Die Diskussion um Frauenstatute ist durch einen Landesparteitag der Saar-Grünen unversehens wieder aufgeflammt. Die Frage nach einer möglichst gerechten Beteiligung hat aber längst andere Dimensionen erreicht.
Die bundesweite Aufmerksamkeit war ganz sicher nicht geplant. Die war eher ein Kollateralschaden eines der denkwürdigsten Parteitage des Landesverbandes der Grünen im Saarland. Und sie kam zu einem Zeitpunkt, der für die Partei denkbar schlecht war. Unverhofft stand das Parteistatut mit den Frauenregelungen wieder in der Diskussion, befeuert gleich durch mehrere Anlässe.
Da sorgte zum einen das Video vom unglücklichen Auftritt einer Bewerberin, die schließlich auf Platz zwei der Bundestagswahlliste gewählte wurde, für Häme und Spott. Wobei die teils unterirdischen Kommentierungen wohl mehr über deren Urheber als über die betroffene Person aussagen.
Richtigen Ärger gab und gibt es aber auch bis hin in die Bundesparteizentrale und bis zur Kanzlerkandidatin darüber, dass die Saar-Grünen einen Mann auf Platz eins der Liste und damit zum Spitzenkandidaten gewählt haben. Dort gehört schließlich laut Parteistatut eine Frau hin. Dass es überhaupt soweit kam, lag daran, dass die erste Kandidatin in drei Wahlgängen sang- und klanglos gescheitert war und darauf – mit dem Votum der Frauen der Versammlung – die Wahl „geöffnet" wurde, also auch Männer kandidieren durften.
Die Aufarbeitung der bemerkenswerten Vorgänge bei den Saar-Grünen hat deutlich gemacht, dass die Regelungen, die die Partei unter der Überschrift „gleichberechtigte Teilhabe" in ihre Satzung geschrieben hat, durch die Bank eine Bevorzugung von Frauen festschreibt. Das ist auch parteipolitisch so gewollt.
Eine der Konsequenzen daraus ist, dass sich auch schon mal ein durchaus bundespolitisch profilierter Grüner (Mann) lieber aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, als sich erneut um einen aussichtsreichen Platz auf einer Bundestagswahlliste zu bewerben. Er wollte schlicht nicht in die Auseinandersetzung um den für Frauen reservierten Platz gehen. Umgekehrt darf jede Frau für jeden Platz kandidieren. Ob im aktuellen saarländischen Fall die Wahl des männlichen Spitzenkandidaten statutenkonform war, sollte ein Parteischiedsgericht entscheiden. (Wobei allerdings noch andere Anfechtungsgründe neben dem Frauenstatut vorgetragen wurden.) Eine Entscheidung lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Eine Partei kann aus eigener politischer Überzeugung sicherlich solche Regelungen festschreiben. Dann muss sie sich aber auch die Frage gefallen lassen, ob dazu die Überschrift „Gleichberechtigte Teilhabe" passt. Immerhin wird gleich im ersten Satz präzisiert, dass die „gleichberechtigte Teilnahme von Frauen" als politisches Ziel gemeint ist. Die Regelungen machen klar, dass es um eine strukturelle Bevorzugung von Frauen geht. Ausgelöst durch die Ereignisse bei den Saar-Grünen ist allerdings ein Fass aufgemacht worden voll von Fragen, die über ein Partei-Frauenstatut weit hinaus gehen und latent ohnehin auf der Agenda stehen, wenn es um gesellschaftliche Entwicklungen und die Frage von gerechten Beteiligungen geht.
Eine Grundfrage ist zum Beispiel die, ob einer (historischen) strukturellen Benachteiligung, in diesem Fall von von Frauen, durch Regelungen mit struktureller Bevorzugung sinnvoll begegnet werden kann, mehr noch, ob das als gesellschaftliches Ziel konsensfähig ist. Schließlich bedeutet es im Umkehrschluss nichts anderes, als eine Umkehr von Bevorzugung und Benachteiligung, die angesichts des Gleichheitsgrundsatzes aller Menschen nur schwierig begründbar ist. Frühere Ungerechtigkeiten durch neue Ungerechtigkeiten zu ersetzen, führt schon rein logisch nicht zu mehr Gerechtigkeit für alle.
Und diese Frage trifft dann auch auf die jüngeren Bewegungen zu, die unter dem Begriff der Identitätspolitik diskutiert werden. Gemeinsam ist dabei, dass bestimmte Gruppen, die bislang (strukturell) ausgegrenzt und diskriminiert worden sind, um ihre Anerkennung, um Einfluss, also um „Teilhabe" kämpfen. Dazu gehören Gruppen, die sich unter ethnischen oder sexuellen Merkmalen definieren.
