Die Olympischen Spiele haben strahlende Sieger hervorgebracht. Im deutschen Team waren das eine nervenstarke Weitspringerin, ein ehrgeiziger Schwimmer, ein oft verkannter Tennisspieler, eine sympathische Ringerin und eine junge Reiterin.
Rund 500 Fans und Angehörige hatten sich auf dem Frankfurter Römer versammelt, um die deutschen Olympioniken nach der Rückkehr zu bejubeln. Vom Zwölf-Stunden-Flug aus Tokio waren die Athleten müde und geschlaucht, doch nicht nur deshalb wollte die ganz große Party-Stimmung nicht aufkommen. „Team D“ war mit der schwächsten Medaillenbilanz seit der Wiedervereinigung auf deutschem Boden gelandet. „Okay“ fand DOSB-Präsident Alfons Hörmann die Bilanz von zehn Gold-, elf Silber- und 16 Bronzemedaillen. Doch wie diese Ausbeute im Verhältnis zu der halben Milliarde Euro Steuergelder steht, die im Olympiazyklus für den Leistungssport zur Verfügung gestellt wurde, da gibt es ohne Zweifel mehrere Sichtweisen.
Fest steht: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte sich mehr erhofft als Platz neun im Medaillenspiegel, zumal der Rassismus-Eklat um Radsport-Funktionär Patrick Moster und die Debatte um Tierquälerei im deutschen Fünfkampf-Team das Ansehen auch international beschädigte. Zum Glück gab es auch einige positive Ausnahmeleistungen im deutschen Team, an die sich die Sportfans auch in ein paar Jahren noch erinnern werden. Für die Athleten selbst wird der Erfolg wohl für immer unvergessen bleiben.
MALAIKA MIHAMBO
Der Rucksack steht noch ungepackt in der Ecke. Eigentlich ist es für Malaika Mihambo ein festes Ritual, nach anstrengenden Großereignissen die Ruhe und Einsamkeit eines „Backpack“-Urlaubs zu genießen. Doch der muss noch ein bisschen warten, die Weitspringerin will ihr Olympia-Gold erst noch versilbern: In der Diamond League am 8. September in Zürich und dem ISTAF in Berlin am 12. September. Das Interesse an der 27-Jährigen ist riesig, neue Sponsoren sind längst an der Angel, und die Talkshows reißen sich um sie.
Dabei braucht Mihambo nicht viel Geld zum glücklich sein, „ich lebe schon immer recht minimalistisch“. Es sei aber ein schönes Gefühl, „dass ich von meinem Sport gut leben kann. Das ist ja nicht selbstverständlich“. Ihre Popularität wird in Deutschland, wo sie schon 2019 und 2020 zur „Sportlerin des Jahres“ gekürt wurde, nochmal zunehmen, weil sie das einzige Olympiagold der schwächelnden Leichtathleten gewann. Sie sei ein „Glücksfall für die Leichtathletik“, sagte ISTAF-Direktor Martin Seeber. Mihambo vereine Leistungsstärke, Persönlichkeit und Emotion.
Viel hatte aber nicht gefehlt, und Mihambo wäre mit einer Enttäuschung aus Tokio zurückgekommen. Erst im sechsten und letzten Versuch sprang sie mit einem Sieben-Meter-Satz von Rang drei auf eins – und dann begann das große Zittern. An der Grube sitzend vergrub Mihambo das Gesicht in ihre Hände, als die Amerikanerin Brittney Reese und die Nigerianerin Ese Brume in ihren Finalsprüngen an der neuen Bestweite scheiterten. Der „spannendste Weitsprung-Wettkampf der Geschichte bei den Frauen“ habe sie „überwältigt“, sagte Mihambo hinterher: „Es war taff und hat allen Athletinnen viele Nerven gekostet.“
Für Heike Drechsler, die bis dahin letzte deutsche Olympiasiegerin in der Grube, ist Mihambo spätestens jetzt „eine ganz Große“. Was soll nach EM-Sieg 2018, WM-Titel 2019 und Olympiagold 2021 noch kommen? Was treibt Mihambo noch an? „Die Neugier“, sagt sie, „zu sehen, wie weit kann ich noch springen?“ Eine Antwort will sie mit Leichtathletik-Legende Carl Lewis finden, mit dem sie demnächst trainieren will. Zuerst aber wird der Rucksack gepackt und die Einsamkeit genossen.
