Mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit von Genitalverstümmelung betroffen. Und auch hier in Deutschland geschieht es tausendfach.
Ich hab immer gedacht, dass so was nur in Afrika passiert. Und dann habe ich plötzlich mitbekommen, dass das auch in Europa und in Deutschland passiert." Mit diesen Worten beginnt der Kurzfilm „The Other Vulva" der Filmemacherin Sarah Fürstenberg. Es geht um weibliche Genitalverstümmelung, im Englischen auch kurz FGM („Female Genital Mutilation") genannt. Gleich zu Anfang des Films wird mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass nur Mädchen und Frauen im fernen Afrika von diesem grausamen Brauch betroffen sind. Zwar gibt es Hochrisikoländer, vor allem in Afrika wie zum Beispiel Ägypten, Äthiopien, Burkina Faso, Eritrea, Gambia, Mali, Mauretanien, Sierra Leone, Somalia und Sudan. Doch auch in anderen Regionen dieser Welt können den Mädchen Schamlippen und Klitoris teilweise oder ganz entfernt werden. Durch Migrationsbewegungen nimmt die Zahl der Beschnittenen auch in Deutschland und Europa immer mehr zu.
„Hier in Deutschland sind 70.000 betroffen, und gefährdet sind 15.000", klärt die Aktivistin Angelina Akpovo in dem zweiminütigen Dokumentationsfilm auf. „Wir, die Frauen, die nicht beschnitten sind, uns nennt man die Schmutzigen, die Prostituierten", erläutert Akpovo die Hintergründe der Praxis. Und: „Diejenigen, die beschnitten sind, sind sauber." In manchen Kulturen wird eine FGM als Übergangsritus zum Erwachsenenalter betrachtet und als feierliche Zeremonie abgehalten. Die meisten Verstümmelungen werden vorgenommen, noch bevor die Mädchen in die Pubertät kommen. Manchmal bereits im Baby- oder Kleinkindalter. Weltweit sind laut WHO-Angaben mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen betroffen.
Manchmal schon bei Babys
Die Corona-Krise hat das Gefährdungspotenzial für FGM verschärft. In Zeiten von Covid-19 hätten Mädchen ein deutlich höheres Risiko, an ihren Genitalien verstümmelt und früh verheiratet zu werden, sagt Jan Kreutzberg von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. Erfahrungsberichte aus Ostafrika belegten, dass Lockdowns und Schulschließungen während der Pandemie dazu führten, dass viele Mädchen zu Hause blieben und der Genitalverstümmelung in ihren Gemeinschaften ausgesetzt waren. Denn dort wird diese Praxis oftmals als Voraussetzung für die Heirat angesehen.
Die Genitalverstümmelung stellt nicht nur eine Menschenrechtsverletzung auf mehreren Ebenen dar. Sondern sie hat für die Opfer auch Auswirkungen, die sie meist ihr Leben lang begleiten. Zu den kurzfristigen Folgen von FGM zählen heftige Schmerzen, starker Blutverlust, und Infektionen. Nicht wenige Mädchen sterben in Folge der Beschneidung. Allein fünf bis zehn Prozent der betroffenen Kinder sterben durch den Eingriff. Jede fünfte verstümmelte Frau stirbt an den Spätfolgen. Und auch psychisch leiden die Frauen ihr Leben lang, sind traumatisiert. Mit den Folgen ihrer Genitalverstümmelung kämpft auch Fadumo Korn, Vorsitzende des Vereins Nala, der Aufklärungsarbeit betreibt. „Ich wurde mit sieben beschnitten und überlebte die Komplikation dieses Eingriffs – eine schwere Infektion – nur knapp", erinnert sie sich. Seitdem habe sie körperlich mit den Folgen zu kämpfen. Sie habe chronisch-rheumatische Erkrankungen davon getragen und sei dadurch zu 60 Prozent behindert. „Die Beschneidung hat meinen gesunden Körper kaputtgemacht. Ich habe jeden Tag irgendwo Schmerzen." Und natürlich habe sie auch Einschränkungen, was ihre Sexualität anbelangt. „Ich fühle nichts", sagt sie. „Das macht einen traurig. Ich habe sehr lange gebraucht, um meine Lebensfreude wiederzuerlangen."