Schon in drei Monaten finden in Peking die Olympischen Winterspiele statt. Die Vorfreude auf das Event hält sich in Grenzen, was nicht nur mit der Corona-Situation zu tun hat.
Öffentlich hatte der „Herr der Ringe" niemals Zweifel an seiner Mission gezeigt, doch hinter den Kulissen sah die Sache ganz anders aus. „We did it" (Wir haben es geschafft) – mit diesen Worten begann Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), seine Dankesrede beim jüngsten Treffen aller Nationalen Olympischen Komitees (NOCs) auf Kreta. „Wir hatten auch unsere Zweifel, wir hatten auch schlaflose Nächte, wir mussten auch unsere Strategie und unser Handeln Tag für Tag anpassen", verriet Bach, „es belastete uns alle, und es belastete mich."
Der Fecht-Olympiasieger von 1976 gab zu, dass er nicht alle Ängste, Sorgen und Probleme wegen der Olympischen Spiele in Tokio mit der Öffentlichkeit und den Stakeholdern, ja noch nicht einmal mit den NOCs geteilt habe. „Weil die Zeiten so ungewiss waren", erklärte Bach: „Wir konnten diesem Feuer keinen Brennstoff hinzufügen." Am Ende fanden die Sommerspiele bekanntlich statt, ein Jahr später als geplant, ohne Zuschauer und mit einem strikten Corona-Konzept. Bach sprach von einem „überwältigenden Erfolg", von einer „Hoffnung", die man den Menschen als Zeichen mitgebe. „Das war nur wegen der Solidarität in der olympischen Bewegung möglich", betonte er.
Doch diese Solidarität in der olympischen Familie wird mit Blick auf die nächsten Spiele schon wieder auf eine harte Probe gestellt. Die Winterspiele 2022 in Peking – vom 4. bis zum 20. Februar – starten in weniger als 100 Tagen, das olympische Feuer brennt bereits im Beijing Olympic Tower der Gastgeberstadt. Doch die Euphorie rund um das Großevent ist – vorsichtig formuliert – gedämpft. Das Coronavirus ist nicht verschwunden und erschwert die Organisation, die Menschenrechts-Verletzungen in China werfen ein schlechtes Licht auf den Gastgeber, Aufrufe zum politischen Boykott lassen nicht nach.
Anders als in Tokio sollen zwar in Peking zumindest heimische Sportfans auf den Tribünen erlaubt sein, dennoch halte sich die Vorfreude „in Grenzen", wie Wolfgang Meier sagt. Der Alpin-Chef im Deutschen Skiverband (DSV) klagte in der ARD kürzlich über „zu wenige Informationen aus China", die man insgesamt erhalte. „Wir hören nur von vielen Einschränkungen und negativen Themen", so Meier: „Deswegen hat man nicht unbedingt eine positive Vorspannung auf dieses Event." Der befürchtete Datenklau bewirkt auch eher das Gegenteil.
Gesundheitsschutz versus Privatsphäre
Genau wie schon in Tokio werden die Athleten in Peking zur „gläsernen Person". Über bestimmte Apps, die die Sportler bei der Einreise downloaden müssen, können ihr Standort und andere sensible Daten erfasst werden. „Jeder weiß, dass seine Daten abgegriffen werden, das ist ein extrem unangenehmes Gefühl", sagte Maier. Die Sorge geht sogar so weit, dass der DSV mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) zusammenarbeitet. „Damit wir nicht, wenn wir nach China reinkommen, schon durch die erste Spy-Version ausgeliefert sind", erklärte Meier. Der BND teilte dem DSV mit, auch sportlich sensible Daten wie etwa zum Wachsen von Skiern oder der Materialforschung nicht auf digitalem Weg mit nach Peking zu nehmen. Auf den mit ins Land eingeführten Geräten solle sich wenn möglich „nur das Notwendigste" befinden.
Dass sich die Olympiastarter überhaupt mit solchen Themen auseinandersetzen müssen, sei ein großes Problem, findet Felix Neureuther. Das frühere Ski-Ass glaubt, dass der chinesische Gastgeber die olympische Idee nicht vollends verstehe und deswegen mitunter so unsensibel handele: „Ich glaube nicht, dass man sich so viele Gedanken macht über die Olympischen Spiele. Dass es mit so vielen negativen Dingen behaftet ist, ist extrem schade für die Sportler und auch Zuschauer."
Zumindest in einer Frage herrscht nun Klarheit: Eine Impfpflicht wird es wie schon in Tokio nicht geben. Ungeimpfte Athleten dürfen zwar an den Spielen teilnehmen, sie müssen sich aber nach ihrer Ankunft in China für 21 Tage in Isolation begeben. Danach kann er oder sie sich jedoch in der Olympia-„Blase" frei bewegen. Gleiches gilt auch für die anschließenden Paralympics (Vom 4. bis zum 13. März). Tägliche Tests und Hygiene-Anweisungen sind ebenfalls Teil der Corona-Strategie. Das alles geht aus den sogenannten Playbooks von IOC und Organisationskomitee hervor.
„Die Playbooks bieten einen Plan, um den Teilnehmern der Olympischen und Paralympischen Spiele und damit auch der lokalen Bevölkerung zu helfen, während der Spiele sicher und gesund zu bleiben", sagte IOC-Direktor Christophe Dubi. Mehr Details werden in der überarbeiteten Fassung Ende des Jahres erwartet. Stand jetzt gibt es ein paar Maßnahmen, die im Vergleich zu Tokio gelockert werden: So müssen die Sportler das Land nicht bereits 48 Stunden nach ihrem letzten Wettkampf verlassen, sondern sie können theoretisch bis zur Schlussfeier bleiben, auch wenn die Organisatoren eine zeitnahe Abreise empfehlen.
