Das Weihnachtsgeschäft in der vierten Welle – ein Desaster oder der erhoffte Aufschwung? Vieles hängt von den aktuellen Corona-Regelungen ab. Der Handelsverband setzt auf die bewährten Hygienekonzepte und lehnt Verschärfungen ab.

Mehr Verkäufe, höhere Umsätze, endlich ein Lichtblick nach dem verkorksten Weihnachtsgeschäft im vergangenen Jahr: Können sich die Einzelhändler auf Rekordumsätze einstellen? Der Handelsverband Deutschland (HDE) ist etwas vorsichtiger. „Es werden über alle Branchen und Vertriebskanäle hinweg wahrscheinlich zwei Prozent mehr als im Vorjahr", prognostiziert Stefan Hertel, Sprecher des Verbandes, insgesamt wohl 112 Milliarden Euro im November und Dezember. Dabei profitiert nach HDE-Angaben vor allem der Onlinehandel, der um über 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr wachsen könnte. Dieser hatte naturgemäß in Zeiten der Kontaktbeschränkungen große Umsatzsprünge zu verzeichnen – im Gegensatz zum stationären Einzelhandel, der sogar ein Minus von zwei Prozent einfuhr. Hertel aber betont, dass man beide Vertriebswege kaum noch auseinanderhalten könne. „Viele Einzelhändler sind spätestens im Lockdown dazu übergegangen, auch online zu verkaufen." Corona sei der Booster für das Internetgeschäft gewesen, bestätigt auch Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HBB).„Damit können wir problemlos beide Seite bedienen", so der Berliner.
HBB: Einzelhandel ist kein Corona-Hotspot
Unter den Händlern in der Bundeshauptstadt selbst scheint sich langsam wieder Optimismus zu verbreiten. Oder zumindest „halb-optimistisch", wie sich Hamid Mohammadi, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Mode-Labels Chapati Design, ausdrückt. „Die Menschen haben den Wunsch und den Drang, sich an Weihnachten zu beschenken", sagt der Wahl-Berliner. Nachdem viele Leute lange nicht viel Geld hätten ausgeben können, würden sie es in Hinblick auf Weihnachten nachholen, so Hamid Mohammadi. Damit gibt sich der Geschäftsmann wesentlich zuversichtlicher als etwa vor knapp einem dreiviertel Jahr (FORUM berichtete). Die Waren würden nicht nur in den Berliner Ladengeschäften erhältlich sein, er habe jetzt auch einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Roten Rathaus. „Wir sind frohen Mutes, und ich hoffe, dass die Berliner nicht die Laune und die Lust am Leben verlieren", sagt denn auch Gabriele Fliegel, Geschäftsführerin der Vereinigung Wirtschaftshof Spandau. Der Berliner Verein vertritt rund 300 Unternehmen und Geschäftsleute im nordwestlichsten Bezirk der Hauptstadt.
Eine erneute Verschärfung der Corona-Auflagen für den Einzelhandel lehnt der HDE ab. Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sagte bei der Eröffnung des Handelskongresses Deutschland in Berlin, angesichts der Hygienekonzepte im Handel seien weder ein neuer Lockdown für die Geschäfte noch eine 2G-Regelung, die nur noch Geimpften und Genesenen den Zugang erlaube, nötig oder sinnvoll. Ähnlich sieht man es auch beim HBB. „Es kann nicht sein, dass ein Drittel der Bevölkerung keine Hosen und keine warmen Sachen kaufen kann. Wenn es brennt, muss man nicht den ganzen Wald unter Wasser setzen", so der HBB-Chef Nils Busch-Petersen gegenüber FORUM. Auch eine 2G-Plus-Regelung sieht der Hauptgeschäftsführer „für alle Bereiche problematisch". Die 3G-Regelung biete, wenn sie gut und überall kontrolliert werde, eine „hohe Sicherheit".
