Außenpolitischen Querelen stehen innenpolitischen Bemühungen um mehr Transparenz gegenüber. Die EU möchte nahbarer für alle sein, an den Politikprozessen sollen sich künftig mehr Bürger beteiligen, sagt Jörg Wojahn, Repräsentant der EU-Kommission in Deutschland.
Herr Wojahn, die ersten Bürgerforen sind gelaufen, wie waren die Reaktionen der Teilnehmer?
Die Bürgerinnen und Bürger, die bei den Bürgerforen und der Plenarversammlung vor Ort in Straßburg dabei sein konnten, waren sehr engagiert. Die Menschen haben offenbar große Lust, sich bei Fragen über die Zukunft Europas einzubringen, gerade auch im persönlichen Austausch mit Leuten aus anderen EU-Mitgliedstaaten und mit unterschiedlichen Hintergründen. Dass diese Form der Bürgerbeteiligung so gut ankommt, freut uns als Kommission natürlich. Das ist der Grundgedanke der Konferenz – einen neuen Raum für Debatten öffnen, unterschiedliche Perspektiven aus allen Ecken der Union zusammenführen und im Interesse Europas gemeinsam an Lösungen für die großen Herausforderungen zu arbeiten.
Warum sind Bürgerforen derzeit für die EU wichtig?
Wir laden 800 Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen EU ein, weil uns ihre Stimme wichtig ist zur Gestaltung von Zukunftsfragen und unserer künftigen Politik. Was haben ganz normale Bürger uns zu den wichtigen Themen zu sagen? Das Bürgerforum erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, die Europapolitik mitzugestalten. So wollen wir auch Europa und die europäische Politik näher an die Menschen bringen.
Wie kann ich mich überhaupt als Bürger dort beteiligen? Und zu welchen Themen?
Bürgerdialoge finden an wechselnden Orten in Deutschland statt und jeder, der interessiert ist, kann vorbeischauen. Eine besondere Bedeutung spielt die regionale/lokale Dimension der Europapolitik. EU-Politik spielt sich eben nicht nur in Brüssel ab, sondern wird auch vor Ort gemacht und kann vor Ort beeinflusst werden. Der Verlauf der Debatten ergibt sich immer aus den Erwartungen und Interessen der Teilnehmenden.
Können die Teilnehmer denn sicher sein, dass die Kommission die Ergebnisse dieser Konferenz in ihre Politik einfließen lässt?
Die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission haben sich gemeinsam dazu verpflichtet, den Europäerinnen und Europäern zuzuhören und den Empfehlungen der Konferenz Folge zu leisten, soweit es die Zuständigkeiten und die Grundsätze der Europäischen Verträge erlauben. Das wurde in einer Gemeinsamen Erklärung vor Beginn der Konferenz festgelegt.
Die Erwartungen an die kommenden Jahre sind geprägt von großen Herausforderungen. Wie kann ein Bürgerforum dabei helfen, diese
zu meistern?
Durch aktive Beteiligung an Bürgerforen, Bürgerdialogen zur Zukunft Europas und an öffentlichen Konsultationen. Außerdem hat die EU noch Europe Direct-Zentren, knapp 50 allein in Deutschland, die ihnen bei Fragen oder Anregungen gern zur Antwort stehen.
Unterstützt die EU die Bürgerbeteiligung auch finanziell?
Ja, durch die Europäische Bürgerinitiative. Dabei können Bürgerinnen und Bürger der EU die Kommission dazu bringen, sich mit einem bestimmten Thema zu befassen. Dabei müssen innerhalb von einem Jahr eine Million Unterstützungsbekundungen aus sieben Mitgliedsstaaten gesammelt werden. Außerdem gibt es auch das Förderprogramm CERV, nach dem Englischen „Citizens, Equality Rights and Values", das einen Austausch und die Zusammenarbeit von EU-Bürgerinnen und Bürgern fördert und eine Verbesserung über ihr Wissen zur EU anstrebt. Das CERV fördert Projekte zum Thema Unionswerte, Gleichstellung, Teilhabe und Gewaltprävention. Diese sind die vier Aktionsbereiche. Für die Förderperiode 2021 bis 2027 ist dafür ein Budget von 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Darüber hinaus können sich alle EU-Bürger stets an den öffentlichen Konsultationen beteiligen, die jeder europäischen Gesetzesinitiative vorausgehen. Hier sammelt die Europäische Kommission Meinungen und Standpunkte, bevor neue Gesetze vorgelegt werden.
Robert Schuman sagte, Europa wird nicht von heute auf morgen entstehen, nicht aus einem Guss. Greifbare Erfolge würden zunächst eine faktische Solidarität erzeugen. Wie weit ist dieses Europa heute von uns entfernt?
Die EU ist Fakt – und ist schon lange weit mehr als ein simpler Binnenmarkt. Mehr als 50 Jahre europäische Integration haben uns Frieden, Stabilität und Wohlstand gebracht. Wir reisen innerhalb der EU ohne Grenzen, wir zahlen mit dem gleichen Geld und helfen uns in Notfällen gegenseitig – alles dank der Europäischen Union. Wir sind eine starke Gemeinschaft, weil wir auch innerhalb der EU immer wieder über den Tellerrand blicken und auf unsere Stärken bauen können. Also würde ich sagen: Faktische Solidarität hat eine Union schon längst geschaffen. Natürlich gibt es – wie in jeder Familie – auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten und Streit. Und ein Mitglied hat uns leider verlassen. Aber trotzdem sind wir bislang aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen und haben gelernt, dass Probleme oft besser zu lösen sind, wenn man sie gemeinsam angeht. So ist das zum Beispiel auch beim EU Green Deal, unser Werkzeug, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Gemeinsam können wir es schaffen, die europäische Wirtschaft umzubauen und eine neue Grundlage für eine nachhaltige, gemeinsame Zukunft zu schaffen.