Der Ausbau der Windkraft auf dem Land ist für die Energiewende unerlässlich – leider allerdings auch wegen mangelnder Akzeptanz ziemlich ins Stocken geraten. In Computersimulationen und Pilotprojekten erscheint jedoch eine neue Technik: senkrecht drehende Windenergieanlagen als effiziente Alternative.

Jüngsten Umfragen zufolge befürwortet die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger die Energiewende und den damit verbundenen Ausbau der erneuerbaren Energien. Wenn es dann aber ans Eingemachte geht, sprich an die Installation neuer Windparks im weiteren Umfeld von Städten oder Kommunen, regt sich vielerorts heftiger Widerstand. Dieser führt häufig zu Baustopps und endlosen Verfahren vor deutschen Gerichten, weil die Windparks mit ihren bis zu 200 Meter hohen und mit über 40 Meter langen Rotorblättern ausgestatteten Einzelelementen unbestritten gehörigen Lärm erzeugen. Das kann nach Meinung mancher Betroffener zu gesundheitlichen Problemen führen, andere Kläger fürchten eine erhebliche Wertminderung ihrer Immobilien. Auch die Verschandelung der Landschaft, der eminent große Flächenfußabdruck der Anlagen oder Vogelschutzbedenken werden gegen die Windparks häufig ins Feld geführt.
Obwohl die Bundesregierung jüngst den Instanzenzug zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren verkürzen ließ und die fixe 1.000 Meter-Abstandsregelung durch mögliche flächenmäßige Abweichungen auf Landesebene aufgeweicht hatte, ist der Ausbau der Windenergie in letzter Zeit erheblich ins Stocken geraten. 2020 waren nur noch rund 1.400 Megawatt an Leistung hinzugekommen, seit der Jahrtausendwende gab es nur zwei Jahre (2008 und 2010) mit noch weniger neu installierter Windenergieleistung, während der Anstieg zwischen 2013 und 2018 jährlich im Schnitt 4.000 Megawatt betrug. Eine bedenkliche Entwicklung, die die überaus ambitionierten Energiewende-Zielvorgaben der Bundesregierung gefährden könnte. Schließlich soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung bis 2030 stolze 65 Prozent betragen.
Windenergie als wichtigste regenerative Stromquelle
Ohne den zügigen Ausbau der Erneuerbaren werden all diese Vorgaben kaum erreicht werden. Wobei speziell der Windenergie im Strombereich eine ganz zentrale Rolle zufällt. Ihr Anteil an der hiesigen Bruttostromerzeugung aus erneuerbaren Energien lag 2020 schon bei über 60 Prozent. Mit 131 Milliarden Kilowattstunden wurde durch Windenergie so viel Strom erzeugt wie durch keinen anderen Energieträger in Deutschland. Die Windenergie ist im Strombereich die mit Abstand wichtigste regenerative Stromquelle, sie stellt kurz- und auch mittelfristig das kostengünstigste Ausbaupotenzial im Bereich der erneuerbaren Energien dar. Der Anteil der Windenergieanlagen am deutschen Bruttostromverbrauch lag 2020 bei 23,7 Prozent.