Die Fallzahlen sind in China, das eine Null-Covid-Strategie fährt, aktuell relativ niedrig. Doch die Restriktionen und Maßnahmen im Coronafall fallen verglichen mit europäischen Maßstäben sehr rigide aus. Der für den 31. Oktober angesetzte Peking-Marathon wurde abgesagt, weil in der Metropole innerhalb eines Tages 39 neue Fälle bekannt geworden waren. Die 22,5 Millionen Einwohner wurden zudem aufgefordert, die Stadt nur noch in dringenden Fällen zu verlassen. Ganze Wohnkomplexe wurden abgeriegelt, Flüge und Zugverbindungen gestrichen.
Athleten wie Shorttrackerin Anna Seidel oder Bobfahrer Francesco Friedrich, die ihre Olympia-Generalproben vor Ort bereits absolvieren konnten, berichteten von „sehr, sehr strengen" Corona-Maßnahmen, aber auch von gut organisierten Abläufen und Top-Wettkampfstätten. Rekordweltmeister Friedrich schwärmte nach seinen Testfahrten über den neuen, erstmals komplett überdachten Eiskanal, der sich „wie ein chinesischer Drache sanft durch die Berge des Xiaohaituo-Gebirges schlängelt". Für den Bob-Tross hätten die Organisatoren sogar eigens einen Autobahnstreifen gesperrt und eine Polizei-Eskorte besorgt.
China kann vieles ermöglichen – aber zu welchem Preis? Ob die Bevölkerung in irgendeiner Form von Olympia profitieren kann, bleibt fraglich. Und der Umgang mit Minderheiten wie den Uiguren oder den Tibetern wirft ohnehin ein Schreckensbild auf den „Roten Riesen". Es macht auch die Entscheidung des IOC, die Winterspiele an die autoritär bis totalitär regierte Volksrepublik zu vergeben, unverständlich. Exakt ein Jahr vor dem Startschuss der Spiele hatten sich weltweit 180 Menschenrechtsgruppen und Aktionsforen zusammengetan und zu einem internationalen Boykott der Winterspiele aufgerufen. Proteste sind auch während der Wettkämpfe zu erwarten.
„Sport soll Spaß machen", sagte Deutschland-Direktor Wenzel Michalski von Human Rights Watch, „und da sollte sich das IOC mal überlegen, ob es Olympische Spiele in so einem repressiven Land wie China austragen möchte, wo Menschen unterdrückt werden, wie man es seit den maoistischen Zeiten nicht mehr gesehen hat." Das vom IOC in diesem Zusammenhang oft benutzte Argument, sportliche Großereignisse könnten in einem Land zu einer Verbesserung der Lage beitragen, sei unter anderem durch die Sommerspiele 2008 in Peking widerlegt, so Michalski: „Wir sehen aus der Geschichte der Olympischen Spiele oder von Weltmeisterschaften, dass diese nie dazu führen, dass sich die Menschenrechtslage in den Ländern verbessert, sondern im Gegenteil. Sie dienen Propagandazwecken."
Bedenken wegen Menschenrechtslage
Dazu zählt auch die Zensur, die die chinesische Regierung nicht exklusiv hat. Als die traditionelle Entzündung der Flamme im antiken Olympia durch zwei Frauen und ein Mann, die eine tibetische Flagge und ein Transparent mit der Aufschrift „Keine Völkermord-Spiele" entrollt hatten, gestört wurde, war davon auf den offiziellen IOC-Bildern nichts zu sehen.
Die meisten Sportler fühlen sich wegen der politischen Problemlage in einem „Zwiespalt", wie Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland berichtete. Viele würden durchaus kritisch reflektieren, was in China vor sich gehe, sie müssen aber in eben jenem Land den vielleicht größten sportlichen Wettbewerb ihrer Karriere absolvieren. Das sorge für „ein unmögliches Dilemma, für das sie nichts, überhaupt nichts können." Die Athleten seien in dieser Situation „nur, weil die Organisationen des Sports keine funktionierende Menschenrechtsstrategie haben".
Kritisch bewertet wird auch der Fakt, dass der Wintersport in China traditionell kaum eine Rolle spielt. Mit dem Zuschlag im Jahr 2015 hat sich diesbezüglich zwar etwas getan. Im Norden des Riesenreichs wurden weitläufige Skigebiete errichtet, immer mehr mittelständische Familien entdecken den Wintersport für sich. Doch von einer gewachsenen Begeisterung wie es zum Beispiel in nordeuropäischen Ländern der Fall ist, kann überhaupt keine Rede sein. Die immensen Kosten und Anstrengungen, um relativ kurzfristig eine olympiataugliche Wintersport-Infrastruktur in China zu implementieren, ist zudem nur auf Kosten der Natur zu bewerkstelligen. Deshalb halten auch Umweltschützer die Spiele für eine Farce.
„Das IOC hat sich selbst ein Nachhaltigkeitskonzept gegeben. Darin geht es etwa um Frauenrechte, um Arbeitsrechte, die eingehalten werden sollen. Chinas Führung hält sich nicht daran", sagte der Hongkonger Menschenrechtsaktivist Johnson Yeung: „Die internationalen Beteiligten sollten die chinesische Führung deutlicher als bisher kritisieren und sie auf die Einhaltung des IOC-Nachhaltigkeitskonzepts verpflichten."
Unbeschwerte Spiele sehen anders aus. China wird in Peking, Yanqing und Zhangjiakou klinische Wettbewerbe abhalten, der ganz spezielle Flair von Olympia wird fehlen. Noch mehr als in Tokio.