Das Saarlandmuseum widmet Lovis Corinth und Charlotte Berend-Corinth eine Doppelausstellung. Mehr als 150 Exponate, davon 38 aus eigenem Besitz, veranschaulichen das Werk eines Künstlerpaares, das in Avantgarde-Kreisen ebenso wie im Berliner Gesellschaftsleben jener Zeit Furore machte.
Man hätte es anders machen können. Man hätte die Werke von Lovis Corinth und Charlotte Berend-Corinth in eine dialogische Gegenüberstellung setzen können. Jedoch: Die räumliche Trennung ist Programm als auch Statement. Die Direktorin des Saarlandmuseums, Dr. Andrea Jahn, begrüßt und prophezeit vor dem Ausstellungsrundgang: „Wir werden viel zu schauen haben in den nächsten Wochen."
„Lovis Corinth – Das Leben, ein Fest!" entstand als gemeinsames Projekt der Modernen Galerie des Saarlandmuseums mit dem Belvedere Museum Wien und wurde von Dr. Kathrin Elvers-Švamberk kuratiert. „Charlotte Berend-Corinth – Wiederentdeckt!" ist von Dr. Andrea Jahn kuratiert worden. Charlotte Berend-Corinth ist als Künstlerin nahezu in Vergessenheit geraten, wenngleich ihr zum 100. Geburtstag eine Wanderausstellung, die in mehreren deutschen Städten zu sehen war, gewidmet wurde. Sie, Tochter eines jüdischen Kaufmanns, in Berlin geboren. Er, Sohn eines Gerbers und Landwirts, in Ostpreußen geboren. Der Altersunterschied: 22 Jahre. Die Kunst führte sie zueinander. Lovis Corinth gründete 1901 eine private „Malschule für Akt und Porträt". Charlotte Berend war seine erste Schülerin, bald schon Muse und Modell. Zuvor hatte sie bereits an der Königlichen Kunstschule und der Malschule des Kunstgewerbemuseums in Berlin studiert. Im März 1904 heiratet das ungleiche Paar. Im selben Jahr wird Sohn Thomas geboren.
Ein Paukenschlag eröffnet die Lovis-Corinth-Schau. Allein die Dimension der bemalten Leinwand lässt staunen. „Mädchen mit Stier" kommt als Leihgabe aus der Hamburger Kunsthalle und erzählt mehr, als man mit Augen sehen kann. Kuratorin Dr. Elvers-Švamberk entschlüsselt, dass dieses Werk als „Verlobungsbild" des Liebespaares, als allegorisches Doppelporträt, zu lesen ist. Es entstand 1902 im ersten gemeinsamen Sommer im pommerschen Horst. Der Bulle am Nasenring, von Charlotte am rosa Bande gehalten, steht still. Sein Auge glubscht in meine Richtung. Charlottes Blick zeigt weder Furcht noch Freude, das Tier bezwungen zu haben. Aufrecht steht sie da. Sie ist es, die die Situation im Griff hat. Lovis Corinth berichtet in einem Brief, dass sein Malerkollege Walter Leistikow, dem er das Bild gezeigt hatte, den Titel „Die Zähmung des Widerspenstigen" vorgeschlagen habe. Allerdings, wer es sehen will, sieht: Der Stier nimmt mehr als drei Viertel der Fläche ein, Charlotte steht am Bildrand.
„Die Zähmung des Widerspenstigen"
Eine Vierteldrehung des Kopfes nach rechts und der „Widerspenstige" ist zu erkennen. Ein wahrer Kraftprotz! Sein „Selbstporträt als Halbakt" von 1909 – im selben Jahr wird Tochter Wilhelmine geboren – zeigt ihn strotzend vor Selbstbewusstsein. Das Selbstbildnis nimmt in Corinths Schaffen einen besonderen Rang ein. „Seit 1900 bis zu seinem Todesjahr 1925 malte Corinth jedes Jahr zu seinem Geburtstag ein Selbstporträt", erläutert Kunsthistorikerin Dr. Elvers-Švamberk. Corinth verkauft. „Als Porträtist wird er hochgeschätzt", erklärt die Expertin. Er ist erfolgreich. Auch nach seinem Schlaganfall 1911 arbeitet er weiter. Wie der Künstler sich selbst mit dem Pinsel erforscht, ebenso sein malerischer Blick auf Zeitgenossen, die Freunde und Auftraggeber, lässt sich eingehend studieren. Lovis Corinths Malkünste erblühen im Kontrast vor kühl-grau gestrichenen Wänden geradezu explosionsartig.
Charlotte und die Familie bleiben wiederkehrendes Motiv. Diese Schau baut mit auf Werke aus dem eigenen Bestand des Saarlandmuseums, somit erhält „Mutter mit Kind" im Kreise der herbeigereisten Familienbildnisse einen besonderen Auftritt. Charlotte mit Tochter Wilhelmine auf dem Schoß. Zärtlichkeit und Innigkeit legt der Maler-Kraftprotz in das Bildnis ohne aufgesetzte Lieblichkeit. Gerade deshalb: Anrührend. Corinth will Erfolg ohne Anbiederei, lieber mittels Provokation.
