Überlastete Pflegekräfte am Rande ihrer Möglichkeiten? Die Schlagzeile ist allgegenwärtig in Corona-Zeiten. Aber Pflege ist mehr, viel mehr – und verdient Wertschätzung. Stefanie Klos, Christel Tschanun und Jo-Ann Klos geben einen persönlichen Einblick in die Pflege-Praxis.
Frau Stefanie Klos, Frau Tschanun und Frau Jo-Ann Klos, wie gut sind Sie durch die Pandemie gekommen?
Stefanie Klos: Mit dem Lockdown war von heute auf morgen alles anders. Wir mussten Konzepte erarbeiten, die dann bei der Heimaufsicht und dem Gesundheitsamt eingereicht und genehmigt werden mussten. Wir mussten die Mitarbeitenden auffangen. Wir hatten und haben ständig Angst, dass wir einen Covid-Ausbruch im Heim haben. Als zwei Bewohner an Covid erkrankten, waren alle Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Zimmern auf einem Wohnraum von 18 Quadratmetern 14 Tage lang eingesperrt. Für mich war diese Tatsache sehr schwer zu ertragen.
Christel Tschanun: Was die Betreuung angeht, war sehr viel aufzufangen. Viele Menschen, die die Zusammenhänge nicht mehr verstehen konnten, haben nur gespürt: Plötzlich kommt niemand mehr. Es stellte sich ein Gefühl von Verlassenheit ein. Bezüglich meiner Arbeit als soziale Betreuung sind einfach viele Rituale, an die sich die Bewohner gewöhnt hatten, weggefallen. In dem Moment wurde mir erst richtig bewusst, wie wichtig diese Rituale sind. Dabei geht es auch um Zeitgefühl. Für viele Bewohner waren es Gründe, morgens überhaupt aufzustehen. Dazu haben die Angebote der Ehrenamtlichen, die nicht mehr ins Haus durften, total gefehlt.
Wie war die psychische Belastung in dieser Zeit für Sie als Pflegepersonal?
Stefanie Klos: Es geht hier um Menschen, die einem selbst nahestehen. Da leidet man selbst auch mit. Manche haben versucht, sich selbst und andere hochzuhalten. Das Arbeitsfeld hat sich komplett verändert. Wir haben plötzlich nur noch Termine für Besuche gemacht. Wir mussten alles erklären, haben furchtbar viel geredet. Der begleitende Dienst konnte zwischen den Besuchen nur noch einzeln betreuen. Er musste die Angehörigen am Eingang abfangen. Er hat darauf geachtet, dass die Hände desinfiziert wurden, sie Mundschutz anhatten, hat die Angehörigen getestet. Dann wurden sie in Begleitung hoch zum Zimmer gebracht, und danach wurde wieder alles desinfiziert. Mehr fand nicht mehr statt.
Jo-Ann Klos: Wir hatten vor der Pandemie sehr viele Angebote: einen Clown der gesungen hat, den Strickkreis, Kaffee und Kuchen, die Kindergartenkinder kamen regelmäßig und vieles mehr.
Stefanie Klos: Und all das, was da fehlte, wurde komplett auf die Mitarbeitenden heruntergebrochen. Die mussten das alles auffangen. Da hat sich für unser Pflegepersonal und die Betreuungskräfte schon einiges geändert.
Was genau war so belastend?
Jo-Ann Klos: Es war oder ist immer noch sehr schwierig, mit den älteren Menschen mit Maske zu kommunizieren. Viele hören ja sowieso nur eingeschränkt gut und dann nuschelt man mit dieser Maske vor sich hin. Es ist wichtig, jemanden, der nicht gut hört, anzuschauen, damit er die Lippen lesen kann und die Mimik sieht. In dieser Zeit waren einige der Bewohner auch schon einmal gereizt und konnten ihre schlechte Laune schlecht verbergen. Da muss man auch schon mal etwas aushalten können.
Christel Tschanun: Eine Bewohnerin ist noch während des ersten Lockdowns gestorben. Ich hatte zu dieser Frau keine enge Beziehung, weil sie noch nicht lange im Haus war, aber ich habe gemerkt, dass sie nicht richtig versteht, was vor sich geht. Eigentlich ist diese Frau mit dem Gefühl gestorben: Die Familie hat mich plötzlich im Stich gelassen, und ich weiß nicht warum. Das sind Dinge, an die denke ich ewig. Das vergisst man nicht, auch wenn man denjenigen gar nicht gut kannte.
