Nach turbulenten Wochen haben die Saar-Grünen nun doch eine Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Jeanne Dillschneider, ist auf einer erneut umstrittenen Versammlung auf Listenplatz eins gewählt worden.
Es kommt nicht oft vor, dass sich selbst der „Weser-Kurier" danach erkundigt, was derzeit bei saarländischen Parteien, namentlich den Grünen, los ist. Der Landesverband hat bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vor vier Wochen haben außerhalb des Landes vermutlich wenige überhaupt gewusst, dass die Grünen im Saarland derzeit nicht einmal im Landtag vertreten sind. Das hat sich seit den chaotisch-turbulenten letzten Wochen geändert.
Immerhin haben die Grünen im zweiten Anlauf doch noch eine Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gekürt. Zweimal war so etwas wie Begeisterung bei diesem zweiten Versuch, eine gültige Liste für die Bundestagswahl aufzustellen, zu spüren. Erst konnte sich Jeanne Dillschneider sogar über teilweise Standing Ovations freuen. Ihre kurze, aber leidenschaftlich-kämpferische Vorstellungsrede traf den Nerv der Grünen-Versammlung. Es war eine Kombination aus Appell, dass nun jeder endlich über seinen Schatten springen müsse, und knappen aber klaren Wahlkampfbotschaften, die für ein paar Momente den Eindruck hinterließ, dass sich eine Partei nach heftigen internen Auseinandersetzungen nun an die eigentliche Aufgabe machen würde.
Überzeugende Kandidatin
Besonders ausgeprägt war die Begeisterung vor allem bei den Jungen in der Partei. 56 von 86 Stimmen reichten der 25-jährigen Sprecherin der Grünen-Jugend, um gleich im ersten Durchgang auf Platz eins der Landesliste zu stehen. Aber nicht nur ihr ist klar, dass mit einer neuen Spitzenkandidatin und einer neuen Liste die heftigen Turbulenzen der vergangenen vier Wochen nicht abgeflaut und die tiefen Gräben nicht zugeschüttet sind.
Und vor allem ist der jungen und energischen Spitzenkandidatin bewusst, was die letzten vier Wochen Turbulenzen angerichtet haben, zumal die Auseinandersetzungen, wie vielfach zu erfahren ist, nicht selten auch unter der Gürtellinie ausgefochten wurden. Wenn Wähler bekanntermaßen internen Parteistreit, der auf offener Bühne ausgetragen wird, schon überlicherweise nicht goutieren, dann dürften sie von diesem Spektakel wohl erst recht abgeschreckt sein. Wie viel verlorenes Vertrauen in den zwei Monaten bis zur Bundestagswahl zurückzugewinnen ist, ist offen. Ebenso, inwieweit der auch unter Zuhilfenahme unterschiedlichster Gerichte ausgefochtene Machtkampf über das Saarland hinaus in den Bundestagswahlkampf ausstrahlt.
In der Berliner Parteizentrale nimmt man jedenfalls die Entwicklung außerordentlich ernst. Auf den letzten Drücker hatte man von Berlin aus die Durchführung der Versammlung durchgesetzt, obwohl die bereits abgesagt war. Aber selbst an dieser Absage entzündete sich Streit in der aufgewühlten Atmosphäre.
Kann eine vom übrig gebliebenen Landesvorstand als Pressemitteilung versandte Mitteilung über eine Absage gültig sein? Nach einem heftigen Streit darüber entschied die Versammlung mehrheitlich, den Parteitag abzuhalten; die erste Liste audfzuheben und eine neue aufzustellen. Es habe schließlich keine ordentliche Absage an die gewählten Vertreter direkt gegeben. Was wiederum die Tür zu weiteren juristischen Anfechtungen weit geöffnet hatte.
Der Ausschluss der knapp 50 Vertreter des Saarlouiser Ortsverbands durch das Bundesschiedsgericht blieb ebenfalls umstritten. Deren Vorsitzender Hubert Ulrich bezeichnete den Ausschluss immer wieder als „rechtswidrig" und hatte konsequenterweis einen Eilantrag gegen die Entscheidung vor einem ordentlichen Gericht eingereicht. Etliche aus Saarlouis waren als „Gäste" zum Parteitag gekommen. Es war zunächst nicht auszuschließen, dass eine Gerichtsentscheidung doch noch zeitnah ergehen würde, was letztlich nicht der Fall war.
Heillos zerstrittene Partei
Statt Beruhigung setzte sich der Streit auch übers Wochenende fort, mögliche Anfechtungen wurden in den Raum gestellt. Hubert Ulrich, der vor vier Wochen bei der Listenaufstellung auf Platz eins gewählt worden war, hält den Ausschluss weiter für rechtswidrig. Er wollte die neue Liste nicht akzeptieren, weitere Schritte ließ er zunächst noch offen. Der Landesvorstand folgte letztlich der Aufforderung aus Berlin und reichte die neue Liste noch fristgemäß ein. Damit ist zumindest fürs Erste die Gefahr gebannt, dass die Grünen im Saarland als Partei nicht auf dem Stimmzettel stehen würden.
Vier Wochen lang eskalierte die interne Auseinandersetzung. In der Partei hat sich immer mehr ein Tunnelblick für die internen Machtkämpfe breitgemacht. Fragt man Delegierte, wie damit Wahlkampf zu machen sei, erntet man durch die Bank weitgehend ratloses Achselzucken. Immerhin würden die Grünen doch gerade jetzt und vielleicht mehr denn je gebraucht mit ihrer Kernkompetenz Klimaschutz. Diese Kompetenz hat die Partei zwar wohl nicht verspielt, dafür aber viel an grundlegendem Vertrauen. Und das ist gerade zu einem Zeitpunkt entscheidend, wo es jetzt richtig ernst wird mit Umsetzung von Maßnahmen, sollen wenigstens die erklärten und vereinbarten Klimaziele noch erreicht werden.
Unter normalen Umständen hätte eine grüne Spitzenkandidatur gerade angesichts der Hochwasserkatastrophe mit klaren Botschaften aufwarten können. Vor Extremwetter mit Katastrophen dieser Art als Folge des Klimawandels warnen Wissenschaftler schon lange. Und in Zeiten, in denen die erste grüne Kanzlerkandidatin in einer schwierigen Phase steckt, hätte ein Landesparteitag wahlkämpfenden Rückenwind von der Basis bringen müssen. Die gewählte Spitzenkandidatin hat das mit einem überzeugendem Auftritt versucht. Aber in den meisten Delegierten rumort die interne Auseinandersetzung weiter. Zumal der Partei auch noch die erst vor vier Wochen gewählte Parteiführung zu großen Teilen abhandengekommen ist. Eine ursprünglich geplante schnelle Neuwahl wurde erst mal abgesagt.