Nachdem die Nato das All 2019 zu einem eigenständigen Operationsgebiet erklärt hat, kann das zur Weltraumüberwachung im Herbst 2020 etablierte „Space Center“ in Ramstein als weiterer Schritt hin zu einer Militarisierung des Weltraums angesehen werden. Zumal Supermächte wie die USA, China oder Russland längst entsprechende Ziele konkret verfolgen.
Wer die Abenteuer der „Star Wars“-Heroen als reine Science-Fiction abzutun pflegt, hat noch nicht zur Kenntnis genommen, dass sich ein „Krieg der Sterne“ in der Realität längst über das Stadium militärischer Planspiele hinausbewegt hat. Zwar dürften Kämpfe bemannter Raumschiffe im All wie in der Hollywood-Saga in absehbarer Zukunft eher ein unwahrscheinliches Szenario sein. Satelliten kommt allerdings nicht nur in der modernen Kriegsführung eine Schlüsselrolle zu, sondern sie haben auch große Bedeutung für das zivile Leben auf der Erde beispielsweise für Navigations- und Kommunikationssysteme, den bargeldlosen Zahlungsverkehr, Wettervorhersagen oder im Vermessungswesen gewonnen. Die Möglichkeit ihrer Störung oder Ausschaltung hat sich längst zu einer konkreten Gefahr entwickelt. Das Weltall, dessen friedliche Nutzung völkerrechtlich verbindlich im Weltraumvertrag des Jahres 1967 beschlossen wurde, wobei allerdings nur der Einsatz von Kern- oder Massenvernichtungswaffen, nicht aber von konventionellen Systemen verboten wurde, hat sich zu einem potenziellen Kriegsschauplatz entwickelt.
Mehr als nur ein militärisches Planspiel
Dem hatte Ende 2019 auch die Nato Rechnung getragen, als die 30 Bündnisstaaten den Weltraum zu einem eigenständigen Operationsgebiet deklariert hatten. „Die Nato hat nicht die Absicht, Waffen im Weltraum zu stationieren“, so Generalsekretär Jens Stoltenberg in einem die Weltöffentlichkeit beschwichtigenden Kommentar, „aber wir müssen sicherstellen, dass unsere Missionen und Operationen die passende Unterstützung haben“. Dass dies auf Dauer ohne eigene Nato-Satelliten im All gelingen kann, ist eher unwahrscheinlich, weshalb im Bündnis laut dem Sicherheitspolitik-Experten Major i.G.
Dominic Vogel schon eine Absichtserklärung ohne konkrete Handlungsvorgaben verabschiedet wurde, eigene Satelliten in den Weltraum zu bringen. Rund ein halbes Dutzend Nato-Staaten sind da schon einen großen Schritt weiter in Richtung militärischer Weltraum-Offensive gegangen, indem sie eigene Space-Einheiten im Rahmen ihrer Streitkräfte aufgebaut haben.
Die USA marschieren dabei natürlich an der Spitze, weil die Amerikaner auf Initiative von Präsident Donald Trump schon 2019 die „United States Space Force“ als eigenständige sechste US-Teilstreitkraft neben Heer, Marine, Luftwaffe, Marines und Küstenschutz etabliert hatten. „Wenn es darum geht, Amerika zu verteidigen, reicht es nicht“, so Trump als Erklärung für diesen Schritt, „nur eine amerikanische Präsenz im Weltraum zu haben. Wir müssen amerikanische Vorherrschaft im Weltall haben“. Ein Ziel, das für die auf Erden hochüberlegene Militär-Supermacht USA gar nicht so einfach zu realisieren sein wird. Denn im Weltraum haben die Amerikaner starke Konkurrenz durch China und Russland bekommen, die beide ganz gezielt ihr strategisches Potenzial im All ausbauen, weil sie dort am ehesten die Chance haben, militärisch mit den USA gleichzuziehen. Selbst ein Staat wie Indien, der testweise schon eigene Satelliten im All abgeschossen hat, mischt im militärischen Space-Aufrüsten kräftig mit. Bei der Nato ist man über diese Entwicklung tief besorgt: „Einige Nationen wie Russland und China entwickeln Systeme“, so Jens Stoltenberg, „die Satelliten stören oder gar abschießen können. Wir müssen unser Verständnis für die Herausforderungen im All verbessern, auch wie wir mit diesen umgehen“.
