Im neuen Betriebssystem „Windows 11" ist strikte Konzentration zu Hause. Virtuelle Desktops wie „Arbeit", „Lernen", „Spielen" oder „Träumen" spalten den Menschen in berufliche und private Identitäten auf – ablenkungsfrei und vielleicht auch ein wenig geschützter.
Eigentlich sollte nach Windows 10 nichts mehr kommen. Außer Updates. Die allerdings kamen häufig. Fast so penetrant wie einst die Übernahme der Personal Computers durch Windows 10. Manch einer der weltweit über eine Milliarde Nutzer des Betriebssystems aus dem Hause Microsoft installierte damals ungewollt das „Fenster-10"-Upgrade, obwohl er bei Windows 7 bleiben wollte und deshalb beim freundlichen Umstellungs-Angebot auf „Nein" klickte. Egal. Die Anwender fanden sich zwischen den App-Kacheln, die neu bei der 10er-Version waren, zurecht. Sie kannten ein ähnliches Design häufig bereits vom Smartphone.
Start zum Jahresende geplant
Zum Jahresende kommt nun Windows 11, mit breiter Brust nicht mehr durch den Hinter-, sondern durch den Haupteingang. Mit unser aller Erfahrungen aus der Pandemie im Gepäck. Mit Prüfungen, die am PC abgelegt worden sind, mit Partys, die dort virtuell miteinander gefeiert wurden. Der Personal Computer hat eine sehr persönliche Komponente bekommen, ist unser Werkzeug, um mit allen und allem in Verbindung zu bleiben. Die Microsoft-Strategen bauten ihr Betriebssystem eingedenk dessen neu, weil sich unser ganzes Leben im „Home", im Zuhause, verdichtet hat. Und dort speziell am Rechner, gebaut aus Hardware voll innovativer Möglichkeiten.
Unsere Existenz, mit all ihren Facetten, sei – nach Microsoft-Logik – somit mehr denn je im Betriebssystem unserer PCs zu Hause. Damit uns das im abgewohnten System nicht zu viel wird, schlägt Windows nach sechs Jahren in Windows 10 den Umzug in ein modernisiertes Wohlfühl-„Home", mit getrennten Wohneinheiten als Sonderwunsch, vor. In ein Betriebssystem, das übersetzt: „Fenster 11" heißt, aber Mauern aufzieht, die extra keine Gucklöcher in die jeweils gerade nicht aktivierte Desktop-Sphäre unseres „Ichs" haben dürfen.
Unterschiedliche Oberflächen
Fürsorglich um unsere imaginären „Ichs" bemüht, bekommt unser Personal Computer mit Windows 11 mehrere virtuelle „Desktops" als neue Features. Das heißt, das neue Betriebssystem versetzt uns in unterschiedliche „Schreibtisch-Oberflächen"-Welten. Je nachdem, welche Sphäre unserer aufgesplitteten Persönlichkeit wir gerade anwählen, ändert sich die komplette, sichtbare Oberfläche. Als hätte sich ein anderer Nutzer mit seinem Profil eingewählt, der nur für die Arbeit oder nur fürs Private lebt.
Sinn unseres neuen PC-Organisations-Zuhauses soll sein, dass wir nicht von beruflichen, optischen Anknüpfungen und Meldungen erschlagen werden, wenn wir Freizeit haben. Andererseits uns nicht durch Spiele ablenken lassen, die angepriesen werden, obwohl gerade unser Arbeitszeit-Tracker tickt. Thriller-Tipps sollen nicht aufblitzen und uns erschrecken, wenn wir bei sphärischer Musik von unserem virtuellen „Träume-Desktop" abschalten wollen.
Der Vorteil der klar getrennten Zonen unserer Existenz auf ein und demselben PC ist offensichtlich: Wenn wir unseren Bildschirm mit der Chefin teilen, tauchen Hinweise auf unsere favorisierten Freizeit-Beschäftigungen komplett ab, weil wir im „Arbeits"-Desktop sind. Umgekehrt wird uns keine berufliche E-Mail angezeigt, wenn Feierabend ist, weil wir beispielsweise auf den Desktop „Filme" umgeschaltet haben.
Die Giganten der Hightech-Welt verbünden sich
Windows 11 passt sich mit einer Entlastungsstrategie an die vielen Stunden an, die Menschen in Job, Unterricht oder Freizeit an ihrem PC verbringen. Unser hybrides Dasein zwischen Live-vor-Ort und digitalisierter Welt fordert auch vom Betriebssystem eine Umorganisation. Der Mensch wird ins Zentrum seines PCs gestellt, so wie künftig die Taskleiste mit ihren Aufgaben. Ruhe soll einkehren, während trotzdem alles bereitsteht, womit wir beschäftigt waren, um sich unkompliziert und schnell erledigen zu lassen.