Insgesamt waren bis Ende 2020 in der Bundesrepublik 62,50 Gigawatt Windenergieleistung installiert, wobei auf Onshore-Anlagen 54,4 Gigawatt entfielen, auf Offshore-Anlagen 7,75 Gigawatt. Zusammen produzierten die insgesamt rund 29.000 Windenergieanlagen des Landes eine Ökostrommenge von 131 Terrawattstunden – was rein rechnerisch ausreichen würde, um die Stromversorgung von knapp 38 Millionen Haushalten zu gewährleisten. Für 2030 werden zu Land 71 Gigawatt angepeilt, zu See sollen es 20 Gigawatt werden. Was laut der Energiebranche nur dann zu realisieren sein wird, wenn prozentual deutlich mehr Flächen der Republik für die Installation von Windkraftanlagen zugelassen werden. Bislang liegt der Wert bei 0,9 Prozent, künftig sollen es zwei Prozent werden. Wofür das bisherige starke Nord-Süd-Gefälle abgebaut und vor allem auch in Sachen Windkraft bislang weitgehend abstinente Länder wie Baden-Württemberg und Bayern einbezogen werden müssten. Im ersten Halbjahr 2021 ging es bei der Windenergie leicht bergauf, es wurden 240 Anlagen mit einer Leistung von 971 Megawatt neu installiert.
Bislang beruht das Erfolgskonzept der Windenergiebranche auf der Installation immer höherer, leistungsfähigerer und den Flächenfußabdruck stetig ausweitender Anlagen. Und selbstverständlich setzen mehr oder weniger alle Betreiber auf ein einziges Standard-Modell, nämlich den rohrförmigen Turm mit einem auf horizontaler Achse montierten dreiblättrigen, den Auftrieb nutzenden Windrad, einem Rotor auf der Luvseite und einem Generator, der die kinetische Energie des Rotors in elektrische Energie umwandelt. Da sie idealerweise immer direkt im Wind stehen sollten, bedürfen sie ständig einer automatischen Nachjustierung. Und da sie wegen des in erdferneren Gefilden wesentlich gleichmäßiger wehenden Windes immer höher gen Himmel gebaut werden, ist ihre Wartung ziemlich aufwendig und teuer.
Aus historischer Sicht gab es vor den heutigen konventionellen Windenergieanlagen, die im internationalen Fachjargon „Horizontal Axis Wind Turbines" (HAWTs) genannt werden, zunächst nur Windturbinen mit vertikaler Achse, die heute als „Vertical Axis Wind Turbines" (VAWTs) heißen und die den Wind aus jeder Richtung nutzen können. Bereits 900 v. Chr. wurde ein Vorläufer von den Persern als Windmühle für mechanische Arbeiten verwendet. Im Mittelalter setzte sich dann aber zunehmend die Bauform mit horizontaler Drehachse und Flügeln aus Holz oder mit Tuchbespannung durch. Als man Ende des 19. Jahrhunderts begann, Windenergieanlagen zur Stromgewinnung zu nutzen, stellte sich die deutliche Überlegenheit in Sachen Wirkungsgrad der HAWTs gegenüber den VAWTs heraus, wodurch das Interesse für letztere weiter schwand. Mit den beiden Savonius-Rotoren und Darrieus-Rotoren, die noch heute gelegentlich für lokale und wenig Energie verbrauchende Zwecke genutzt werden, entstanden Mitte der 1920er-Jahre technische Fortentwicklungen.
Simulation zeigt höheren Wirkungsgrad vertikaler Windräder

Als Sonderform des Darrieus-Rotors, der gewölbte Rotorblätter besitzt, hat sich inzwischen der sogenannte H-Darrieus-Rotor oder H-Rotor etabliert, bei dem die Rotorblätter gerade ausgerichtet sind und dadurch eine höhere Energie-Leistungsausbeute liefern können. H-Rotoren und alle anderen derzeit noch gebräuchlichen vertikalen Windkraftanlagen sind in der Regel deutlich niedriger als die dominierenden HAWTs und daher viel leichter zu warten. Bei VAWTs rotieren die Flügel nicht um eine waagerecht angebrachte Drehachse, sondern die Rotoren kreisen um den zentralen Mast der Anlage. Dadurch bewegt sich eine Seite des Windrads mit dem Wind, die andere gegen ihn. Sie können theoretisch ohne nötige Justierung laufen, da es für sie keine Rolle spielt, aus welcher Richtung der Wind gerade bläst. Sie sind im Vergleich zu den HAWTs weniger anfällig für Böen, arbeiten viel leiser und erzeugen deutlich weniger Vibrationen.
Dennoch ist bislang kein Betreiber von kommerziell arbeitenden Großanlagen wie Windparks auf die Idee gekommen, sich für Vertikal-Rotoren zur Stromgewinnung zu entscheiden. Wofür es eine ganz einleuchtende Erklärung gibt: der zu geringe Wirkungsgrad. Dieser wird als sogenannter Leistungsbeiwert ermittelt, wobei bislang immer nur Vergleiche zwischen einzelnen freistehenden Horizontal- und Vertikal-Windrädern gezogen wurden. Während HAWTs dabei einen Leistungsbeiwert von rund 50 Prozent erreichen konnten, schafften die VAWTs maximal 40 Prozent. Damit schienen die VAWTs für immer aus dem Rennen zu sein. Obwohl der renommierte US-Wissenschaftler Prof. John Oluseum Dabiri vom California Institute of Technology schon 2009 mithilfe einer Computersimulation nachweisen konnte, dass der Leistungsvergleich bei Übertragung auf einen Windpark ganz anders ausfallen könnte. Laut Prof. Dahiri könne man die VAWTs so konfigurieren, dass sie pro Flächeneinheit im Vergleich zu kommerziellen Windparks zehnmal mehr Energie produzieren könnten. Das wurde damit erklärt, dass VAWTs im Vergleich zu HAWTs in einem Windpark deutlich dichter ohne wesentliche Energieeinbußen gestaffelt werden können. Bei der Computersimulation konnte ein besonders hoher Wirkungsgrad erzielt werden, sofern die VAWTs paarweise positioniert waren, wobei sich ein Rotor mit dem Uhrzeigersinn, der andere gegen den Uhrzeigersinn drehen sollte.

