Die Deutsche Oper Berlin feiert im September das 60-jährige Jubiläum ihres heutigen Gebäudes. Entworfen hat es Fritz Bornemann, einer der wichtigsten Vertreter der Nachkriegsmoderne, dem speziell der Berliner Westen noch weitere wegweisende Bauten verdankt.
Den Bau des ersten „Musiktempels" im Westen der Stadt mit dem Namen „Deutsches Opernhaus" hatte der Große Berliner Opernverein der Bürger von Charlottenburg veranlasst. In beiden Teilen Berlins waren die Opernhäuser durch Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstört, aber in unterschiedlichen Stilen wieder aufgebaut worden. Die DDR-Regierung wählte für die Lindenoper die bekannte historische Optik und zur Eröffnung im Jahr 1955 Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg".
In Westberlin hingegen wollte man Neues, und das dauerte etwas länger. Derweil diente das Theater des Westens als Ersatzspielstätte. Erst am 24. September 1961 wurde der „Bornemann-Bau" eröffnet, erntete aber zunächst aufgrund seiner fenster- und schmucklosen Straßenfassade aus grobsteinigem Waschbeton heftige Kritik. Dennoch war es das richtige Opernhaus zur richtigen Zeit, hatte doch die DDR-Regierung am 13. August 1961 mit dem Bau der Mauer begonnen. Mit 1.859 Sitzen im Großen Saal war und ist die Deutsche Oper Berlin die größte in der deutschen Hauptstadt, die zweitgrößte in Deutschland und eine der größten weltweit.
Gegenentwurf zur Lindenoper
Mozarts „Don Giovanni" in hochkarätiger Besetzung stand im neuen Haus an der Bismarckstraße zur Eröffnung auf dem Programm – und auf der Bühne waren unter anderen Dietrich Fischer-Dieskau als Don Giovanni und Elisabeth Grümmer zu erleben. Der Neubau hatte 27,5 Millionen Mark gekostet – umgerechnet wären das heute rund 62,7 Millionen Euro.
„Die Deutsche Oper Berlin ist ein Haus für große Stimmen, weltbekannte Namen spielen hier nicht so sehr eine Rolle. Unser Publikum ist unvoreingenommen und beurteilt die Leistung", betont der gebürtige Schleswig-Holsteiner Jörg Königsdorf, seit 2012 Chefdramaturg des Hauses. Rund 30 Aufführungen hat er, zuvor ein geschätzter Musikkritiker, seither betreut.
Besonders freut ihn, dass seit einigen Jahren auch weniger bekannte Werke zu Erfolgsstücken werden. So „Das Wunder der Heliane" von Erich Wolfgang Korngold mit Sara Jakubiak in der Hauptrolle oder „Der Zwerg" von Alexander von Zemlinsky sowie „Oceane" von Detlev Glanert (geboren 1960). Das Konzept, einem breiten Publikum auch zeitgenössische Werke näherzubringen, ist mit dem Entwurf von Fritz Bornemann eng verknüpft, er hatte die Deutsche Oper Berlin als ein demokratisches Musikhaus entworfen. In dem Großen Saal können die Opernfans – unabhängig vom Ticketpreis – auf allen Plätzen gut hören und sehen. Auch von den Logen aus, die fast freischwebend wie Nester an den edlen Holzwänden hängen. Darüber hinaus sind Weite und Funktionalität die Hauptmerkmale der Deutschen Oper Berlin. Eher schlicht kommt die Ausstattung daher, es gibt keinen Plüsch, dafür breite Treppen, luftig wirkende Foyers mit großen Glasfronten, die die Trennung von Innen- und Außenraum fast aufzuheben scheinen. Statt schwerer Kristalllüster schweben japanisch inspirierte Papierballons über den Köpfen.
„Weiträumigkeit, Großzügigkeit, die Verwendung edler Materialien und Bornemanns Ausarbeitung von Details" nennt Jörg Königdorf als besondere Pluspunkte. Selbst die Waschbeton-Fassade mit den darin enthaltenen Kieseln sei ein Qualitätsprodukt. „Der kunstsinnige Bornemann hatte eine moderne Idee von Luxus verwirklicht", sagt Königsdorf. Ihm selbst vermittle die Deutsche Oper Berlin „ein schönes, großstädtisches Gefühl."
Viele kleinere Formate zum Jubiläum
Das alles möchte er nun den Besucherinnen und Besuchern verstärkt nahe bringen, ist er doch hauptverantwortlich für die Gestaltung des Jubiläums. Eine üppige Geburtstagsfeier ist nicht geplant und passt auch nicht in die Zeit. Dafür gibt es anlässlich des Jubiläums eine ganze Reihe kleinerer Formate, die unter anderem Wissen vermitteln wollen und die eine oder andere Überraschung bieten.