LGBTQI+, Kurzform für alle Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen jenseits heterosexueller Normen, kommt beispielsweise dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Frage, ob deren politische Teilhabe nicht vergleichbar durch Quoten und ähnliche Regelungen gewährleistet werden müsste, wird durchaus aufgeworfen. Argumente, die dafür vorgetragen werden können, kommen bekannt und damit auch nicht unplausibel vor. Die Diskussion um gerechte Beteiligung formuliert sich dabei über die Beschreibung sexueller Identität.

Womit sich Fragen über die aktuelle Diskussion um ein Frauenstatut hinaus stellen, die auf den ersten Blick womöglich akademisch vorkommen, aber an grundsätzlichen Verständnissen unserer Gesellschaft kratzen.
Diskriminierungen und Ausgrenzungen durch Beteiligungsformen, die über Quoten sichergestellt werden, begegnen zu wollen, ist sicher eine Möglichkeit, die aber schnell an ihre Grenzen stößt. Je mehr Gruppen – zumeist zu Recht – eine stärkere und auch formal abgesicherte Beteiligung einfordern, umso mehr nähern wir uns der Frage nach einer Zersplitterung zu berücksichtigender Einzelinteressen – so berechtigt die im Einzelnen auch sein mögen.
Neue Bevorzugung ist nicht mehr Gerechtigkeit
Gesellschaft in einer Vielfalt widerzuspiegeln, gleichberechtigte Beteiligungen zu ermöglichen und gleichzeitig einen solidarischen Grundkonsens zu wahren, ist eine Herausforderung, der sich auch diejenigen stellen müssen, die jetzt zu Recht stärkeres Gehör einfordern. Schließlich ist klar, dass eine stärkere Beachtung bislang diskriminierter Interessen immer bedeutet, dass bislang dominierende Interessen zurücktreten müssen. Bloße Umkehrungen können zu keinem guten Ergebnis führen, bedeuten sie doch nur, dass dieselben Auseinandersetzungen nur mit anders verteilten Rollen weiter gehen.
Im Übrigen betreffen solche Beteiligungs- und Repräsentationsfragen auch weite andere Bereiche, die bislang unterrepräsentiert sind. Die Diskussion um eine Art Quote für Bürger mit Migrationshintergrund in kommunalen Vertretungen ist nicht neu. Junge Menschen erheben nicht erst seit Fridays for Future und den Corona-Erfahrungen immer deutlicher ihre Forderung nach mehr Beteiligung.
Schon früher haben beispielsweise Menschen mit Handicap oder Senioren eingefordert, dass ihre Belange strukturell Gewicht haben müssen. Die Antworten waren entweder die Einrichtung zusätzlicher Einrichtungen (Beiräte), über deren wirklichen Einfluss immer gerungen wird, die Erweiterung bestehender Gremien (mit der Kritik, wegen Größe handlungsunfähig zu werden), oder eben Quoten. Wobei es neben formalen Quoten auch informelle Selbstverpflichtungen gibt, die in Parteien beispielsweise als Frauen- oder Regionalproporz bekannt sind und funktionieren.
Die Idee dahinter ist die simple Erkenntnis, dass es nur funktioniert, wenn unterschiedliche Interessen und Blickwinkel eingebunden werden. Dass es auch dabei immer wieder Verlierer gibt, liegt in der Natur der Knappheit von Sitzen und Mandaten.
In einer Gesellschaft, die komplexer wird, in der sich auch dank neuer medialer Möglichkeiten deutlich mehr Interessen Gehör verschaffen können als jemals zuvor, stoßen die traditionellen Beteiligungsformen erkennbar an ihre Grenzen.
Ausgedient haben sie dennoch noch lange nicht. Erst recht nicht die Idee dahinter, mit dem oft belächelten und ebenso oft als „faul" verschrienen Kompromiss als einem Versuch, Lösungen zu finden, mit denen möglichst viele leben können.
Die Interessen sind vielstimmiger und werden zunehmend unerbittlicher vorgetragen. Die Forderungen nach Beteiligungen sind drängender und werden unbequemer. Wenn uns in dieser Situation einmal mehr die Diskussion um ein Partei-Frauenstatut mit allen bereits vorgebrachten Argumenten einholt, zeigt das die Ungleichzeitigkeit der gesellschaftlichen Umbrüche, für die es noch ziemlich wenig Antworten gibt.