Stefanie Klos: Solche Sachen, wie Frau Tschanun gerade beschrieben hat, bleiben eben nicht in den Kleidern hängen. Die nimmt man mit nach Hause und dann liegt man auch nachts mal wach und überlegt, was man hätte anders machen können. Wir hatten auch relativ früh diese „Gartenzaun-Besuche" und ich dachte noch, was für eine tolle Idee das doch ist. Aber wenn man mal dabei war und gesehen hat, wie eine alte Frau in ihrem Rollstuhl vorm Zaun sitzt und ihre Tochter sitzt auf der anderen Seite mit verweinten Augen – das ist wirklich schlimm.
In den Medien ist die Rede von der „Flucht aus dem Pflegeberuf". Trifft das zu?
Stefanie Klos: Bei uns reichen die Kapazitäten aus. Aber wir sind Gott sei Dank auch von dem Pflegenotstand nicht betroffen. Wir halten die Zahlen bei unserem Personal und haben auch wenige Krankmeldungen. Wir hatten ganz wenige Mitarbeitende, die in Quarantäne mussten. Ausgestiegen ist in der Zeit der Hochphase der Pandemie auch niemand.
Jo-Ann Klos: Ich hatte diesen Gedanken auch nicht. Aber ich weiß von Kollegen aus anderen Einrichtungen der Altenpflege, dass sie weitaus weniger gut besetzt sind als wir. Und auch eine Kollegin aus einem Krankenhaus hat erzählt, dass das Krankenhaus chronisch unterbesetzt wäre, sie jede Menge Überstunden hätte und ständig einspringen müsse. Und dass sie sich auch nicht so adäquat um die Patienten kümmern könnte, wie sie gerne würde.
Christel Tschanun: Von unserer Einrichtung kann man tatsächlich kaum ausgehen, denn das trifft nicht auf die Allgemeinheit zu. Dazu sind wir ein sehr familienfreundliches Unternehmen, das gibt es ja auch nicht überall.
Was macht ein familienfreundliches Unternehmen aus?
Stefanie Klos: Wir haben sogenannte „Mama-Dienste", die an Kita-Zeiten angepasst werden. Man kann unter Umständen auch die Kinder mit auf die Arbeit bringen. Ganz am Anfang des ersten Lockdowns haben wir oben einen Raum für die Kinder eingerichtet. Aber von Seiten der Politik durften wir das leider nicht weiterführen, da bestimmte Rahmenbedingungen nicht erfüllt wurden. Wer nicht kommen konnte, musste eben zu Hause bleiben. Das haben die anderen aufgefangen. Zum anderen unterstützen wir junge Eltern beim Stellen von Anträgen auf Elterngeld oder Elternzeit. Partner, die beide im Schichtdienst sind, werden zum Beispiel entgegengesetzt zu ihrem Partner eingeteilt. Beim Wochenenddienst bei Geschiedenen wird darauf geachtet, dass das Arbeitswochenende dann ist, wenn die Kinder beim anderen Elternteil sind. Ein Mitarbeiter konnte seinen hochgradig geistig behinderten Sohn mit zur Arbeit bringen.
Haben Sie sich von der Regierung ausreichend unterstützt oder aufgefangen gefühlt?
Stefanie Klos: Die beste Zusammenarbeit hatten wir wirklich mit dem Gesundheitsamt in Saarlouis. Da war für uns immer ein Ansprechpartner da – Tag und Nacht. Das Gesundheitsamt hat uns toll unterstützt, so wie die Heimaufsicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aber solche Sachen, wie dass neue Verordnungen freitags nachmittags um 16.30 Uhr rausgehen – da ist natürlich niemand mehr im Büro. Teilweise wird erwartet, dass diese über das Wochenende umgesetzt werden. Vonseiten der Regierung wurden Dinge bestimmt, ohne sich vorher einmal von Fachkräften wie Einrichtungsleitungen, Pflegedienstleitungen oder Pflegedienstfachkräften – also Menschen aus der Praxis – Feedback einzuholen. Manche Sachen waren einfach nicht zu realisieren.
Frau Klos, Sie haben sich erst vor einigen Jahren dazu entschieden, in den Pflegeberuf umzuschulen. Warum?
Jo-Ann Klos: Ich wollte früher immer Krankenschwester werden. Da hieß es, ich sei mit 16 oder 17 Jahren zu jung, was natürlich Blödsinn war. Mein Bürojob hat mir nicht mehr gefallen, und dann erfuhr ich, dass die Umschulungen gefördert werden. Ich wusste von einigen Altenpflegerinnen, dass ihr Beruf auch mit 45 Jahren durchaus noch zu bewältigen ist. Daher dachte ich, das ist ein guter Mittelweg. Ich habe mich um Stellen bemüht, und die Auswahl war auch tatsächlich groß. Ich habe es bis jetzt noch nicht bereut.
Gab es so einen Moment niemals?