Als Erstes werden Opernbesucher wohl über ein 2 x 5 Meter großes Häuschen im Foyer staunen, die „Caretaker’s Lounge", ein Werk der Berliner Bildhauerin Ina Weber. Dieses Hausmeister-Büdchen ist eine „Hommage für die Kümmerer", die wie der Hausmeister den Opernbetrieb im Hintergrund am Laufen halten. Am 21. September wird sich der Architektur-Experte Nikolaus Bernauer den Bauten Bornemanns in Berlin widmen, die internationale Maßstäbe gesetzt haben. Vermutlich können selbst die Dauergäste des Hauses noch einiges lernen. Dass heute nicht Schlösser, sondern Museen und Theater das Gesicht der Städte prägen, darüber diskutieren Ende September Jette Hopp, Architektin vom Opernhaus Oslo, und Christine Edmaier, bis 2021 Präsidentin der Architektenkammer. Im Oktober geht es dann um den internationalen Vergleich der in den 1960er-Jahren gebauten Opernhäuser und die Gestaltung der Zukunftsoper. Alle diese Vorträge und Diskussionen sind gratis, nötig ist jedoch die Buchung eines Zeitfensters. Außerdem werden regelmäßig Architekturführungen angeboten – zu Fuß und per Rad und zwar unter dem Titel „Radikal Modern – Fritz Borneman und die Architektur des Brutalismus".
Aber natürlich gehört auch Musik zum Geburtstagsprogramm. Am 28. September wird der Klang aus der Zeit um 1961 Thema sein, unter anderem mit Werken von Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch bei einem Kammerkonzert im Foyer. Für den grandiosen Kontrast sorgt fast zufällig Richard Wagners „Ring des Nibelungen". Dieser Zyklus ist seit der Gründung der Deutschen Oper Berlin eng mit ihrer Geschichte verbunden.
Hier in Berlin-Charlottenburg ging nämlich der erste Ring in den Jahren 1914/15 zunächst mit „Rheingold", „Walküre" und „Siegfried" über die breite Bühne. Die Götterdämmerung wurde erst 1921, nach dem Ersten Weltkrieg, fertig und komplettierte den Zyklus.
Saison startet wieder auf dem Parkdeck
Für den ersten Ring im neuen Bornemann-Bau sorgte 1967 Intendant Gustav Rudolf Sellner. Legendär wurde jedoch der Götz-Friedrich-Ring von 1984 mit dem von Peter Sykora ersonnenen 34 Meter langen Tunnel. Nach anfänglicher Schockwirkung riss diese Inszenierung Wagnerfans aus dem In- und Ausland 33 Jahre lang zu Ovationen hin. Gerade arbeitet der Norweger Stefan Herheim an einer neuen Interpretation des Rings, dabei wird das Thema Flucht und Vertreibung einen wichtigen Platz einnehmen. Gebremst wurden die Proben jedoch erheblich durch die Corona-Lockdowns. Als Ersatz gab es im Juni 2020 ein gekürztes „Rheingold" – nicht von Herheim – auf dem luftigen Parkdeck der Deutschen Oper Berlin, das viel Anklang beim Publikum fand. Und Ende September hatte Herheims „Walküre" Premiere, sein „Rheingold" vor gut zwei Monaten.
Die neue Spielzeit beginnt wieder frischluftig auf dem Parkdeck, das sich akustisch ebenfalls bewährt hat. Auch für die Premiere von „Greek" wird es genutzt. Am 24. September startet zunächst die „Tischlerei", die Jugend- und Experimentierbühne, mit dem neuen Stück „Die Vorüberlaufenden". Am 26. September wagt sich das Staatsballett Berlin mit der Uraufführung von „Dawson" drinnen aufs Parkett. Und Oper gibt’s drinnen ab Ende September mit Benjamins Brittens „A Midsummer Night’s Dream".
Dabei fährt die Deutsche Oper aber wie andere Opernhäuser und Theater „auf Sicht" – so können zunächst nur Tickets für Vorstellungen bis einschließlich 15. Oktober gebucht werden. Für alle Besucher gilt die „3-G-Regel", das heißt, es muss ein Nachweis über eine doppelte Impfung, die Genesung beziehungsweise über einen aktuellen negativen Test erbracht, im Haus muss eine FFP2- beziehungsweise eine medizinische Maske getragen werden. Bei all den ungewohnten Umständen eines Opernbesuchs gibt es auch einen kleinen Lichtblick für die „dunkle Jahreszeit". Da soll es, so Chefdramaturg Königsdorf, an Wochenenden auch Nachmittagsaufführungen um 16 Uhr geben, die Familien den Opernbesuch erleichtern. Opern und Konzerte als Stimmungsaufheller – wie schön!