Auf 149 Seiten beschreiben die drei Koalitionsparteien, was sie alles für Berlin in den nächsten fünf Jahren vorhaben. Vieles sind Versprechungen, konkret wird der Koalitionsvertrag selten.
Seit dem vergangenen Wochenende liegt ein abgestimmter Koalitionsvertrag vor. Laut Präambel werden Wohnungen bezahlbar, das Klima neutral, die Wirtschaft stark, Bildung und Soziales leistungsfähig und die Verwaltung digital. Daraus ergibt sich der Titel: „Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark."
Zehn Wochen lang saßen die Berliner Verhandler stundenlang in Koalitionsrunden. Die drei Parteien hatten ihre Papiere vorgelegt, verhandelt wurde dann auf Chefebene, in der sogenannten „Dachgruppe". Ursprünglich sollte der Koalitionsvertrag am 24.11. präsentiert werden. Jetzt wird erst die Parteibasis ihr Votum abgeben. Die neue Chefin soll drei Tage vor Weihnachten gewählt werden.
Laut Landesverfassung dürfen es maximal zehn Senatoren sein, plus Regierende Bürgermeisterin. Außer Michael Müller scheiden in jedem Fall Dilek Kalayci (Gesundheit) und Sandra Scheeres (Bildung, alle SPD) aus, der Weggang von Regine Günther (Verkehr, Grüne) gilt als ebenso wahrscheinlich wie der von Sebastian Scheel (Stadtentwicklung, Linke) und Matthias Kollatz (Finanzen, SPD). Die Zukunft von Ramona Pop (Wirtschaft, Grüne) ist offen. Sie wird als Kandidatin für eine Position im Bund gehandelt.
Die Parteibasis muss noch zustimmen
Franziska Giffey (SPD) ist als Regierende Bürgermeisterin gesetzt. Ihre Stellvertreter – in Berlin heißen sie Bürgermeister – dürften Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) werden. Klaus Lederer, der bisher das Amt des Kultursenators bekleidete, wird auch als künftiger Kultursenator gehandelt. Bettina Jarasch ist für Gesundheit und Wissenschaft zuständig. Mit Werner Graf werden die Grünen Verkehr, Umwelt und Landwirtschaft besetzen. Torsten Schneider, SPD, enger Vertrauter von Raed Saleh, dem mächtigen Mann in der SPD, wird Wirtschaftssenator. Lisa Paus (Grüne) Finanzsnatorin. Mit Iris Spranger geht das wichtige Ressort Stadtentwicklung und Wohnen wieder an die SPD. Für die unbeliebte Bildungspolitik ist Juliane Seifert (SPD) im Gespräch. Sandra Brunner (Linke) wird Justizsenatorin. Andreas Geislel (SPD) bleibt, was er ist: Senator für Inneres und Sport. Und auch Elke Breitenbach (Linke) wechselt nicht: Sie bleibt für Integration, Arbeit und Soziales zuständig.
Die Verhandlungen der drei Koalitionspartner verliefen so zäh wie Hefeteig. Immer wieder wird nach neun oder zehn Stunden vertagt. Bis nach Mitternacht rangen die Spitzen von SPD, Grüne und Linke darum, sich im Bereich Verkehr und Mobilität zu einigen. Auf konkrete Linien für den Ausbau von U-Bahnen konnte man sich nicht einigen, aber auf den Ausbau der Tram. So steht die Frage an, ob die U 8 bis Marzahn verlängert werden soll. Für die U 7 zum BER wird es eine Kosten-Nutzen-Kalkulation geben. In der Innenstadt soll es künftig eine „Taktverdichtung" auf fünf Minuten, in den Außenbezirken auf zehn Minuten geben. Über ein Pflichtticket für Touristen konnten sich die drei Koalitionsparteien einigen, nur noch nicht über den Zeitpunkt, ab wann sie es einführen wollen. Auch die künftige Höhe der Parkgebühren in Berlin ist unter den Verhandlungspartnern noch strittig, hieß es aus Verhandlungskreisen.
