Auch im Sport kämpfen Frauen verstärkt um mehr Gleichbehandlung. Der aktuelle Zeitgeist hilft ihnen bei der Umsetzung, doch noch gibt es viel zu tun.
Der Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft – diese Phrase wird die Zeit überdauern. Denn natürlich ist da etwas dran, manche gesellschaftsrelevanten Themen lassen sich im Sportgeschehen wie unter einem Brennglas beobachten. So wie die Rolle der Frau zum Beispiel. Gleichberechtigung wird zwar von allen Seiten angestrebt – aber noch nicht konsequent genug umgesetzt. Das fängt bei der öffentlichen Wahrnehmung an, geht bei der kaum geschlechtergerechten Darstellung in den Medien und oft gravierenden Unterschieden bei der Bezahlung weiter und hört beim Mangel an weiblichen Führungskräften im Funktionärswesen längst noch nicht auf.
Der Fußball bildet hier keine Ausnahme – eher das Gegenteil ist der Fall. Die Sportart, die Frauen bis zum Jahr 1970 das Spielen offiziell verbot, weil „im Kampf um den Ball die weibliche Anmut verschwindet, Körper und Seele unweigerlich Schaden erleiden, und das Zurschaustellen des Körpers Schicklichkeit und Anstand verletzt", ist nach wie vor eine Männer-Domäne. Wie zum Beispiel der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Thema Frauen behandle, sei „inakzeptabel", kritisierte die frühere Nationaltorhüterin und heutige Funktionärin Katja Kraus. Für sie steht fest, dass sich der Fußball in dieser Frage nicht aus sich selbst heraus erneuern könne, eine Frauen-Quote müsse her. „Wo keine intrinsische Motivation besteht, hilft nur die Regulierung", sagte das frühere Mitglied im Vorstand des Hamburger SV. „Es gibt keinen Grund dafür, dass es keine Frauen in Führungspositionen gibt."
„Es gibt erstmals Druck von außen"
Im 17-köpfigen DFB-Präsidium ist mit Hannelore Ratzeburg, die als Vizepräsidentin den Bereich Frauen- und Mädchenfußball verwaltet, nur eine Frau berufen. Ratzeburg gilt als Pionierin, doch wirklich viel getan hat sich seit ihrer Ernennung 2007 nicht. „Die Männer haben schon 70 Jahre vor den Frauen angefangen, Fußball zu spielen und die Strukturen aufzubauen. Es ist in der Tat noch einiges zu tun", sagte sie.
Eine Gruppe von neun prominenten Frauen im Fußball geht jetzt in die Offensive. Die Initiatorinnen wie Kraus, Kommentatorin Claudia Neumann, Ex-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb oder Nationaltorhüterin Almuth Schult haben in dem Konzept „Fußball kann mehr" konkrete Maßnahmen und Regeln „im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit" gefordert. Diese sehen unter anderem eine verbindliche Quote für Fußballverbände von mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen vor – und zwar bereits bis 2024.

Der aktuelle Zeitgeist spielt Initiativen wie diesen in die Karten. Bislang, sagte Kraus, „funktioniert der Fußball nach eigenen Regeln". Nun aber gebe es „erstmals Druck von außen. Den wollen wir erhöhen". Kraus, die eine Sportmarketingagentur geschäftsführend leitet, wird als neue DFB-Präsidentin gehandelt. Es wäre eine Zäsur in der 121-jährigen Verbandsgeschichte. Doch wenn nicht jetzt, wann dann? Die aktuellen DFB-Spitzenfunktionäre haben in den vergangenen Jahren ein desolates Bild abgegeben und sind von einem Skandal zum nächsten gestolpert.
Doch nicht nur im Fußball regt sich Widerstand gegen das Frauen-Problem, was eigentlich ein Männer-Problem ist. „Es gibt aktuell eine Generation von Spitzensportlerinnen, die die Ungleichbehandlung nicht mehr hinnehmen wollen", sagte Ilse Hartmann-Tews von der Deutschen Sporthochschule. Sie leitet das Institut für Soziologie und Genderforschung. In dieser Rolle erforscht Hartmann-Tews seit Jahren das Thema „Frauen im Sport". Diese würden sich heutzutage viel öfter trauen, ungerechte Behandlungen „öffentlich zu machen", sagte sie: „Das ist auch ein Effekt der #MeToo-Bewegung."
