Der wegen Corona um ein Jahr verschobene Ryder Cup findet wieder vor Zuschauern statt. Die Vorfreude ist auch bei den Golfprofis riesig, denn das Turnier hat einen enormen Stellenwert.
Es gab zu Essen, zu Trinken und ein kleines Taschengeld – für den Golfsport war das schon 1927 eine recht dürftige Siegprämie. Wettbewerbserfinder Samuel Ryder, der bei der Premiere „fünf Pfund pro Spieler und eine Feier mit Champagner und Hühnchen-Sandwiches" für die Gewinner ausgelobt hatte, setzte auf einen anderen Faktor als Motivation: Prestige. Und so ist es bis heute geblieben, vielleicht macht das auch die Faszination des Ryder Cups aus. Während es woanders Millionen-Schecks zu gewinnen gibt, geht es beim Traditionsturnier einzig und allein um die Ehre. Amerika gegen Europa – dieses Golf-Duell fasziniert die Sportwelt und hat sich seit den Anfängen zu einem riesigen Event entwickelt. Und das ganz ohne Preisgeld.
Vom 24. bis 26. September 2021 gibt es auf dem Straits Course des Golfclubs Whistling Straits in Haven/Wisconsin wieder ein Stelldichein der besten Spieler der Welt. Beim bedeutendsten Golf-Mannschaftsturnier ist auch Martin Kaymer dabei – allerdings nicht als Spieler. Der Weltranglisten-92. konnte sich sportlich nicht qualifizieren, zuletzt beendete er die mit acht Millionen US-Dollar dotierte BMW PGA Championship auf der European Tour mit 278 Schlägen auf dem 25. Rang. Kaymer wird aber als einer von zwei Vizekapitänen das Team Europa begleiten. „Ich fühle mich sehr geehrt", sagte der zweimalige Major-Turnier-Gewinner aus Mettmann. „Uns Europäern bedeutet das sehr viel, besonders mir als dem deutschen Spieler, der 2012 den entscheidenden Putt gelocht hat."
Kaymer bekannt für „Miracle of Medinah"
Diese Szene auf der letzten Bahn im Medina Country Club hatte Kaymer berühmter gemacht als er damals ohnehin schon war. Weil er im Schlussakt gegen Steve Stricker die Nerven behielt und zum „Miracle of Medinah", wie das größte Comeback des europäischen Teams in der Geschichte bezeichnet wurde, eingelocht hatte. Nach den ersten 16 Matches hatte Team Europa noch mit 6:10 hinten gelegen, doch dann folgte eine famose Aufholjagd – und ein fantastisches Finish von Kaymer. „Es ist ein Gefühl, das ich nie zuvor hatte", sagte er damals.
Nun steigt Kaymer zum Stellvertreter von Kapitän Pádraig Harrington auf. „Diese Nominierung", sagte der deutsche Golfprofi, „sagt viel darüber aus, was der Kapitän und das gesamte Team über dich denken und wie sehr sie dich schätzen." Spontan zugesagt hatte Kaymer aber nicht, er spürt schon jetzt den Druck des Amtes. „Ich gebe zu, es hat eine Weile gedauert, bis ich Ja gesagt habe, weil es eine große Verantwortung ist." Nach einer Zeit des Zögerns arbeitete sich Kaymer aber in die neue Rolle ein, er sprach viel mit Harrington und überlegte sich Strategien: „Wenn ich etwas mache, möchte ich es richtig machen."
Im Kapitäns-Team möchte Kaymer eher die mentale Seite abdecken. „Ich bin nicht der Typ, der auf Zahlen und Statistiken steht", begründet der 36-Jährige. Er wolle lieber „mit den Jungs sprechen, mehr über persönliche Dinge und über die mentale Seite." Er könne sich in alle Spieler im Team hineinversetzen, egal ob Rookie oder alter Hase. „Ich denke, dass ich ihre Empfindungen sehr gut nachvollziehen kann." An Ryder-Cup-Erfahrung mangelt es ihm nicht: Viermal nahm Kaymer an dem Prestigeturnier als Spieler teil, dreimal holte er den Sieg und insgesamt 6,5 Punkte für Europa.
