Die Zeit ist günstig: Im Vergleich zum milliardenschweren deutschen Videospielmarkt gab es bislang nur wenige deutsche Erfolge. Aber das ändert sich, zeigen Indie-Entwickler wie Jasmin Pfeiffer, Julian Colbus und Felix Klein.
Frau Pfeiffer, Herr Colbus, Herr Klein, wann haben Sie mit dem Spielen begonnen?
Jasmin Pfeiffer: Erst recht spät. Mit 19 Jahren habe ich Spiele für mich als Medium, vor allem als Kunstform entdeckt. Nach einer Konferenz zum Thema an der Universität haben Julian und ich angefangen, selbst Spiele zu entwickeln. Was mich daran fasziniert ist die Interaktivität – ich bin kein passiver Zuschauer wie bei einem Film. Im Spiel kann ich selbst die Story gestalten, und das bietet neue Möglichkeiten, wie man Geschichten erzählen kann.
Julian Colbus: Ich zocke seit etwa 1998, damals noch mit dem Game Boy. Kreativ gearbeitet habe ich schon immer, habe mit Jasmin 2011 ein Theaterstück inszeniert. Seit 2015 arbeite ich als Komponist für Spiele-Soundtracks und mit Jasmin seit 2014 an der Idee zu unserem aktuellen Spiel „Lacuna". Wir beide sind als Literaturwissenschaftler auch nicht die typischen Games-Entwickler, obwohl diese Quereinstiege immer öfter vorkommen.
Felix Klein: Bei mir fing es ebenfalls mit dem Game Boy Classic an, ich bin eher der Konsolenspieler, also Playstation oder Super Nintendo. Mit dem Spiele- entwickeln habe ich mit 16 angefangen, mithilfe des RPG-Makers im Internet. Damit konnte man kleine Rollenspiele basteln. Im Informatik-Studium hatte ich schon immer den Hintergedanken, einmal Spiele zu entwickeln. Aber damit angefangen habe ich durch den beginnenden Hype der Indie-Spiele.
Wie sah denn die Entwicklung Ihrer Spiele bis heute aus?
Klein: „Crosscode" war anfangs ein Hobbyprojekt aus der RPG-Maker-Szene. Mit dem Wissen aus meinem Studium habe ich dann einen Prototyp auf Basis von App-Technologien entwickelt. Nach und nach fanden sich weitere Entwickler, die daran mitarbeiten wollten. Die habe ich dann erst einmal mit Geld bezahlt, das ich privat angespart hatte. Eine Games-Förderung gab es vor vier Jahren noch nicht, also haben wir per Crowdfunding die Kosten gestemmt, 90.000 Euro kamen dabei zusammen. Ab diesem Zeitpunkt habe ich meine Uni-Stelle gekündigt und habe mich Vollzeit auf das Spiel konzentriert. Das Spiel ging dann ganze drei Jahre lang in den Early Access, in der Zeit haben wir mithilfe der ersten Spieler viele Fehler ausgebügelt. Mit Deck 13 fanden wir einen Publisher, der uns beim Marketing geholfen hat, und sind mittlerweile mit einer Konsolenversion bei knapp 500.000 Spielern weltweit. Wir vertreiben die PC-Version hauptsächlich über die Plattform Steam. Für die Portierung auf Spielekonsolen aber haben wir Deck 13 als Partner. „Crosscode" war zwar eine deutsche Produktion, aber wir haben uns bewusst einen internationalen Stil ausgedacht, in Anlehnung an japanische Anime-Serien. Dieser entspricht so überhaupt nicht dem deutschen Geschmack, obwohl wir auch viele deutsche Fans haben, die diesen Stil mögen. Aber deshalb war es dann auch weltweit erfolgreich.
Colbus: Die Idee für „Lacuna" haben wir hartnäckig lange verfolgt, quasi autodidaktisch das Entwickeln erlernt. Das Schwierige an Spielen ist, dass man ein interdisziplinäres Team braucht: für die Story, die Technik und Grafik, die Musik. Was wir nicht machen konnten, haben wir an Freischaffende ausgelagert. Dafür braucht es wiederum Geld. Die Entwicklung von „Lacuna" war relativ günstig; wir beide hatten viel Vorarbeit geleistet, trotzdem hat es einen sechsstelligen Betrag gekostet. Wir hatten das Glück, einen deutschen Publisher zu finden, Assemble Entertainment, der uns beim Finanzieren und Vermarkten geholfen hat. Im Mai 2021 kam es auf den Markt, auch auf Steam, dem mit Abstand wichtigsten Store für PC-Spiele.
Pfeiffer: Die Qualität haben wir mithilfe von anderen Spielern gesichert, denen wir per Stream beim Spielen zugeschaut haben. Dadurch haben wir sehr viel darüber gelernt, wo es noch hakt, wo es noch Unklarheiten gibt.
Können Sie alle nun davon leben?
Colbus: Ja, aber dass ein Spiel so viel abwirft, dass man im Anschluss ein weiteres produzieren kann, ist unrealistisch. Im Idealfall nimmt ein Spiel ein, was es gekostet hat und macht Gewinn, doch alleine von den Einnahmen könnten wir unsere Ausgaben nicht decken, bis das nächste Spiel fertig wäre. Auch nach erfolgreichem Release müssen wir schauen, dass wir alternative Geldquellen auftun. Das heißt aber nicht, dass „Lacuna" nicht erfolgreich ist. Die Kritiken sind gut, und unser Publisher ist ebenfalls sehr zufrieden.
