Mit 16 Jahren macht Fabian Schmutzler die Qualifikation für die Darts-Weltmeisterschaft perfekt und schickt sich an, der neue Shootingstar einer in Deutschland aufstrebenden Sportart zu werden.
Bei einem genauen Blick auf die derzeitige Darts-Elite zeigt sich, dass alle Stars einen recht ähnlichen Weg in den Sport hatten. Der Niederländer Raymond van Barneveld war Postbote, ehe er sich entschied, dass es eine gute Idee sei, berufsmäßig Pfeile auf eine Scheibe zu werfen. Michael van Gerwen war Fliesenleger, Rob Cross Elektriker, Peter Wright jobbte auf Baustellen. Der aktuell beste deutsche Spieler, der Saarländer Gabriel Clemens, arbeitete lange halbtags als Industriemechaniker, ehe er sich voll und ganz auf den Sport konzentrierte. Und die Geschichte von Gerwyn Price ist legendär: Der Waliser war Rugbyprofi, ehe er sich an der Hand verletzte. Also wurde er Dartsspieler – und im vergangenen Winter sogar Weltmeister. Alles lief eher über den zweiten Bildungsweg.
Nur einer war jünger als der Hesse
Fabian Schmutzler hingegen hat noch nicht mal seinen ersten Bildungsweg abgeschlossen. Er ist noch Schüler, besucht die zehnte Klasse eines Frankfurter Gymnasiums – und hat sich jetzt im Alter von 16 Jahren für nichts Geringeres als die größte Bühne des Darts, die Weltmeisterschaft im Londoner Alexandra Palace, qualifiziert. Das Ticket löste er auf der Development-Tour für Spieler vom europäischen Festland. „The Fabulous Fab" kam, sah und hörte einfach nicht mehr auf zu gewinnen. Zwei Turniersiege bedeuteten in der Endabrechnung den zweiten Platz, der ihm zur Qualifikation genügte, da der erstplatzierte Österreicher Rusty-Jake Rodriguez sein Ticket bereits sicher hatte. Was die Leistung noch bemerkenswerter macht: Beim ersten Teil der zwölfteiligen Tour war Schmutzler noch zu jung, er durfte gar nicht mitmachen und Punkte sammeln. Also spielte er nur den zweiten Teil mit – und qualifizierte sich trotzdem. Sein überraschender Erfolg steht stellvertretend für den Aufschwung unter den deutschen Dartsspielern. Die Achtelfinal-Teilnahme von Gabriel Clemens, der im vergangenen Jahr sogar den amtierenden Weltmeister Peter Wright besiegen konnte, soll kein Einzelfall bleiben. Wenn Schmutzler dann im Dezember seinen ersten Pfeil auf das runde Board wirft, wird er als zweitjüngster WM-Teilnehmer in die Geschichtsbücher eingehen – mit 16 Jahren und 57 Tagen. Jünger war nur der Australier Mitchell Glegg bei seinem Debüt 2007.
Schmutzlers Leistung ist und bleibt eine gewaltige Überraschung, jedoch eine, die sich erklären lässt. Für sein junges Alter besitzt er schon eine enorme mentale Stärke, für die ihn ältere Spieler durchaus beneiden. Er strahlt eine enorme Ruhe aus, von zittrigen Händen keine Spur, wenn es darum geht, mit einem Wurf ins Doppelfeld zu beenden. Zudem scheint ihm der neuerliche Trubel um seine Person nichts anzuhaben. Einer, der das einschätzen kann, ist Klaus Pabst, der Präsident des Hessischen Dart-Verbandes. Er kenne Schmutzler als „ruhigen Typ, der sehr fokussiert ist", sagte Pabst dem Sportinformationsdienst: „Seine Eltern achten darauf, dass er nicht abhebt." Gefreut wurde sich natürlich trotzdem. Schmutzler erklärte, die WM sei „das Nonplusultra von allem, was es gibt" – und er ist nun Teil einer immer weiter wachsenden deutschen Delegation. Im Londoner Ally Pally, in das trotz der Pandemie wieder bis zu 3.000 Zuschauer pro Session eingelassen werden sollen, werden traditionell sehr viele Briten am Start sein, auch eine Menge Niederländer – sowie immerhin vier Deutsche.
