Rotwein, Käse und ein frisches Baguette – das Frankreich-Klischee ist nicht mehr zeitgemäß. Denn wie in Deutschland kämpfen auch französische Bäcker mit einem veränderten Verhalten ihrer Kunden. Neue Konzepte sind gefragt.
Es ist zwischen 55 und 70 Zentimeter lang, wiegt zwischen 240 und 310 Gramm und besteht aus Weizenmehl, Wasser, Salz und Hefe. Ein Exportschlager der französischen Esskultur schlechthin: das Baguette. Es darf bei keiner Mahlzeit in Frankreich fehlen. Ob nun beim schlichten Frühstück mit Butter, Marmelade und Kaffee, beim Mittagessen zum Salat und Käse, zum Abendbrot, zur Suppe oder zum opulenten Menü. Ohne „le pain", Brot, geht da gar nichts beim Essen.

Doch inzwischen wankt das althergebrachte Bild, das wir im Kopf haben vom lebensfrohen Franzosen mit Béret auf dem Kopf und Baguette, Camembert und einer Flasche Rotwein unter dem Arm. Haben unsere Nachbarn um 1950 noch 400 Gramm Brot am Tag pro Person vertilgt, sind es nach Angaben der Bäckerinnung Frankreichs heute nur noch 120 Gramm pro Kopf. Und das bleibt nicht folgenlos. Rund 9.000 Bäckerstellen seien in ganz Frankreich derzeit unbesetzt, sagt Julien Froehlich. Er betreibt drei Bäckereien im grenznahen Frankreich und seit einem Jahr einen „Salon de Thé" mit französischem Brot, Gebäck, Kaffee und Tee knapp hinter der deutschen Grenze, in Saarbrücken.
Nur wenige französische Bäcker wagen den Sprung über die Grenze mit einem eigenen Geschäft. Vorbei die Zeiten als gleich mehrere französische Bäcker mit Lieferwagen an den deutsch-französischen Grenzübergängen wie in Saarbrücken-Güdingen den deutschen Kunden allsonntäglich frisches Baguette verkauften, vor allem als in Deutschland die Bäckereien sonntags noch geschlossen waren. Nur vereinzelt findet man noch einen Verkaufslieferwagen.
Neue Vertriebsideen notwendig
„Für viele Bäcker lohnt sich der Verkaufswagen nicht, um über die Grenze oder in entlegene Dörfer zu fahren", erklärt Julien Froehlich, der zugleich der Vorsitzende der Bäckerinnung des 20.000-Einwohner-Städtchens Saargemünd ist. Betriebs- und Personalkosten seien einfach zu hoch. Außerdem sei man als Saarländer schnell einfach mal selbst über die Grenze gefahren, um ein echtes französisches Baguette zu kaufen, wenn nicht gerade die Corona-Pandemie mit Grenzschließungen dazwischenfunkt. Rund 15 Prozent deutsche Kunden zählt Froehlich in seinen Bäckereien. Viele Saarländer entlang der französischen Grenze wissen natürlich, wo sie sonntagmorgens auf deutscher Seite ihr Baguette aus Frankreich bekommen. Einige Kioske und Tankstellen haben sich seit Langem darauf eingestellt, werden von Frankreich aus beliefert.
Wer gern auf Wochenmärkten einkauft, trifft auch in Deutschland hier und da auf französische Bäckereistände. In der saarländischen Landeshauptstadt Saarbrücken, an der Ludwigskirche, und ein paar Hundert Meter weiter in St. Arnual versucht der „Maître Boulanger" aus Saargemünd sein Glück, in St. Ingbert steht einmal pro Woche der preisgekrönte Bäcker „P’tit Jean" aus dem lothringischen Rohrbach-lès-Bitche. Der mit 30 Mitarbeitern, davon zwölf Auszubildende, geführte Familienbetrieb wurde 2017 mit dem Preis für das beste Baguette in Frankreich ausgezeichnet, täglich gibt es eine Vielzahl an ausgefallenen Eclairs. Bäckermeister und Patron Joël Schwalbach ist stolz auf diese Auszeichnung, denn in 100 Jahren haben nur rund 90 Bäckereinen in ganz Frankreich diesen Preis bekommen. In der Woche können sich die Kunden ab halb fünf Uhr morgens mit frischen Croissants und „Pain" eindecken. „Viele Franzosen, die zum Beispiel in Deutschland arbeiten und von weiter her kommen, sind dann schon auf den Beinen", erklärt Joël Schwalbach seine frühen Öffnungszeiten.