FLORIAN WELLBROCK
Der eher schmächtige Magdeburger hatte in Tokio eine Menge Last zu tragen. Er, der Doppel-Weltmeister von 2019, sollte das deutsche Schwimmen im Alleingang aus der Krise holen. Der Druck schien zu groß, im 800-Meter-Finale verzockte sich Wellbrock und wurde nach einem taktischen Fehler nur Vierter. Auf seiner Paradestrecke im Becken, den 1500 Metern, kraulte der 23-Jährige zwar zu Bronze – doch insgeheim hatten alle im Team auf Gold gehofft. Und so blieb für den ganz großen Coup nur noch eine Chance: das Freiwasser-Rennen im Odaiba Marine Park. Diesmal lieferte Wellbrock – und wie! Mit einem Start-Ziel-Sieg über zehn Kilometer kürte er sich zum ersten deutschen Schwimm-Olympiasieger seit Michael Groß 1988 in Seoul. „Hut ab!“, sagte „Albatros“ Groß hinterher, Wellbrock habe das deutsche Schwimmen endlich „aus dem Tal der Tränen“ geholt. Auch Weltrekordler Paul Biedermann, dem Olympiagold in seiner Karriere verwehrt geblieben war, drückte Wellbrock seinen großen Respekt aus: „Eine Medaille im Becken und im Freiwasser zu gewinnen, ist eine ganz eigene Liga und spricht für das Ausnahmetalent.“
Wellbrock schrieb in Tokio sein ganz „persönliches Sommermärchen“, wie er selbst sagte. Und das soll sich auch finanziell für ihn auszahlen: Seine Agentur Albus, die in der Vergangenheit schon für andere Schwimmstars wie Biedermann und Britta Steffen hoch dotierte Werbeverträge an Land gezogen hatte, geht stark davon aus, dass der bisherige „Local Hero“ in Magdeburg „in die Liga der Topverdiener“ aufsteigt. Eine interessante Lebensgeschichte hat Wellbrock, der mit Bronzegewinnerin Sarah Köhler verlobt ist, zu erzählen. Nur trat der gebürtige Bremer bislang eher introvertiert auf. Öffnet sich der ausgebildete Immobilienkaufmann etwas, dürfte er vom Erfolg noch mehr profitieren. Sportlich ist mit ihm ohnehin in den nächsten Jahren weiter zu rechnen, Wellbrock gilt als extrem ehrgeizig. Paris 2024 steht ab sofort ganz oben auf seinem Gold-Plan.
ALINE ROTTER-FOCKEN
Bei ihrer Ankunft in der Wahlheimat hatte Triberg für Aline Rotter-Focken den ganz großen Bahnhof aufgefahren. Hunderte Fans applaudierten, Plakate wurden geschwungen, Bürgermeister Gallus Strobel gratulierte persönlich und sagte über die Olympiasiegerin im Ringen: „Ganz Triberg ist stolz auf sie. Sie ist ein Glücksfall für die Wasserfallstadt.“ Und für das deutsche Ringen, ja für den gesamten deutschen Sport.
Viele Fans zitterten am Fernseher mit, als der sympathischen und stets lächelnden Athletin im letzten Kampf ihrer Karriere der große Coup gelang. Allen voran ihr Ehemann Jan Rotter, der bei der Entscheidung zusammen mit der Familie, dem Fanclub und den Vereinsmitgliedern im Triberger Kino mitfieberte. „Ich bin einfach nur froh und stolz, dass Alines letzter offizieller Kampf auch ihr zugleich wertvollster Sieg wurde“, sagte Rotter. Der ehemalige Spitzenringer hatte während der Corona-Pandemie seine Frau in leeren Hallen trainiert und ihr immer wieder neue Motivation gegeben. Und so kam es, dass die 30-Jährige im olympischen Finale der Gewichtsklasse bis 76 Kilogramm über sich hinauswuchs und die mit fünf WM-Titeln dekorierte US-Amerikanerin Adeline Gray mit 7:3 bezwang. Als erste deutsche Ring-Olympiasiegerin ist Rotter-Focken der Platz in den Geschichtsbüchern auf ewig sicher. Und das genoss sie sichtlich.