Jo-Ann Klos: Die ersten sechs Wochen in der Umschulung dachte ich grundsätzlich, dass ich wohl den falschen Weg eingeschlagen habe. Auch mit diesen Fäkalien muss man tatsächlich erst lernen umzugehen. Das hat ein bis zwei Monate gedauert, bis ich da etwas abgehärtet war. Von dem Wechsel von der Ambulanz hier in die Einrichtung habe ich mich lange überfordert gefühlt. Am Anfang dachte ich: Das schaffe ich niemals.
Denken Sie, den Menschen ist bewusst, wie hoch die körperliche und psychische Belastung ist?
Jo-Ann Klos: Viele sagen immer, körperlich wäre es bestimmt ein schwerer Beruf – und das ist es! Wenn man einen alten Menschen im Bett hin und her bewegt, geht das schon ohne Ende aufs Kreuz. Von der Psyche her verkrafte ich persönlich es eigentlich ganz gut, auch wenn jemand verstirbt. Das tut mir natürlich furchtbar leid, aber ich kann damit ganz gut umgehen. Weil ich mir auch einfach denke: Das ist ein alter Mensch, der gelebt hat. Mit jungen Menschen oder Kindern im Krankenhaus würde mir das wahrscheinlich viel schwerer fallen.
Christel Tschanun: Es gibt auch Menschen, die tun mir leid, weil sie nicht sterben können. Wenn man alt ist, sollte man auch irgendwann sterben können. Was für mich sehr hart ist, sind alte Menschen, bei denen die Kinder noch vor ihnen selbst verstorben sind und die niemanden mehr haben. Manchmal denke ich, wie stark diese Menschen zum Teil sind – das bewundere ich. Viele Geschichten belasten aber auch. Wenn jemand beispielsweise sehr deprimiert ist über seinen Zustand und eigentlich nicht mehr leben will.
Wer leidet Ihrer Meinung nach am meisten unter dem System: Pflegerinnen, Bewohner oder alle gleichermaßen?
Stefanie Klos: Jeder Mitarbeitende, der in der Pflege eingestellt wird, wird umgelegt auf den Pflegesatz. Das ist meiner Meinung nach der Knackpunkt, das kann so nicht weitergehen. Die Heime werden immer teurer, das kann sich niemand mehr leisten. Es kann nicht sein, dass ich im Alter zum Sozialfall werde, weil ich mir das Pflegeheim nicht leisten kann, obwohl ich mein Leben lang gearbeitet habe. Dann heißt es ja immer, die Pflege soll aufgewertet werden. Vor allem in der Pandemie gab es da ganz viel Anerkennung, was ja auch schön ist. Aber dann läuft jetzt im Privatfernsehen eine Serie mit dem Titel „Promis in der Pflege". Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Dann steht da eine Jenny Elvers und hält einer alten Frau die Hand. Da wird die Pflege meiner Meinung nach veralbert.
Jo-Ann Klos: Ich denke, dort, wo der Personalmangel ist, leiden Bewohner und Mitarbeitende gleichermaßen. Die Mitarbeitenden würden wahrscheinlich gerne mehr für die Bewohner tun und kommen auch körperlich und psychisch an ihre Grenzen. Und die Bewohner werden wohl das eine oder andere an Zuwendung vermissen, wofür die Mitarbeitenden einfach keine Zeit haben.
Würden Sie sagen, Ihr Beruf wird von der Gesellschaft wertgeschätzt?
Christel Tschanun: Verbal kann man das vielleicht schon sagen, wenn man mit Menschen spricht. Aber die gesellschaftliche Wertschätzung drückt sich auch im Finanziellen aus. Und man sieht ja, welche Bereiche von der Gesellschaft finanziell wertgeschätzt werden, wenn man zum Beispiel Bankangestellte mit Beschäftigten im sozialen Bereich vergleicht.
Stefanie Klos: Vor allem setzt sich niemand damit auseinander. Wir schöpfen aus dem, was wir machen, ja auch Kraft. Aber in der Öffentlichkeit wird Altenpflege gleichgesetzt mit Fäkalien wegräumen. Und das ist es nicht. Es gehört dazu, aber zum Leben und zwar für jeden. Das hat mich schon immer gestört.
Kommen noch junge Menschen in der Altenpflege nach?
Jo-Ann Klos: In der Schule waren viele junge Menschen, von denen allerdings auch einige nach dem ersten Jahr abgebrochen haben. Ich bewundere junge Menschen, die das machen wollen. Diejenigen, die es wirklich wollen, ziehen es auch durch.
Würden Sie sagen, die Pflege wirkt nach außen attraktiv auf junge Menschen oder Arbeitssuchende?