7.000 Pfund „Taschengeld"
Vor Schmutzler hatten bereits Clemens, Martin Schindler und Florian Hempel ihre WM-Tickets gelöst, sogar ein fünfter deutscher Startplatz ist noch drin: Den könnte sich Max Hopp sichern beim abschließenden Qualifikationsturnier Ende November. Hopp, ist weitaus erfahrener als Schmutzler, es wäre seine neunte WM-Teilnahme. Debütiert hat Hopp 2012 ebenfalls als 16-Jähriger, er war damals ein paar Tage älter als Schmutzler heute. Und schied in der ersten Runde aus. Für TV-Moderator Elmar Paulke, der als „deutsche Stimme des Darts" bekannt wurde, ist alleine die Teilnahme des Teenagers ein Riesenerfolg – sowohl für Schmutzler selbst als auch für den deutschen Darts-Sport im Allgemeinen. „Das muss man sich mal vorstellen: Schmutzler stand noch nie auf einer großen Bühne – und startet nun direkt im Alexandra Palace. Er hat jetzt schon Geschichte geschrieben." Nach derzeitigem Stand werden im legendären „Ally Pally", wie der Londoner Austragungsort genannt wird, 3.000 Fans ihre Darts-Idole anfeuern – falls die Corona-Lage in Großbritannien dies zulässt. Schmutzler winkt dabei nicht nur große Aufmerksamkeit, sondern auch ein stattliches Preisgeld. Allein 7.000 Pfund waren es beim letzten Turnier, in London werden insgesamt 2,5 Millionen Pfund unter den Teilnehmern ausgeschüttet. Eine halbe Million Pfund geht an den Weltmeister. Für Elmar Paulke ist das ein weiterer Ausdruck der stetig steigenden Darts-Euphorie in Deutschland: „Wir warten alle auf den deutschen Darts-Superstar. „Ob Schmutzler das Zeug dazu hat", werde sich noch herausstellen. Die Grundlage dazu scheint er aber mitzubringen, sagt Paulke: „Er ist sehr cool und kommt aus einem guten Elternhaus. Dazu wird er von René Eidams, der selbst Profi ist, betreut." Gegenüber der Deutschen-Presse-Agentur sagte Eidams über seinen Schützling: „Ich würde schon sagen, dass das ein Ausnahmetalent ist. Er ist ein so intelligenter Mensch. Er ist ganz anders als viele andere Darts-Spieler." Dass es irgendwann einen deutschen Topspieler geben wird, steht für Paulke aber außer Frage: „Die Niederlande haben seit Jahren Topleute – und nur 17 Millionen Einwohner. Da sollte in Deutschland bei seinen 80 Millionen Einwohnern mal auch was rauskommen. Und jetzt scheint sich etwas zu bewegen."
Beim Weltverband PDC hat man die Leistungen Schmutzlers sehr genau verfolgt, wie PDC-Europe-Chef Werner von Moltke sagte. „Deutsche Spieler bei der WM bringen eine ganz andere mediale Aufmerksamkeit. Diese Auftritte werden immer intensiv verfolgt." Von Moltke nannte den Coup von Schmutzler „ein kleines Märchen" und fügte an: „Das hat uns alle wie der Blitz getroffen, aber wir sind sehr, sehr glücklich." Auch in der englischen Kommentatorenszene, mit der Elmar Paulke bestens verbunden ist, wird der Auftritt des „Fabulous Fab" nun mit Spannung erwartet: „Die sind alle auf ihn gespannt. Sein WM-Start wird ein Riesending."
WM-Start wird ein „Riesending"
Alle Darts-Größen äußerten sich über den Youngster, wie sieht er selbst seinen Erfolg? „Mit dem Alexandra Palace verbinde ich einen Traum. Es war schon immer ein Traum von mir, da zu sein. Nicht nur als Spieler, auch als Zuschauer wäre ich gern einmal dort gewesen", sagte der Frankfurter der Deutschen Presse-Agentur. Nun selbst dort antreten zu können, begeistert Schmutzler, der die zehnte Klasse eines Gymnasiums besucht. „Es ist die größte Bühne des Darts. Es ist das Nonplusultra von allem, was es gibt. Ich habe mit null Pfund angefangen und bin so weit gekommen, dass ich mich für die WM qualifiziert habe. Das ist unfassbar. Ich bin einfach froh darüber", sagte Schmutzler, der ein paar Tage nach seinem Erfolg immer noch überwältigt wirkte.
Für die Familie und Schmutzler selbst geht es jetzt von null auf hundert, niemand hätte mit dieser Leistungsexplosion gerechnet. „Dass es so schnell geht, das war schon enorm", ordnete Eidams ein. Zudem erreicht ihn ein riesiger Schub an Aufmerksamkeit und immer mehr Medienanfragen, die seine Familie und Eidams erst einmal in aller Ruhe koordinieren wollen. Bloß nicht den Jugendlichen nach einem Traum-Wochenende verheizen, lautet das Motto. Wenn den Worten von Eidams Glauben geschenkt werden kann, ist das aber gar nicht nötig. Sicherlich, es prasselt einiges auf Schmutzler ein, doch wenn es jemandem zugetraut werden kann, dass er auf dem Boden bleibt, dann jemandem, der nur die Hälfte aller Turniere spielen kann und sich trotzdem qualifiziert. Derzeit steht noch der Schulalltag auf dem Programm, Ende Dezember wird aus der Schulbank dann der Ally Pally.