„Martin ist jemand, den ich als Vizekapitän haben wollte, weil er eine großartige Persönlichkeit und Gelassenheit hat, weil er europäischen Einfluss sowie viel Selbstvertrauen mitbringt", begründete Kapitän Harrington seine Wahl für den Deutschen. Durch seine zwei Major-Siege 2010 (PGA Championship) und 2014 (US Open) bringe Kaymer zudem „das notwendige Maß an Autorität und Sicherheit mit, das wir brauchen", ergänzte der 50 Jahre alte Ire, der von Kaymer „positive Emotionen" sehen will: „Er ist jemand, der zu einer guten Stimmung beiträgt, den Arm um einen oder zwei Spieler legt, und den notwendigen Glauben mitbringt, den wir möglicherweise während der Woche brauchen."
Namhaft besetzte Teams für Europa und Amerika
Harrington, der mit dem Nordiren Graeme McDowell einen zweiten Vize ernannte, wählte als seine sogenannten „Captain‘s Picks" namhafte Leute in sein Team: Sergio García, auf dem Papier der erfolgreichste Ryder-Cup-Spieler der Geschichte, Rookie Shane Lowry („Wir brauchen die jungen Kerle und ihren Enthusiasmus") und Ian Poulter („Er hebt sich selbst empor, er hebt seine Spielpartner empor und auch das ganze Team"). Sportlich hatten sich der Weltranglistenerste Jon Rahm, Viktor Hovland, Paul Casey, Tommy Fleetwood, Rory McIlroy, Tyrrell Hatton, Matthew Fitzpatrick, Bernd Wiesberger und Lee Westwood qualifiziert.
Das zwölfköpfige Amerika-Team wird von Kapitän Steve Stricker angeführt. Außerdem zählen Tony Finau, Jordan Spieth, Xander Schauffele, Harris English, Daniel Berger, Scottie Scheffler, Collin Morikawa, Dustin Johnson, Bryson DeChambeau, Brooks Koepka, Justin Thomas und Patrick Cantlay zur US-Mannschaft.
Der Kontinentalvergleich, der gewöhnlich im Zweijahresrhythmus stattfindet, unterscheidet sich nicht nur wegen des fehlenden Preisgeldes von allen anderen Profiturnieren. Die Sieger werden in den 19 Partien nicht wie üblich im Zählspiel, sondern im Lochspielmodus ermittelt, wobei die Spielarten wechseln. Es wird also nicht gegen den Platz gespielt, sondern gegen einen Gegner oder ein gegnerisches Paar. An den ersten beiden Tagen finden die sogenannten Foursomes oder Fourballs statt, bei dem zwei europäische und zwei amerikanische Golfer gegeneinander antreten. Erst am Schlusstag heißt es in zwölf Einzelmatches „Mann gegen Mann".
Jedes Team sammelt Punkte, ein Sieg bringt einen ganzen Zähler, ein Unentschieden immerhin einen halben. Maximal möglich sind 28 Punkte. Die Mannschaft mit den meisten Punkten gewinnt die Trophäe. Aber was passiert bei einem Remis? In diesem Fall ist Europa im Vorteil, weil dann der Titelverteidiger zum Sieger ernannt wird. Die Europäer hatten zuletzt öfters die Nase vorn, vier der vergangenen fünf Duelle haben sie für sich entschieden. 2010 und 2012 reichte dafür gerade mal ein Punkt Vorsprung. Bei der bislang letzten Ausgabe 2018 in Paris ließen Rory McIlroy und Co. den Amerikanern um Superstar Tiger Woods keine Chance (17,5:10,5). In der Gesamtbilanz führen jedoch die USA mit 26 Siegen.
