Neue Jobs, neuer Bahnhof, neuer A10-Zubringer: Am gigantischen Tesla-Werk Grünheide, das in einem Wasserschutzgebiet liegt, scheiden sich die Geister. Angeblich sollen die ersten Autos noch im Dezember vom Band rollen.
Nebel zieht über den Peetzsee. Die letzten Freizeitkapitäne der Saison machen ihre Kähne winterfest. Nur ein paar Villen am Ufer setzen Kontraste zum Dezembergrau. Im Sommer ist die Grünheider Seenkette beliebtes Ausflugsrevier der Berliner. An Werl-, Peetz- und Möllensee wanderte einst Fontane. Hier lebten Promis wie Verleger Ernst Rowohlt und der DDR-Kritiker Robert Havemann.
Doch mit der Idylle vor den Toren der Hauptstadt könnte es bald vorbei sein. Denn keine drei Kilometer entfernt zog Investor Elon Musk im Grünheider Ortsteil Freienbrink in nur zwei Jahren seine Tesla Gigafactory hoch. Hier sollen einmal bis zu 500.000 E-Autos im Jahr produziert werden. Zunächst sind 12.000 Arbeitsplätze geplant, später sollen es bis zu 40.000 Jobs sein. Neuer Bahnhof, neue Autobahnabfahrt, tausende Wohnungen: Mit der Grünheider Beschaulichkeit wäre es dann wohl vorbei.
Das befürchten zumindest viele, die hier an der Peripherie zwischen Berlin und Brandenburg wohnen. Dass praktisch eine ganze Ausflugsregion verschwinden könnte, sei aber nicht die Hauptkritik, so Heidemarie Schroeder von der Bürgerinitiative Grünheide. „Ich finde es einfach unverantwortlich, dass man in einem Trinkwasserschutzgebiet ein solches Werk hinsetzt und 300 Hektar Wald roden will. Bis jetzt ist unklar, wo das Wasser für so ein gigantisches Vorhaben herkommen soll. Das ist auch unser Wasser. Das Land opfert es und stellt Profitinteresse über Interessen und Wohl der Bürger."
40.000 Jobs in der abgelegenen Region
In der ersten Ausbaustufe würde der US-Elektroautobauer jährlich rund 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser benötigen. Das entspricht dem Verbrauch einer 40.000-Einwohner-Stadt. Später sind laut Antragsunterlagen etwa 3,6 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr nötig, was dem Verbrauch einer 100.000-Einwohnerstadt entspricht. „Das hätte fatale Folgen für den Grundwasserspiegel im ohnehin ausgedorrten märkischen Boden", erregt sich Manuela Hoyer von der Bürgerinitiative. „Ein Vorhaben, das den Klimaschutz mit dem Bau von Elektroautos fördern soll, bewirkt bei uns vor Ort genau das Gegenteil: Umwelt- und Ressourcenzerstörung."
Sergej Weber aus Marzahn-Hellersdorf fürchtet, dass Tesla vielen Berlinern aus den Ostbezirken ein Naherholungsziel nimmt. „Es geht nicht nur ums Werk selbst, sondern um den Siedlungsdruck, der bei 40.000 Beschäftigten entsteht. Die Leute können nicht von überall ran gekarrt werden, ein Großteil müsste hier im Umfeld auch wohnen", sagt Weber. Er hat das Tesla-Volksfest Mitte Oktober in der Gigafactory besucht. Hier hätte man vor allem „Technikfreaks und E-Auto-Fans aus halb Europa" getroffen. Für den Mit-Vierziger war die fürs Volk gedachte Party kein Zeichen großer Begeisterung der Ortsansässigen.
Das sieht Christine de Bailly vom Netzwerk Grünheide anders. Die Zahl der Befürworter wachse stetig, sagt sie. „Ich sehe vor allem kommende Arbeitsplätze, die wir in Brandenburg dringend brauchen. Von schönen Seen und Wäldern allein können wir nicht leben." Die Gigafactory bezeichnet sie als Chance, die Infrastruktur der Region zu verbessern. Beim Thema Wasserschutz vertraue sie bundesdeutschen Normen sowie der Landes- und Kommunalpolitik. Auch Tim Sawahn begrüßt Tesla als Jobmotor und Chance für eine Zukunftstechnologie. „Mit diesen E-Cars wird wirklich etwas für die Umwelt getan." Er hofft auf ein Silicon Valley in der Mark. Das sagt auch Grünheides Bürgermeister Arne Christiani (parteilos), der unter anderem auf üppige Gewerbesteuereinnahmen hofft. Gern zitiert er Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD): „Grünheide hat den Jackpot gewonnen, ohne Lotto zu spielen." Gemeint ist die Tesla-Ansiedlung.