Die Nato hatte eigentlich reichlich Zeit, sich mit dem Thema Satelliten-Sicherheit zu befassen. Denn China hatte schon 2007 erfolgreich den Nachweis erbringen können, dass es einen eigenen Wettersatelliten ganz gezielt mithilfe einer bodengestützten Mittelstreckenrakete zerstören konnte. Hierfür war nicht einmal eine sonderlich ausgefeilte Technik notwendig. Angriffe auf Satelliten sind daher laut Dominic Vogel heutzutage problemlos möglich. Vor allem Russland bescheinigte Vogel Ende 2020 im Interview mit den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ eine Spitzenposition in Sachen Satellitenwaffen. „Sein neues Luftabwehrsystem S-500 soll nicht nur für den Abschuss von ballistischen Raketen (also zu Verteidigungszwecken), sondern auch für den Abschuss von Satelliten (also zu Angriffszwecken) konzipiert sein. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Russland im Juli dieses Jahres eine neue Satellitenwaffe im All getestet hat – und zwar mit Erfolg.“ Man müsse laut Vogel die Satelliten gar nicht unbedingt gänzlich zerstören, weil es schon ausreichend sein könne, die ausgesandten Signale wirksam sabotierend zu stören. „Sowohl der Iran als auch Nordkorea haben demonstriert, dass sie dazu imstande sind“, so Vogel gegenüber den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“, „und zwar mit technologisch vergleichsweise anspruchslosen Störgeräten“.
Satelliten können leicht sabotiert werden
Gesicherte Erkenntnisse über schon existierende Anti-Satelliten-Waffen gibt es laut Vogel derzeit noch nicht. Beim militärischen US-Nachrichtendienst „Defence Intelligence Agency“ habe man sich laut Vogel mit möglichen Waffensystemen aber schon ausführlich auseinandergesetzt. Und dabei beispielsweise Kamikaze-Satelliten, die absichtlich einen Zusammenstoß mit anderen Satelliten herbeiführen könnten, oder mit Greifarm-Satelliten, die andere Flugkörper aus ihrer Umlaufbahn herausbefördern könnten, als Möglichkeit ins Auge gefasst. „Es gibt keinen Beweis für und keinen Beweis gegen ihre Existenz“, so Vogel, „hätte ein Staat sie gebaut, würde er natürlich alles daransetzen, das geheim zu halten“. Für die Nato gilt es im Weltraum allein schon eigene Sicherheitsinteressen zu behaupten, weil von den derzeit rund 2.500 funktionstüchtigen Satelliten im All knapp die Hälfte Bündnispartnern beziehungsweise Unternehmen aus Nato-Staaten gehören.
Problematisch ist die wachsende Zahl von Weltraumschrott, der durch die bewusste Zerstörung von Satelliten mengenmäßig noch zusätzlich anwachsen könnte. Derzeit gibt es laut Aussage des an der Universität Kiel arbeitenden Sicherheitspolitik-Wissenschaftlers Patrick O’Keefe gegenüber den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ schon mehr als 3.000 inaktive Satelliten und rund 29.000 Trümmerteile von Raketen oder Satelliten, die größer als zehn Zentimeter sind, dazu noch 670.000 Teile zwischen einem und zehn Zentimetern Größe sowie 170 Millionen Mini-Bruchstücke, die kleiner als ein Zentimeter sind. All dieser Weltraumschrott befindet sich im All in einem Abstand von 300 bis 36.000 Kilometern von der Erde entfernt.
Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob die Weltgemeinschaft wirklich nach atomarem Restmüll auf der Erde ein weiteres Anwachsen von Weltraumschrott durch den Einsatz von Anti-Satelliten-Waffen akzeptieren kann. Für die Nato stellt sich zusätzlich die Frage, ob ein Angriff auf einen Satelliten eines Partnerlandes automatisch als Bündnisfall bewertet, eine solche Attacke also genauso wie ein Angriff auf der Erde, auf See, im Luft- oder Cyberraum eingestuft werden soll. Eine schwierige Problematik, die künftig in einem speziellen „Thinktank“ geklärt werden könnte, für dessen Standort Uedem in NRW oder das südwestfranzösische Toulouse im Gespräch sind. Am Standort Uedem sind bereits seit 2009 das deutsche Weltraumlagezentrum und das seit Herbst 2020 von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Dienst gestellte „Air and Space Operations Center“ ansässig.
Der geplante Aufbau des „Thinktanks“ wurde medial allerdings zur Randnotiz, da gleichzeitig von der Nato im Oktober 2020 die Etablierung eines sogenannten „Space Centers“ im pfälzischen Ramstein in Angliederung an das dortige Nato-Luftwaffenkommando verkündet wurde. Seine Aufgabe soll darin bestehen, als Koordinationsstelle für die Überwachung des Weltraums zu agieren. Hier sollen sämtliche Informationen über mögliche Bedrohungen durch Satelliten zusammenfließen. Es ist nicht auszuschließen, dass das „Space Center“ künftig auch als Kommandozentrum für Nato-Abwehrmaßnahmen gegen Satelliten-Gefährdungen weiterentwickelt werden könnte. Für dessen Einrichtung wären zunächst keine größeren Investitionen nötig, da man vorhandene Gebäude und freie Personalressourcen nutzen kann. Überraschenderweise wurde diese Nato-Mitteilung in den hiesigen Medien nur ziemlich kommentarlos verbreitet, obwohl das Thema eigentlich genügend Brisanz für grundlegende öffentliche Diskussionen birgt.
Gefährliche Militarisierung des Weltraums
Die „Europäische Weltraumorganisation ESA“, durch die auch die Bundesrepublik gemeinschaftlich ihre All-Interessen abwickeln lässt, steht der Militarisierung des Weltraums mit großer Skepsis entgegen: „Eine militärische Nutzung des Weltraums birgt die Gefahr“, so ESA-Generaldirektor Jan Wörner, „dass sie Vertrauen stört und kaputtmacht, was über viele Jahre zwischen den Ländern gewachsen ist“. Deutschland hält sich in Sachen „Krieg der Sterne“ noch weitgehend bedeckt, beschränkt sich auch mit dem neuen „Air and Space Operations Center“ auf eine Kontroll- und Beobachter-Rolle. Sprich die Verantwortlichen konzentrieren sich im Wesentlichen auf eine Registrierung der Flugobjekte im All und des Weltraumschrotts. Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesrepublik ihre Zurückhaltung nach Realisierung des für 2023 geplanten deutschen Weltraumbahnhofs in der Nordsee samt etwaigem eigenem Raketenprogramm zum Satelliten-Transport ins Weltall ändern wird. Jedenfalls wurde am 13. Juli 2021 in Uedem schon mal das Weltraumkommando der Bundeswehr in Dienst gestellt.
Es ist aber zu befürchten, dass in Zeiten, in denen der weltweite militärische Abrüstungs-Prozess nicht nur ins Stocken geraten ist, sondern in ein Stadium globaler Waffenaufrüstung verwandelt wurde, ein neues kriegerisches Wettrüsten im All einsetzen wird. Und zwar so, wie es seit der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre im Rahmen des Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion der Fall war. Erst in den 1970er-Jahren war verstärkt auch eine zivilwirtschaftliche Nutzung des Weltraums in den Fokus gerückt worden, was letztlich auch zur Gründung der „ESA“ geführt hatte. Rein militärische Aktivitäten, wie die von US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er-Jahren ausgerufene „Strategische Verteidigungsinitiative“ zur Abwehr von feindlichen Interkontinental-Raketen, sollten dabei nicht vergessen werden.