Ein gutes Beispiel dafür ist Elisabeth Seitz. Die deutsche Spitzenturnerin ging bei den jüngsten Europameisterschaften in Basel in Ganzkörperanzügen, so genannten Unitards, an den Start. Damit wolle sie kompromittierende Bilder von sich vermeiden, die Fotografen vor allem beim Luftsprung oder Spagat in der Vergangenheit oft geschossen hatten. „Wenn nur minimal was verrutscht, dann sieht jeder mehr, als er sehen sollte", sagte die deutsche Rekordmeisterin. „Schönes Turnen hat nichts damit zu tun, dass man das auch geil findet." Ähnliche Erfahrungen hatte auch Hockey-Nationalspielerin Sonja Zimmermann einmal gemacht, als ein Bild von ihrem Ausschnitt in gebeugter Haltung im Internet chauvinistisch kommentiert wurde. „Man braucht ein dickes Fell", sagte Zimmermann.
Davon können viele Frauen ein Lied singen, die im Sport eine öffentlichkeitswirksame Funktion haben. Die ZDF-Kommentatorinnen Claudia Neumann und Ariane Hingst wurden während der Übertragung der Fußball-Europameisterschaft in Social Media teilweise übel beleidigt, so dass sich sogar die ARD zu einem Verteidigungs-Tweet gemüßigt sah: „Unabhängig davon, dass Claudia Neumann und Ariane Hingst beim ZDF kommentieren, wäre ein netterer Umgang miteinander und ein etwas respektvollerer Ton doch ganz cool, oder?"
Rolle der Medien nicht unterschätzen
Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb stand auch immer deutlich stärker im Fokus als ihre männlichen Kollegen – eben weil sie eine Frau ist. Und als Imke Wübbenhorst im Dezember 2018 als erste Frau in Deutschland eine höherklassige Männermannschaft (Sportfreunde Lotte) trainierte, war das hierzulande ein Riesenthema. Jeder andere Trainerwechsel in der Regionalliga hätte kaum jemanden interessiert. Auch Jennifer Kettemann musste zahlreiche Interviews geben und erklären, wie es denn so sei, als Frau die Geschäfte eines Handball-Bundesligisten (Rhein-Neckar Löwen) zu führen. Geschichten darüber werden gerne mit klischeehaften Überschriften versehen. Kettermann ist dann wahlweise die „Löwenbändigerin" oder die „Königin der Löwen", bei Steinhaus-Webb tanzten die Männer „nach ihrer Pfeife". „Ich würde mir eigentlich wünschen, dass man gar nicht mehr darüber spricht und es einfach normal ist, aber das ist es leider noch nicht", sagte Kettermann. Die Rolle der Medien beim Thema Gleichberechtigung im Sport sollte man nicht unterschätzen. Diese „Macht", sagte Hartmann-Tews, sei „riesig" und verlange „einen verantwortungsbewussten Umgang". Man könne zum Beispiel interessante Geschichten rund um den Frauensport erzählen, „damit ebnen wir den Weg zu mehr Ausgewogenheit". Davon sei man aber noch weit entfernt. „Wenn es nicht gerade die Olympischen Spiele sind", sagte die Forscherin, „ist die Unterrepräsentanz krass." Laut ihren Studien würden die deutschen Printmedien gerade einmal 15 Prozent ihres Platzes im Sportressort den Frauen widmen.
Die Funktionäre wiederum nehmen das gerne zum Anlass, die Ungleichbehandlung beim Thema Bezahlung zu erklären. Eine bessere Bezahlung führt aber in der Regel zu mehr Professionalisierung, mehr Leistung und mehr Aufmerksamkeit. „Nur so können Spitzensportlerinnen auch Vorbilder für Mädchen sein", sagte Hartmann-Tews. Ein Kreislauf also. Kein Wunder, dass der 18 Millionen Euro schwere TV-Vertrag von Englands Women’s Super League (WSL) mit den Sendern Sky und BBC vom englischen Verband FA als „Meilenstein" gefeiert wurde.
In den USA kämpft Fußballerin Megan Rapinoe seit Jahren für „Equal Pay", die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern im Sport. Rapinoe hat einen höchst prominenten Befürworter gefunden: US-Präsident Joe Biden. Der hatte als damaliger Präsidentschaftskandidat getwittert: „Gleiche Bezahlung, jetzt. Ansonsten könnt ihr euch für eine WM-Finanzierung woanders umsehen, wenn ich Präsident bin."