Das Studienergebnis von Prof. Dabiri wurde im Juni 2021 durch die im Fachmagazin „Renewable Energy" publizierte Untersuchung der Oxford Brookes University unter Federführung von Prof. Joachim Toftegaard Jansen und Prof. Iakovos Tzanakis bestätigt. Das Team konnte mittels einer über 11.500 Stunden dauernden physikalischen Computersimulation nachweisen, dass Windparks deutlich effizienter arbeiten könnten, wenn statt der konventionellen HAWTs mit ihren Propeller-Windturbinen VAWTs zum Einsatz kämen. „Als größter Nachteil galt bislang", so Prof. Hansen, „dass die einzelnen Vertikalrotoren nur einen Wirkungsgrad von 35 bis 40 Prozent erreichen, einzelstehende horizontale Rotoren dagegen fast 50 Prozent." In Windparks sieht das schon anders aus. „Moderne Windparks sind eine der effizientesten Möglichkeiten zur Erzeugung von grüner Energie", so Prof. Tzanakis, „sie haben jedoch einen großen Fehler: Wenn sich der Wind der vorderen Reihe der Turbinen nähert, werden flussabwärts Turbulenzen erzeugt. Diese Turbulenzen wirken sich negativ auf die Leistung der nachfolgenden Reihen aus." Während die vorderen Reihen des Windparks noch etwa die Hälfte der kinetischen Energie des Windes in Strom umwandeln könnten, liegt der Wert laut Prof. Tzanakis bei den hinteren Reihen nur noch bei 25 bis 30 Prozent.
Vertikal-Windräder zusammen leistungsstärker
Deutlich bessere Ergebnisse konnte das Team in der Computersimulation mit eng stehenden VAWTs erzielen, wobei sie bei ihren Versuchen Vertikal-Windräder mit zwei oder drei Rotoren in unterschiedlichen Winkeln und Abständen zueinander arrangiert hatten. Im Unterschied zu klassischen Windparks mit HAWTs hatten sich in der Simulation die Vertikal-Rotoren nicht gegenseitig behindert, sondern sogar zu einem Leistungsanstieg verhelfen können. Wenn zwei Windräder in unmittelbarer Nähe zueinander platziert worden waren, erhöhte sich ihre Leistung um 15 Prozent. Bei einem dritten in der Reihe aufgestellten Windrad betrug der Leistungsschub immer noch drei Prozent. Als optimal erwies sich ein Abstand von drei Rotor-Durchmessern zwischen den Windrädern und ein Winkel von 60 Grad zur vorherrschenden Windrichtung. Aber selbst bei noch dichterem Zusammenrücken und ungünstigeren Winkeln konnten noch Leistungs-Synergie-Effekte gemessen werden. „Das bedeutet", so die Forscher, „dass die Leistung einer solchen Anlage selbst bei sich drehendem Wind nicht signifikant absinkt. Zusätzlich sorgen Turbulenzphänomene für eine Zunahme der Energie". Was letztendlich zur Folge habe, „dass Vertikal-Windräder zusammen leistungsstärker sind als einzeln".

Fazit der Forscher: „Diese Studie beweist, dass die Zukunft der Windparks vertikal sein sollte. Windkraftanlagen mit vertikaler Achse können so konstruiert werden, dass sie viel näher beieinander stehen können, was ihre Effizienz erhöht und letztlich die Strompreise senkt." Spannend dürfte sein, ob sich diese Prognose durch Probeläufe mit speziell konstruierten vertikalen Prototypen wie die der Schweizer Firma Agile Wind Power im niederrheinischen Grevenbroich wird erhärten lassen. Laut Firmenangaben soll die 105 Meter hohe Anlage mit einer Nennleistung von 750 Kilowatt dreimal leiser arbeiten als klassische Windparks. Tierschützer schätzen das Gefahrenpotenzial für Vögel bei Windturbinen mit vertikaler Drehachse als minimal ein. Auch Göttinger Wissenschaftler hatten schon 2019 den vertikalen Windenergieanlagen großes Zukunftspotenzial attestiert. Indem sie ihre niedrige Bauhöhe, ihren geringen visuellen, akustischen und flächenmäßigen Fußabdruck sowie ihre herkömmlichen Anlagen „um ein Vielfaches" übertreffende Energiedichte herausgestrichen hatten. Die VAWTs könnten daher helfen, „die negativen Effekte der konventionellen Windenergieanlagen zu vermeiden". Sie könnten zudem wegen ihrer kleineren Anlagengröße an Standorten errichtet werden, für die es für HAWTs niemals eine Baugenehmigung geben werde. Sogar in bestehende konventionelle Windparks könnten sie zusätzlich hinein implantiert werden.