Die Lage an der EU-Ostgrenze ist dramatisch: Polen lässt keine humanitären Hilfen für die Flüchtlinge zu. Dies spielt dem Diktator Weißrusslands in die Hände.
Der Tag des Mauerfalls, der 9. November: eine Steilvorlage für die „Seebrücke". Die Hilfsorganisation für Flüchtlinge fährt an diesem Tag Hilfsgüter bis zur belarussisch-polnischen Grenze, um diejenigen zu versorgen, die für ihre Situation nichts können und an einer neuen Mauer scheitern. Denn es wird eng an dieser EU-Außengrenze. Dort wo sich zeitweise Hunderte Flüchtlinge aus dem Iran, dem Irak und Afghanistan drängten, um in die Europäische Union zu gelangen, dort wo polnische Soldaten bewaffnet patrouillieren, ist für die meisten kein Durchkommen. Auf Twitter kursieren unbestätigte Meldungen, wonach die Flüchtlinge die offiziellen Wege für Asylanträge nutzen wollen. Doch Einheiten des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko drängen sie in die Wälder –
illegale Grenzübertritte verursachen in der EU mehr Chaos als legale.
Die Zahl irregulärer Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus hat seitdem stark zugenommen. Besonders betroffen davon war anfangs Litauen. Seit Anfang August weist der litauische Grenzschutz Migranten ab, die über Belarus illegal ins Land kommen wollen. Zudem hat das Land mit dem Bau eines Zauns entlang der Grenze begonnen. Mehr als 4.000 Asylanträge, die bislang auf litauischem Gebiet gestellt wurden, hat die zuständige Behörde nach offiziellen Angaben bis auf fünf Ausnahmen allesamt abgelehnt.
Rache für Sanktionen der Europäischen Union
Lukaschenko, verstimmt über die EU-Sanktionen gegen ihn und sein Land, zahlt es der Union heim, mit dem Mittel, das der türkische Präsident Erdogan bereits vor einiger Zeit ins Spiel gebracht hat: Flüchtlinge. Nicht mehr als ein Spielball der Politik. Er hatte schon im Frühjahr als Reaktion auf EU-Sanktionen erklärt, er werde Migranten in Richtung Europäische Union nicht mehr aufhalten. Die EU wirft ihm vor, die Menschen aus Krisengebieten regelrecht einzuschleusen. Polen, Litauen und Lettland verstärken ihre EU-Außengrenze zu Belarus. Bei den über Belarus und Polen Einreisenden handelt es sich mehrheitlich um Menschen aus dem Irak, aus Syrien, Afghanistan und dem Iran. Das polnische Grenzgebiet zu Belarus ist zur Sperrzone erklärt worden. Journalisten und Helfer haben keinen Zutritt. Ohne medizinische Versorgung, ohne Nahrung und Wasser aber droht eine humanitäre Katastrophe – und damit erhält Lukaschenko genau die Bilder und Meldungen, die der Diktator der Union anhängen möchte.
Mittlerweile hat auch das angrenzende EU- und Nato-Land Litauen seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt und Polen angesichts der zugespitzten Lage an der EU-Ostgrenze seinen Beistand zugesagt. „Wir sind bereit, unserem Nachbarn jede erforderliche Unterstützung zu leisten, um diese Herausforderung der illegalen Migration zu meistern", twitterte Staatpräsident Gitanas Nauseda am Montag nach einem Telefonat mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Litauen stehe in „voller Solidarität" zu Polen. Beide Staatschefs vereinbarten, regelmäßig Informationen über die Lage an der Grenze zu Belarus auszutauschen und Maßnahmen zu koordinieren, hieß es in einer Mitteilung der Präsidialkanzlei.
Als Reaktion verstärkt Lukaschenko seine Bemühungen, mehr Flüchtlinge in sein Land und damit an die EU-Außengrenze zu bringen. Immer mehr Flugverbindungen transportieren nach Medienangaben Menschen aus dem Nahen Osten nach Belarus – übrigens auch aus der Türkei.
CSU-Europapolitiker Manfred Weber fordert als Reaktion eine „klare Ansage" und mehr Sanktionen gegen Belarus, der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) entschlossenes Handeln und Hilfe der EU für Polen. Von humanitärer Hilfe kein Wort. Stattdessen hat die EU-Kommission Polen dazu aufgefordert, Hilfe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex anzufordern. Bislang hat Polen nicht reagiert.