Der nackte Körper ist des Malers eigentliches Lebensthema. Seine Körper sind Landschaften. Fleischliche Präsenz. Üppigkeit. Sinnlichkeit. Idealisierung interessiert ihn nicht, was sich auch an seinen mythologischen und biblischen Gemälden ablesen lässt. Seine Götter sind nicht göttlich, sondern ganz von dieser Welt. Beweis: Suchen Sie Hermes, den Götterboten! Er trägt die Gesichtszüge von Lovis Corinth …
In seinen späten Schaffensjahren, den 1920er-Jahren, widmet sich Corinth der Landschaft – Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken entstehen. Fernab vom Berliner Alltag, am Walchensee, hatte Charlotte ein Sommerhaus bauen lassen, dort verbringt die Familie die Ferien – dort ist die Natur sein Motiv.
„Ich will alles malen, was ich will und wie ich es will"
Im Ausstellungssaal „Charlotte Berend-Corinth – Wiederentdeckt!" leuchten die Wände in Rot. Das Werk, das diese Schau eröffnet, heißt „Selbstbildnis mit Modell" 1931. Die Leihgabe kommt aus der Sammlung der Neuen Nationalgalerie Berlin. Das Sujet, der Blick ins Atelier, ist gängig. Der Maler steht oder sitzt im Vordergrund an der Staffelei. Er schaut entweder auf den Betrachter oder sein entstehendes Werk. Das Modell, liegend oder stehend, im Hintergrund. Manchmal ist das Gesicht der Frau zu erkennen, manchmal nicht. Charlotte Berend-Corinths „Selbstbildnis mit Modell" präsentiert das bekannte Sujet auf andere Weise. Beide Frauen stehen nebeneinander. Beide schauen den Betrachter an. Kein voyeuristisch-erotischer Gestus. Die Beiden könnten Freundinnen sein. Die 51-jährige Künstlerin hält den Pinsel in der Hand, die Spitze zeigt auf das Modell. Rot sind die Brustwarzen, rot sind die Lippen. Rot ist das Handwerkszeug der Malerin.
„Ich will alles malen, was ich will und wie ich es will." schreibt Charlotte Berend-Corinth 1931 in ihr
Tagebuch. Sie gibt Auskunft über die Beschwernisse, als Künstlerin eigenständig arbeiten zu können: „Wenn ich zurückdenke, wie ich es stets durchgesetzt hatte zu malen, trotz Schwangerschaft, trotz Arbeit bei den kleinen Kindern, trotz Wirtschaft, Kochen, Modell stehen […] Und immer ruft die innere Stimme: Gib dich nicht auf!" Einige Berufe sind nicht aufgezählt: Managerin des Künstler-Mannes, Ausstellungsorganisatorin seiner Werke, Herausgeberin seines Werkverzeichnisses und Krankenpflegerin. Freilich stehen Hindernisse während des Schaffens nicht in Bezug zu künstlerischer Qualität. Die Selbstaussage von 1960, hoch oben an der Wand über ihren Werken zu lesen, ruft nebenbei dazu auf, über die Gegebenheiten und das Leben von Frauen in jener und heutiger Zeit nachzudenken.
Eine großformatige Schwarz-Weiß-Reproduktion. Das Original hatte ein Arzt gekauft, es verbrannte im Krieg. Daneben hängt eine Vorstudie, Öl auf Pappe: „Die schwere Stunde", 1908. Charlotte Berend-Corinth setzt die Erfahrung der Geburt ins Bild und „bricht mehrere Tabus" tut das Lentos Kunstmuseum Linz, dem das Bild gehört, kund.
Unzweifelhaft war Charlotte Berend-Corinth eine bekannte Künstlerpersönlichkeit der Weimarer Republik. Auch sie war eine gefragte Porträtistin. Sie interessierte sich für die Welt der Bühne. Fabelhafte Lithografien der Tänzerinnen Valeska Gert und Anita Berber – unverhüllte körperliche
Reize – sind zu sehen. Dem Schauspieler und Komiker Max Pallenberg widmet sie mehrere Farblithographien, die ihn in unterschiedlichen Charakterrollen zeigen.
Nach dem Tod ihres Mannes reist sie oft und weit. Sie eröffnet eine Malschule. Sie emigrierte 1939 als Jüdin von der Schweiz aus in die Vereinigten Staaten, wo ihr Sohn Thomas lebt und zieht nach Santa Barbara in Kalifornien. Die Eröffnung der von ihr noch mit vorbereiteten Ausstellung eigener Werke in der Berliner Nationalgalerie 1967 erlebt sie nicht mehr.
Wir haben viel zu schauen in den nächsten Wochen. Man hätte es anders machen können. Aber nicht besser.