Stefanie Klos: Die Pflege müsste sich nach außen einfach anders darstellen. Wenn heute ein junger Mensch Altenpflege lernt und ein bisschen ambitioniert ist, hat er unfassbar viele Aufstiegsmöglichkeiten. Er kann sich spezialisieren, beispielsweise auf Hygienefachkraft, was in den heutigen Zeiten sehr viel wert ist. Bei solchen Spezialisierungen wird man auch freigestellt und kann innerhalb der Trägerschaft übergreifend arbeiten. Wundmanager, Heimleiter, Pflegedienstleiter – das kann man alles werden. Man muss nicht ein Leben lang am Bett stehen, das schafft ein Mensch auch nicht. All das wird viel zu wenig dargestellt.
Was würden Sie sich von einem Regierungswechsel wünschen?
Stefanie Klos: Dass die Fachlichkeit und Erfahrung, die man in vielen Jahren Berufstätigkeit gesammelt hat, wertgeschätzt und ernstgenommen werden.
Christel Tschanun: Diejenigen, die diese Regeln vorgeben – wer auch immer das ist – Gesundheitsämter oder Gesundheitsministerien, sind für mich nicht mehr glaubwürdig. Ich glaube ihnen nicht mehr, dass sie die älteren Menschen schützen wollen. Hier in den Häusern gilt momentan die Regelung, dass jeder Besucher – wenn er geimpft ist – ohne Test reinkommt. Es sind also noch die wenigsten, die getestet werden und von außen ins Haus kommen. Es war so eine schlimme Zeit, als der Lockdown war. Die Hände sind wund vom Desinfizieren, und es wird so aufgepasst. Wir hatten ein Jahr lang den ganzen Tag FFP2-Masken an, da wird einem ganz schlecht. Aber wenn solche Regeln von oben gemacht werden, kann ich deren Intention nicht mehr ernst nehmen. Für mich ist es grob fahrlässig, in solche Häuser wie unsere alle geimpften Leute ohne Test reinzulassen. In Krankenhäusern herrschen teilweise noch viel strengere Bedingungen. Aber da nicht alle getestet werden, so ist es in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, soll meiner Meinung nach der Eindruck erweckt werden, dass Ungeimpfte eine Gefahr darstellen beziehungsweise das Problem wären. Wenn Schwerkranke in Krankenhäusern nicht besucht werden können, ist das unmenschlich und mit Schutzkleidung und Test unnötig. Deshalb wünsche ich mir von der neuen Regierung einen ehrlichen und seriösen Umgang mit der Krankheit und eine objektive Aufklärung.
Warum machen Sie den Pflegeberuf?
Jo-Ann Klos: Ich fühle mich hier wertgeschätzt und ernst genommen. Die Menschen in dem Beruf geben einem viel zurück, und es gibt einige, mit denen man Spaß haben kann. Vor allem sind sie dankbar, dass man da ist. Ich habe hier eine Stelle gefunden, wo ich mir vorstellen kann, bis zur Rente zu bleiben. Außerdem hat man hier immer dieselben Menschen und kann sich auch auf jemanden einlassen. Eine der Bewohnerinnen gab mir jeden Abend einen Kuss auf die Wange und etwas Süßes. Das sind die Momente, die ich einfach schön finde.
Stefanie Klos: Wir haben ein gutes Team. Unsere Fluktuation ist nicht so hoch, Frau Tschanun und ich arbeiten schon über 20 Jahre zusammen. Wie die ersten Asylanten hierherkamen und dieses rechte Gedankengut so schrecklich hochkam, sagte eine mittlerweile leider verstorbene Bewohnerin: „Wisst ihr, wir müssen diese Leute alle aufnehmen. Wir sind auch vertrieben worden, als die Franzosen kamen. Da sind wir irgendwo hingekommen und waren froh, dass uns jemand aufgenommen hat." Das hat mich sehr gefestigt, nicht Gefahr zu laufen, selbst zu denken, es würde langsam zu viel werden. Diese Frau war von Grund auf ein guter Mensch. Da ruhen richtig viele Schätze, und wenn sie ins Heim kommen, werden sie leider nicht mehr gehört.
Christel Tschanun: Bei mir hat die Freude an der Arbeit durch Corona schon sehr gelitten. Schön ist es immer, wenn Leute ausdrücken, dass sie sich wie zu Hause fühlen. Und wenn sie nach einem Gruppenangebot sagen, dass es schön war. Wir hatten mal einen Bewohner, der zeitweise in seinem Leben von Banküberfällen gelebt hat. Am Ende saß er am Tisch mit dem Leiter der Kreditabteilung einer Bank. Da dachte ich mir: Am Ende sind alle Menschen gleich.