 57.000 Euro erhöhen. Seit seinem Debüt hatte es der Hengst bei fünf Starts auf zwei Siege gebracht und hatte bei allen Rennen zumindest den vierten Platz erreicht. Wobei auch der dritte Platz beim Bavarian Classic in München Anfang Mai 2021 hinter den beiden auch für das Derby gemeldeten Pferden „Lambo" und „Virginia Storm" eine gute Leistung war.
Viele Züchter müssen um eine Nominierung zittern
Doch vor allem die überzeugende Performance in Hoppegarten ließ Trainer Carvalho voller Optimismus Richtung Derby blicken: „Sea of Sands hat das Rennen in Berlin sehr gut weggesteckt. Der Start war sehr gut für die Moral, wir haben es ihm dort so einfach wie möglich machen wollen. Ich schätze seine Leistung dort sehr stark ein, auch wenn es im Ziel knapp war. Bei langsamem Tempo kam er aus hinteren Regionen und hatte am Ende die schnellste Beschleunigung." Auf einen Start von „Sea of Sands" beim Kölner Unions-Rennen hatten die Verantwortlichen zur Schonung ihres Pferdes bewusst verzichtet, um in Hamburg-Horn genügend körperliche Reserven zur Verfügung zu haben. Und weil sich der Hengst durch seinen Berliner Sieg quasi automatisch für das Derby qualifiziert hatte, während viele andere Züchter mit ihren Pferden bis zuletzt um eine Derby-Nominierung zittern müssen. Für Hamburg-Horn 2021 waren anfangs 120 Meldungen beim Hamburger Renn-Club eingegangen. Alle großen deutschen Rennställe hatten gleich mehrere Kandidaten benannt, darunter waren allein fünf Pferde aus dem Gestüt Schlenderhan, das 2020 mit „In Swoop" den gefeierten Derby-Sieger gestellt hatte. Nach mehreren Streichungsvorgängen war die Meldezahl bis zum Juni 2021 auf 49 reduziert worden. Die Bekanntgabe des maximal 20 Pferde starken Starterfeldes wurde auf den 30. Juni 2021 terminiert.
Neben „Best of Lips" und „Sea of Sands" haben die Wettbüros auch noch weitere Sieg-Kandidaten auf der Rechnung. Beispielsweise „Mythico" (Stall tmb), „Sampras" (Gestüt Ittlingen), „Lambo" (Australian Bloodstock), „Dolcetto" (Gestüt Winterhauch), „Sky Out" (Gestüt Schlenderhan), „Alter Adler" (Stall Nizza), „Martin Eagle" (Gestüt Schlenderhan), „Sasson" (Gestüt Höny-Hof) oder „Virginia Storm" (Gestüt Auenquelle). Was den Triumph eines krassen Außenseiters allerdings nicht ausschließt, wie es das jüngste Beispiel aus dem Jahr 2020 mit dem Überraschungs-Coup von „In Swoop" eindrücklich belegt hatte. Der seiner Besitzerin Corinna Baronin von Ullmann für das Gestüt Schlenderhan, dem mit 19 Derby-Triumphen erfolgreichsten Rennstall, nicht nur ein Preisgeld von 390.000 Euro, sondern wenig später auch beim bedeutendsten und mit drei Millionen Euro dotierten Galopprennen der Welt, dem „Prix de l’Arc de Triomphe" in Paris-Longchamp, einen stolzen zweiten Rang eingebracht hatte, was mit einem Preisgeld von 685.000 Euro belohnt wurde (mehr Geld gibt es weltweit nur noch beim Dubai World Cup zu gewinnen).
In 36 Läufen bis zu neun Millionen Euro am Wettschalter
Auch in Hamburg-Horn werden viele Euros gedreht, im Laufe des gesamten Derby-Meetings mit diesmal vier Renntagen und insgesamt 36 Läufen werden regelmäßig bis zu neun Millionen Euro am Wettschalter umgesetzt. Da jeder Vollblüter zwangsläufig nur einmal in seinem Leben um das „Blaue Band" kämpfen kann und die Karriere auf der Rennbahn ziemlich kurz ist, ist der Einsatz eines Derby-Siegers in der Zucht für den Besitzer sehr lukrativ und lohnenswert. Erfolgreichster Jockey aller Zeiten mit acht Siegen war übrigens Gerhard Streit zwischen 1938 und 1961, der erfolgreichste Trainer mit neun Triumphen war Georg Arnull zwischen 1927 und 1949. Frauen im Sattel beim Deutschen Derby sind eher eine Seltenheit, 1979 war die 18-jährige Monika Blasczyk die erste Amazonenreiterin in Hamburg-Horn. Ihr folgten 2011 Stefanie Hofer, 2016 Eva-Maria Zwingelstein sowie 2017 und 2020 Sibylle Vogt. An den Bekanntheitsgrad von männlichen Jockey-Legenden wie Peter Alafi oder Harro Remmert können sie allerdings nicht heranreichen.