Pfeiffer: In Deutschland sind die Erfolgsgeschichten für Entwickler allerdings immer noch eine Ausnahme. Ein positives Beispiel sind Mimimi Games, die für ihre Spiele viele Preise gewonnen haben und in den letzten Jahren stark gewachsen sind. 2020 war insgesamt ein sehr erfolgreiches Jahr, auch für innovative deutsche Spiele wie zum Beispiel „Dorfromantik", entwickelt von einem Studententeam, oder „Death Trash" von einem Team aus Berlin, gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg.
Zwar werden in Deutschland Milliarden mit Videospielen umgesetzt, aber nur ein Bruchteil davon entsteht im eigenen Land. Ändert sich das durch die Bundesfördermittel, die es nun gibt?
Pfeiffer: Ja, ich glaube schon, das sieht man bereits an den ersten Förderprojekten. Das ist zwar nun ein neues Thema des Bundes, aber in den einzelnen Bundesländern gibt es bereits seit Längerem Fördermittel. Berlin oder Bayern zum Beispiel fördern Videospiele, entsprechende Studiengänge und erfolgreiche Studios wie Mimimi Games. Nun kommt es aber darauf an, dass nicht nur pädagogisch wertvolle Spiele, also Serious Games, gefördert werden, sondern auch andere Spiele. Serious Games und Lernspiele sind sicher wertvoll, aber kommerziell wenig erfolgreich, während kommerziell erfolgreiche Titel weniger eine Rolle in der öffentlichen Diskussion spielen. Gerade die ungewöhnlichen Ideen, wie man bei „Death Trash" auch sieht, versprechen Erfolge, aber mein Eindruck ist, dass dies in der Gamesförderung zu wenig berücksichtigt wird.
Klein: In Deutschland ist auch Risikokapital insgesamt weniger verfügbar als beispielsweise in den USA – und nach meinem Eindruck schon gar nicht für hochwertige Unterhaltung oder kommerzielle Spieletitel. Spiele entstehen oft über lange Zeit, weil es zunächst für viele Entwickler nicht möglich ist, sich aus finanziellen Gründen Vollzeit damit zu beschäftigen. Eine Förderung kann hier selbst mit kleinen Summen helfen.
Mittlerweile ist das Videospiel ja inmitten der Kunst- und Kulturdebatte auch in Deutschland angekommen. Ist das nur ein „Marketing-Gag" für ein rein kommerzielles Unterhaltungsprodukt?
Colbus: Es hat alle Anzeichen eines künstlerischen Gutes. Wir leisten kreative Arbeit, nur eben mithilfe von Technologie. Wenn jemand Musik macht, stellt das niemand als Kunst infrage. Wir schreiben Storys, entwickeln Charaktere, Dialoge, ganze Welten wie ein Autor oder Regisseur, komponieren die Musik dazu. Es ist Kunst und Kultur aufgrund der Disziplinen, die involviert sind.
Klein: Ein kulturelles Gut ist auch eng mit dem Kulturkreis verbunden, in dem es geschaffen wurde – bestes Beispiel ist das Computer-Rollenspiel „The Witcher". Das Spiel wurde in Polen produziert, auf den ersten Blick ein typisches Rollenspiel, aber eben auf den zweiten tief verbunden mit der polnischen Kultur.
Pfeiffer: Wir merken aber auch, dass die Kriterien bei Spielen nicht so klar sind, wenn es um die Diskussion geht, ob sie Kunst oder ein Kulturgut sind. Oft werden Kriterien aus anderen Medien wie Filmen herangezogen, um sie einzuordnen. Gamedesign aber ist offenbar noch nicht so gut fassbar in dieser Debatte.
Die größten Videospielproduktionen verschlingen mittlerweile so viel Geld wie Hollywood-Blockbuster. Ist die Hürde für erfolgreiche Titel dadurch noch größer in Deutschland geworden?
Colbus: Einerseits gibt es immer mehr Entwicklerstudios, andererseits wird auch der Markt immer größer. Große Produktionen gehen möglichst wenige Risiken ein, auch, weil viel Geld und viele Jobs dahinterstecken. Aber da der durchschnittliche Spieler mittlerweile 38 Jahre alt ist, hat dieser auch keinen großen Bock mehr, die gleiche Erfolgsformel 20-mal durchzuspielen. Der Wunsch nach neuen Erfahrungen ist gestiegen, und diese bieten eben kleinere Studios. Daher stehen wir auch nicht in direkter Konkurrenz mit den großen Produktionen.
Pfeiffer: Es sind völlig andere Ansätze. In der Regel versuchen Indie-Games neue Möglichkeiten der Erzählung und der Unterhaltung zu finden, mit viel weniger Geld im Rücken. Fotorealistische Militärshooter wie „Call of Duty" bedienen ganz andere Interessen.
Gibt es denn schon nächste Projekte?
Pfeiffer: Ja, aber das ist noch ein Geheimnis. Für unser nächstes Projekt haben wir uns im Team zusammengesetzt, jeder bringt eine Idee mit und dann schauen wir, welche miteinander funktionieren. Damit haben wir vergangenes Jahr viele Tage verbracht und vieles ausprobiert. Finanziell ist es so gut wie abgesichert, und ich denke, es gibt erste Informationen dazu in einem Jahr.
Klein: Unser nächstes Spiel ist auch in der Mache, Arbeitstitel „Project Terra". Es ist sehr ambitioniert, ähnelt vom Gameplay „Crosscode". Aber wir werden eine offene Entwicklung machen, weil wir das so gewohnt sind, entsprechend findet man Informationen auch dazu auf unserem Blog.