„Bei all meinen Niederlagen in den vergangenen Jahren“, sagte Rotter-Focken mit einem Lächeln im Gesicht, „habe ich mir immer gesagt, dass ich es mir für das perfekte Ende meines Films aufhebe“. Nun beginnt für sie das Leben nach dem Leistungssport, und auch hierfür hat sie bereits vorgesorgt. Focken arbeitet als Gesundheitsmanagerin, und möglichst bald will sie ein Baby bekommen. Denn das, sagt sie, „ist nach der Goldmedaille mein zweiter Lebenstraum.“
ALEXANDER ZVEREV
Kühl, distanziert, vielleicht sogar ein bisschen arrogant – so hatten viele deutsche Sportfans den Tennisstar Alexander Zverev in Erinnerung. Doch sein Auftritt in Tokio hat dieses Image kräftig aufpoliert, und das ist vielleicht der größte Erfolg für den Hamburger mit russischen Wurzeln, der mit Sportdeutschland immer ein zwiespältiges Verhältnis pflegte. Erst im Mai hatte er bei der Pressekonferenz nach seinem ATP-Sieg bei den Madrid Open gewettert: „Ich habe gerade ein Masters gewonnen und es gibt keine Frage in Deutsch. Oh mein Gott! Wie Sie sehen, interessiert es die Deutschen wirklich nicht.“ Nach seinem Olympiasieg interessiert sich aber jeder Journalist und Sportfan für Zverev, der nicht nur sportlich punktete. Seine Tränen direkt nach dem 6:3, 6:1-Finalsieg gegen Karen Chatschanow (ROC) waren authentisch, seine Freude ansteckend. „Es gibt wenige Menschen, die gerade glücklicher sind als ich“, sagte der Halbfinal-Bezwinger von Topfavorit Novak Djokovic. Die Medaille ließ Zverev nicht mehr aus den Augen: „Ich habe ein goldenes Ding um den Hals – und das ist nicht eine der 50 Ketten, die ich sonst trage.“ Und die deutschen Sportfans vor den Bildschirmen schienen zu erahnen, dass dieser vermeintlich abgehobene Tennis-Profis auch eine andere Seite haben dürfte.
JULIA KRAJEWSKI
Manchmal ertappt sich Julia Krajewski dabei, wie sie ihre eigene Erfolgsgeschichte wie bei einem Netflix-Abend bewertet. „Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Film“, sagte sie, „bei dem man denkt: Zum Glück hatte der Autor jetzt Erbarmen mit der Hauptfigur, und es ist ein Happy End passiert.“ Und was für eins! Die Vielseitigkeitsreiterin hat in Tokio als erste Frau überhaupt Olympia-Gold in der Einzelwertung gewonnen – und das mit gerade einmal 32 Jahren. Dieser Erfolg überwältige sie immer noch, so Krajewski, „vielleicht haben andere schon mehr verstanden, was es bedeutet. Aber ich wirklich noch nicht.“
Dieser unerwartete Sieg war emotional besonders ergreifend, weil Anfang des Jahres ihr Vater verstarb. Außerdem musste die Warendorferin ihr Spitzenpferd „Samourai du Thot“ in den Ruhestand schicken. Dass sie stattdessen auf der elfjährigen Stute „Amande de B’Neville“ zu höchsten Weihen reiten würde, damit hatte kaum jemand gerechnet. Außer ihrer Stute vielleicht. „Ich hatte das Gefühl, sie weiß, worum es geht“, berichtete Krajewski: „Die Medaille gehört genauso meinem Pferd wie mir.“