Immerhin haben sich die drei zum Ziel gesetzt, Berlin künftig klimafreundlicher und auch sauberer zu machen. Das richtet sich gegen die dreckigen Straßen und die vermüllten Parks. Dafür wird Berlin CO2-frei. Bis 2035 soll ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. „Wir haben das Ziel, dass Berlin klimaneutral wird", sagte die künftige Regierende Franziska Giffey (SPD) – wobei sie den Verkehrssektor erst mal wegließ. Die „zügige Umsetzung" des Kohleausstiegs soll noch vor 2030 passieren, das Kraftwerk Moabit bis spätestens 2026 und das Kraftwerk Reuter-West bis spätestens 2028/29 geschlossen werden. Dafür gibt es eine Solarkampagne gemeinsam mit dem Berliner Handwerk. Außerdem wird das Fernwärmenetz rekommunalisiert, ebenso möglichst auch das Gasnetz, um beide Versorgungsnetze zu decarbonisieren.
Auch zum Thema Migration gibt es ein Ergebnis: Statt 7.000 Menschen will die Koalition künftig 20.000 pro Jahr einbürgern. Das ist vor allem gut für den Länderfinanzausgleich. Die Verfahren sollen beschleunigt, die Einbürgerung stärker Sache des Landes werden. Auch werde geprüft, ob und wie nicht-deutsche Bürger, die seit fünf Jahren in der Stadt leben, sich an Wahlen beteiligen können.
Extrem konfliktträchtig sind die Themen Stadtentwicklung und Bauen. Unter anderem wurde über den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen" lange diskutiert, den die Berliner mit 59 Prozent der Stimmen befürwortet hatten. Die zuständige Arbeitsgruppe hat zunächst den Vorschlag gemacht, ein Expertengremium einzusetzen, das innerhalb eines Jahres einen Kompromissvorschlag erarbeiten soll. Bei der Formulierung des Auftrags ging es nicht um das „ob", sondern das „wie": Die Linke setzte sich durch. Die „Experten" sollen jetzt bestimmen, „wie" die Enteignung gehen kann. 59 Prozent für Enteignung bei Abstimmung. Einen Schwerpunkt legt die Koalition auf Investitionen in Klimaschutz bei öffentlichen Gebäuden und Flächen. Jährlich sollen 20.000 neue Wohnungen gebaut werden, möglichst die Hälfte davon im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Sektor. Bis 2030 sollen 200.000 Wohnungen entstehen. Nicht erwähnt sind strittige Projekte wie die Randbebauung des Tempelhofer Felds.
Ziele sind klar – der Weg dahin nicht
Besonders bei den Plänen zur Stadtentwicklung fällt auf, wie oft von „wollen", „sollen", „der Senat strebt an" oder „setzt sich dafür ein" die Rede ist. Klar ist, dass vieles nur als Ziel formuliert werden kann. Aber beim Lesen fragt man sich dann doch oft genug, wie denn das eine oder andere Ziel zu erreichen sei. So gibt es eine ganze Reihe schöner Projekte aus den Bereichen Soziales, Gesundheit und Pflege: Kampf gegen Obdachlosigkeit, Maßnahmen gegen die Gewalt an Frauen und Mädchen, Offensive für Kurzzeitpflege, zehn neue Stadtteilzentren, Ehrenamtskarten für pflegende Angehörige und – typisch Berlin – Armutsbekämpfung, Schuldnerberatung, Drogenkonsumplätze. Aber zu allem gibt es keine Zahlen.
Der Punkt „gute Verwaltung" kam erst ziemlich am Ende. Berlin müsse wieder funktionieren, versprachen die Koalitionäre, die Bürger sich auf eine moderne und serviceorientierte Verwaltung verlassen können. Dafür sollen die in den Bezirken angesiedelten Bürgerämter mehr Personal bekommen. Die Digitalisierung wird von einer Zentralstelle vorangetrieben werden, für die noch ein „Chief Digital Officer" gesucht wird.
Wie stabil die Berliner Dreier-Koalition ist, wird sich in der Praxis zeigen. Anders als im Bund, wo die FDP drohen kann, zur CDU überzulaufen, sind weder die Grünen noch die Linken unsichere Kandidaten. Es kann höchstens sein, dass Franziska Giffey irgendwann die Faxen dick hat von dem ständigen Gezerre und sich mit Kai Wegner verständigt, dem CDU-Mann, mit dem sie noch kurz nach der Wahl geflirtet hatte.