Nach Ansicht des HDE müssten Bund und Länder mehr tun, um die Impfquote in Deutschland rasch zu erhöhen. Frankreich habe hier mit härterem Vorgehen deutlich höhere Impfquoten erreicht. Mit dem bisherigen Krisenmanagement der Politik zeigte sich Genth auch insgesamt nicht zufrieden. „Da würde ich mir manchmal schon wesentlich stringentere Managementqualitäten wünschen. Dass wir keinen festen Krisenstab im Kanzleramt haben mit Ländern und Bund, kann keiner verstehen." Hier sei die neue Bundesregierung gefordert. Ein gewisses Unverständnis gegenüber der Politik äußert auch Nils Busch-Petersen: „Wir fragen uns schon, warum die Politik nach den vorhandenen Informationen, auch die, die Luca App geliefert hat, nicht besser differenziert." Durch die App seien 181.000 Daten analysiert worden, und der Handel, aber auch Museen machten jeweils gerade einmal ein Prozent der Infektionen aus. In der Tat zeigen die aktuellen Auswertungen des Systems, dass knapp drei Viertel aller Warnmeldungen Clubs und Bars betreffen. Im Einzelhandel etwa oder in Kinos gibt es mit einem Prozent fast gar keine Infektionen.Ob die Maßnahmen vor Weihnachten dennoch auch für den Handel verschärft werden, liegt nun im Ermessen der Länder. In Deutschland gingen bereits vor den Beschlüssen der jüngsten Ministerpräsidenten-Konferenz viele Länder zu härteren Regeln über:
Nachfrage nach Azubis höher als das Angebot

So galt in Bayern als Bundesland mit einer der höchsten Inzidenzzahlen 2G, mittlerweile auch in der Innengastronomie. Auch in allen anderen Bundesländern gilt jetzt die 2G-Regel. Diese Regelung darf in Hessen und Niedersachsen sogar im Einzelhandel angewendet werden. In Sachsen gilt sie bereits flächendeckend auch für den Handel. Ausnahmen sind Geschäfte für die Grundversorgung. In einigen Situationen mit besonders hohem Infektionsrisiko wenden Hessen und Rheinland-Pfalz zudem das 2G-plus-Modell an. Auch das Saarland fuhr sein eigenes Modell: 2G drinnen, 3G draußen. Dagegen hatte Bremen bis auf Bremerhaven bislang keinerlei aktive Regel, 3G und 2G gelten je nach Höhe der Inzidenz.
Eine Kontrolle sieht der HDE kritisch. Das funktioniert möglicherweise in kleinen Geschäften mit geringer Kundenfrequenz, aber im Lebensmittel- und Bekleidungshandel ist dies nicht durchführbar, so Hertel. Das ist auch der Grund, weshalb etwa in Berlin-Spandau der Weihnachtsmarkt dieses Jahr nicht in der Altstadt stattfindet. „Wir hätten alles einkesseln und Sicherheitsvorkehrungen hoch drei treffen müssen", erklärt Gabriele Fliegel vom Wirtschaftshof Spandau. Natürlich seien viele Händler traurig darüber. Stattdessen wird nun der Markt mehrere hundert Meter weiter an der Zitadelle Spandau aufgebaut. Das dortige Sicherheitskonzept sieht eine 2G-Regelung vor. Einer etwaigen 2G-plus-Regelung steht die Berliner Geschäftsfrau gelassen gegenüber. „Der Handel ist vorbereitet", sagt sie. Man habe genug Schnelltests da, und „viele Eigentümer können die Tests zertifizieren", sagt sie und hofft, dass die Kunden auch mitspielen.
Allerdings hat der Handel Nachwuchssorgen. Bei den Auszubildenden sei das Angebot höher als die Nachfrage an Lehrstellen, sagt HBB-Chef Busch-Petersen. Ansonsten sei man gut aufgestellt, auch wenn es schon mal Beschwerden gebe. Fragt man die Spandauer Geschäftsführerin, hört sich die Lage dagegen dramatisch an. „Das Personal ist überall eine Katastrophe", so Fliegel. Es sei durch Corona abgewandert, auch im Handel. „Es gibt keine Leute, die zur Verfügung stehen."