Steinbach gilt als Förderer und Befürworter des Projekts. Auch er betont, dass Brandenburg vom Tourismus allein nicht leben kann. Woher das Wasser fürs Werk in späteren Ausbaustufen kommen soll, wisse er jedoch auch nicht, sagt er kürzlich in der ARD. Das herauszufinden, sei Aufgabe von Tesla. Doch auch Hydrologen stehen dem Vorhaben offenbar skeptisch gegenüber: So erklärte Jörg Lewandowski vom Berliner Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei ebenfalls in der ARD, dass das Tesla-Projekt den „Nutzungsdruck aufs Wasser" im Südosten Berlins und im Umland enorm erhöhe. Und das in einer Region, in der es immer weniger Wasser gibt, in der berühmten märkischen Streusandbüchse.
Laut Steffen Schorcht von der Grünen Liga Brandenburg sei völlig unklar, wie viel Grundwasser überhaupt vorhanden ist und was tatsächlich entnommen wird. Zudem sei nicht bekannt, wie und ob sich Grundwasser neu bilde. „Es ist die bloße Hoffnung der Entscheidungsträger, dass alles gut geht", so Schorcht, der im benachbarten Erkner lebt. In US-amerikanischen Tesla-Werken seien Wasserverunreinigungen sowie Schadstoffausstöße in der Luft nachgewiesen. Dies drohe auch Grünheide, nachdem der Status eines Trinkwasserschutzgebiets de facto aufgehoben wurde, kritisiert Steffen Schorcht, auch Mitglied im Naturschutzbund Brandenburg.
Die Kunden für den neuen Tesla stehen Schlange
Sorge bereitet die Gigafactory offenbar auch dem regional zuständigen Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE). Verbandsvorsteher André Bähler sieht Konflikte ums Wasser programmiert, wenn das Projekt wie geplant durchgezogen wird. Laut einer WSE-Mitteilung hat die Verbandsversammlung die vertragliche Vereinbarung zur wasserwirtschaftlichen Erschließung des Vorhabens zwar gebilligt, weil Tesla den Wasserbedarf im Genehmigungsantrag senkte.
Grundsätzlich gelte jedoch, dass das Baugebiet in einer Trinkwasserschutzzone liege und diese Zone nicht umsonst als solche ausgewiesen ist. Für weitere Ausbaustufen seien bislang weder Trinkwasserversorgung noch Abwasserentsorgung gesichert. Kapazitätsgrenzen seien absehbar, sagt WSE-Sprecherin Sandra Ponesky. Entsprechende Einwände hätten das zuständige Landesamt für Umwelt sowie das Brandenburger Umweltministerium erst spät beachtet. Sowohl administrativ als auch technisch blieben Fragen offen. Im Einzugsbereich des WSE werden laut Sandra Ponesky rund 170.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt. „Wir sehen uns in erster Linie für unsere Kunden in Verantwortung."
Ein anderer Kritikpunkt vieler Märker richtet sich gegen die geplante Verlegung des Bahnhofs im Grünheider Ortsteil Fangschleuse. Minister Steinbach erklärte dazu, dass die Verlängerung von Bahnsteigen schon vor der Tesla-Ansiedlung geplant war. Neue Regio-Züge seien länger als die alten. Doch die Bürgerinitiative Grünheide entgegnet, dass es sich in Fangschleuse nicht nur um eine Verlängerung der Bahnsteige, sondern um die Verlegung eines Bahnhofs handele. Und zwar in Richtung Tesla-Werk. Die Bürgerinitiative fordert, dass sich Tesla zumindest an den Kosten beteiligt. Bislang seien rund 50 Millionen Euro von Bund, Land und Kommunen für den Bahnhof avisiert.
Die Bürgerinitiative verweist indes auf ihre Petition „Stoppt Tesla – Rettet unser Trinkwasser", die bereits rund 9.500 Menschen (Stand 26.11.21) unterstützt hätten. Dadurch werde die Landespolitik gezwungen, sich weiter mit dem Thema zu befassen. „Unser Grundwasser gehört der Allgemeinheit und darf nicht verkauft werden", heißt es in der Petition. Laut EU-Norm dürfe der Zustand von Gewässern in Schutzgebieten durch Baumaßnahmen nicht verschlechtert werden, so die Initiative. Dagegen werde „massiv verstoßen". Bislang gab es laut Bürgerinitiative über 800 Einwendungen gegen das Bauvorhaben. Am 22. November endete die 2. Online-Erörterung von Einsprüchen gegen das Projekt beim Landesamt für Umwelt sowie bei der Unteren Wasserbehörde des Landkreises Oder-Spree. Die Ergebnisse müssen erst noch aufbereitet werden.
Für die Gigafactory liegt immer noch keine endgültige Baugenehmigung vor. Die Produktion darf erst anlaufen, wenn sie erteilt ist. Derweil stehen die Kunden quasi Schlange. Allein Hertz will zehn Prozent der jährlichen Herstellungskapazität übernehmen. Milliardär Elon Musk errichtet seine Fabrik – mit 19 Vorabgenehmigungen – auf eigenes Risiko. Tesla selbst beantwortet derzeit keine Journalisten-Anfragen. Eine Pressestelle für das Grünheider Werk gibt es nicht.