Bis 1977 haben sich die Amerikaner nicht mit ganz Europa gemessen, sondern mal gegen Großbritannien, mal gegen Irland. Doch der sportliche Reiz hielt sich in Grenzen, zu dominant waren die US-Profis. Also entschieden sich die Vermarkter zum Duell der Kontinente – und schossen damit ins Schwarze. Kein anderes Golfturnier erregt so große Aufmerksamkeit, selbst weniger golfaffine Sportfans interessieren sich an diesem einen Wochenende alle zwei Jahre für das Spiel.
Die Übertragungen laufen in über 180 Ländern, die Hauptrechte hatten sich die US-Fernsehsender CBS und NBC 2012 mit einem Zehnjahresvertrag gesichert. Geschätzte 160 Millionen Euro sollen dafür geflossen sein. Zusätzliches Geld nimmt der Lizenznehmer, die PGA of Amerika, durch den Verkauf von Sponsoren- und Hospitality-Paketen an Unternehmen ein. Der Ryder Cup ist weltweit eines der bedeutendsten Sportereignisse und eine Gelddruckmaschine – egal, ob er in den USA oder in Europa ausgerichtet wird.
In diesem Jahr schlagen die Golfstars auf dem Straits Course des Golfclubs Whistling Straits auf. Die Anlage wurde 1998 eröffnet und war schon dreimal Austragungsort für die PGA Championship (2004, 2010, 2015), der Ryder Cup macht hier aber zum ersten Mal Halt. Der Par-72-Platz mit vier Par-3 und vier Par-5-Löchern misst 6859 Meter. In Deutschland wird das Turnier vom Pay-TV-Sender Sky vom ersten Abschlag bis zum letzten Putt übertragen.
„Cup ohne Zuschauer ist kein Ryder Cup"
Ursprünglich hätte das traditionsreiche Turnier im September 2020 stattfinden sollen, wegen der Corona-Pandemie war es jedoch um ein Jahr nach hinten verschoben worden. Bei der Entscheidung hätten „die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Beteiligten oberste Priorität" gehabt, hieß es damals in der offiziellen Erklärung der Veranstalter. Bei den Profis kam die Verschiebung gut an, denn auf ein Turnier ohne Zuschauer – und das war die damals einzige Alternative gewesen – hatte nicht nur Rory McIlroy keine Lust: „Ich habe da eine ganz klare Vorstellung. Ein Ryder Cup ohne Zuschauer ist kein Ryder Cup." Diesmal werden Fans dabei sein, die konkrete Zahl stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Unter normalen Bedingungen passen 40.000 bis 50.000 Zuschauer pro Tag auf die Anlage. „Ich denke, die Welt ist bereit, eine Party zu feiern", sagte Seth Waugh, CEO der PGA of America.
Doch nicht immer ist das Zuschauer-Dasein ein Vergnügen. Nicht nur Wetter-Kapriolen, von denen es in der Geschichte des Ryder Cups eine Menge gab, können das Vergnügen trüben. Mitunter ist der Fan auch stärker in das Spiel involviert als gewollt. Bei der letzten Ausgabe wurde die Französin Corine Remande nach einem missglückten Abschlag von US-Star Brooks Koepka durch den Golfball verletzt. Sie vermutete nach ärztlichen Untersuchungen den Verlust der Sehkraft auf einem Auge und drohte mit Klage gegen die Veranstalter. „Da hätte es eine Warnung durch die Ordner geben müssen", beschwerte sich Remande. Die Organisatoren hatten entgegnet, dass in der Szene mehrfach „Fore" gerufen worden sei. Dieser Begriff warnt in der Golfszene vor einem sich herannahenden Ball.
Durch die Verschiebung müssen die Veranstalter in Rom, die die 44. Ausgabe durchführen dürfen, ein Jahr länger warten. In Italiens Hauptstadt wird nun erst 2023 aufgeschlagen. Damit findet der Ryder Cup wieder in den ungeraden Jahren statt, so wie schon in den ersten Auflagen von 1927 bis 1999. Nur aufgrund der Terroranschläge am 11. September 2001, die erstmals eine Verschiebung nach sich zogen, waren zuletzt die geraden Jahre für den Ryder-Cup-Kalender elementar.