Sogar Teams ist nunmehr mitten im Bildschirm angesiedelt und kann intuitiv wie ein Telefon zum Chatten, Reden, Präsentieren und Konferieren genutzt und ohne Umwege stumm geschaltet werden.
Die Einführung eines neu benannten Betriebssystems ist auch eine betriebswirtschaftliche Rechnung. Deshalb kommt also kein Windows 10 Generation XYZ0, sondern 11 auf den Markt. Dieses PC-Organisationszentrum sollSatya Nadella, dem neuen Chairman von Microsoft zufolge, unser persönlicher Vermittler in einem neuen Webzeitalter sein, der sich um unsere Kreativität bemüht. Eine offenere Plattform für künftige Generationen. „Sterne" dienten Nadella als Happy-End-Szenario am Vorstellungs-Abend. Vielleicht, weil mit Windows 11 Goldtaler für die Hightech-Branche vom Himmel regnen könnten?
Passende Geräte und leistungsfreudige Halbleiter-Produkte sollen die Partnerfirmen rechtzeitig zum Start des Betriebssystems für Kauffreudige bereithalten. Übergangsweise werden Windows-10-PCs mit Upgrade-Option angeboten. Anwendungen von Disney oder Adobe sind neuerdings vorsortiert im komplett neu gestalteten Microsoft Store zu bekommen. Sogar Android-Apps sollen heuer erstmals im Store zu sehen sein. Zu haben sind sie über Umwege. Wer TikTok oder Kindle auf seinem PC haben will, muss sie über den Amazon App Store downloaden. Die Intel Bridge Technologie soll dabei helfen. Eine interessante Vorgehensweise, konnten doch in gar nicht so ferner Vergangenheit Android Apps auf Amazon Tablets oder dem Amazon Firephone nicht genutzt werden.
Die Giganten der Hightech-Welt verbünden sich. Aus Nutzer-Perspektive wird alles eins. In der anbrechenden Ära von Windows 11 wachsen Android, Microsoft und Amazon mit weiteren „Big Playern" auf diversen Feldern zusammen. Künstliche Intelligenz und Edge passen die Informationsauswahl dem Web-Nutzungs-Verhalten des Windows-11-Anwenders an: Personalisiert, beispielsweise mit Nachrichten-Feed voller Input aus großen Verlagshäusern.
Eigentlich Update des Vorgängers
„Adaption" ist neben „Home" ein weiteres Stichwort, das eine ganz große Rolle im 11er-Kosmos des Software-Giganten spielt. Das Betriebssystem solle auf Gefühle eingehen, so die Botschaft von Produkt-Chef Panos Panay bei der offiziellen Verkündung von Windows 11 Ende Juni via Livestream. Wer seine Notizen, Zeichnungen oder Befehle mit einem Stift eingibt, möge das beglückende Erlebnis genießen, dass das System mit Vibrationen auf den Menschen reagiert. Ein haptisches Erlebnis, ähnlich wie auf Papier, soll uns umschmeicheln.
Zeitsparend ist die Effizienz, die künftige Updates beim Herunterladen haben sollen: Sie sollen nur noch halb so viel Wirbel verursachen und nur halb so groß sein wie die bisherigen Updates. Wenn das stimmt, werden die Aktualisierungen den PC und die gewohnte Handhabung nicht mehr blockieren, weil sie unauffällig im Hintergrund aufgespielt werden und dezent im Auftreten sind.
Eines ist klar: Um Windows 11 wird keiner herumkommen. Ab 2025 soll es keine Updates und keinen Sicherheitsschirm für Windows 10 mehr geben. Wer einen berechtigten Windows-10-PC hat, kann das Upgrade auf Windows 11 kostenlos herunterladen.
„Berechtigt" bedeutet, dass der Windows-10-PC bestimmte Systemvoraussetzungen erfüllen muss, damit das kostenlose Upgrade auf Windows 11 möglich ist: Diese sind 64-Bit-Architektur, Doppelkernprozessor, 4 GB RAM Arbeitsspeicher, 64 GB Speicher. Streng genommen, ist Windows 11 selbst nur ein großes Update seines Vorgängers. Aber es so zu nennen, verkauft sich eben nicht so gut.