Fachkräftemangel oder sinkende Azubizahlen im Bäckerhandwerk spüren die Franzosen ebenfalls, aber „bisher haben wir es immer geschafft, Nachwuchs zu rekrutieren", so Schwalbach.
Wer heutzutage in der Backbranche unterwegs sei, müsse aber andere Konzepte haben als nur Brot zu verkaufen, sagt Julien Froehlich. Neben den veränderten Konsumgewohnheiten wollen die Kunden mittags Snacks in Form von belegten Baguettes, Quiche Lorraine, Pizzas oder Ähnliches. Selbst kleine warme Mahlzeiten zum Mitnehmen stehen hoch im Kurs. Das mache mittlerweile einen Großteil des Umsatzes aus.
Gesetz gegen Verschwendung
Darüber hinaus entwickeln sich neue Vertriebskonzepte, um das morgendliche frische Baguette und Croissants zu den Kunden zu bringen. Die Baguette-Box eines Start-up-Unternehmens aus Wasselonne aus dem Elsass findet mittlerweile immer mehr Anhänger unter den Bäckern aus Lothringen. Als Abonnent der Baguette-Box erhält der Kunde vor 6.30 Uhr garantiert sein Brot, zugestellt durch einen Fahrdienst. Eine Idee, die auch „P’tit Jean" aus Rohrbach-lès-Bitche unterstützt. „In vielen Dörfern gibt es kaum noch Bäckereien, aber immer mehr ältere Bürger", so Joël Schwalbach. Das sei durchaus ein Weg, das Baguette an den Mann und die Frau zu bekommen. Baguette-Automaten, die vor ein paar Jahren für Furore sorgten, seien für ihn dagegen keine echte Alternative. Als Notlösung bezeichnet das auch „Maître Boulanger" aus Saargemünd: „Die meisten Menschen wollen Kontakt in den Bäckereien und nicht vor einem Automaten stehen." Außerdem sei das mit der Frische so eine Sache, das Baguette würde schneller hart.

Konkurrenz gibt es natürlich auch durch die Supermärkte, die auf der grünen Wiese entstehen. Aber dort werden in den angeschlossenen Bäckereien oftmals Rohlinge verarbeitet und lediglich aufgebacken. Nachhaltigkeit oder Retouren von nicht verkaufter Ware stehen auch in Frankreich hoch im Kurs. Zweimal pro Woche werden übrig gebliebene Produkte an die „Restaurants du Coeur" angeboten, eine Initiative für Obdachlose oder wenig Betuchte, die bereits 1985 vom damaligen französischen Komiker und Schauspieler Coluche ins Leben gerufen wurde. Zudem gibt es die Möglichkeit, gewisse Produkte an Tiere zu verfüttern. Es wird also nur wenig bis gar nichts weggeworfen. Ohnehin verbietet das sogenannte Loi Garot seit 2016, dass Supermärkte oder Restaurants ihre Reste unbrauchbar machen. Frankreich geht seit 2013 aktiv gegen Lebensmittelverschwendung vor.
Mit dem Baguette ist das so eine Sache: Der „Härtegrad" des Weißbrots nimmt Stunde um Stunde zu und macht aus einem frischen Baguette am nächsten Tag einen zähen oder harten Knüppel. Trotz der eigentlich immer gleichen Zutaten sind Konsistenz und Geschmack beim Baguette höchst unterschiedlich. Bei der Rezeptur lassen sich die Bäcker nicht gern über die Schulter schauen, doch die wohl größten Unterschiede liegen in der unterschiedlich langen Gärung und in der Backweise, verrät Joël Schwalbach. Das französische Baguette sei deshalb anders als das deutsche.