Auf dem Albschäferweg im Kreis Heidenheim können Wanderer eine wunderbare Landschaft entdecken und in Schäferkarren übernachten.
Viel Steine gab’s und wenig Brot. Die Gedichtzeile von Uhland wurde zum geflügelten Wort auf der Ostalb. Man versteht warum, wenn man diesen Acker oberhalb von Steinheim sieht. Gepflügt und aufgeworfene Erde, davon aber nicht viel. Sondern alles gespickt mit hellen Kalksteinen, bis zu handtellergroß. „Da wird nicht mehr geklaubt", sagt Wolfgang Pösselt. Im Schwäbischen meint das: gelesen. Niemand pickt die Steine raus. Was Pösselt freut, denn er sagt: „Hier kann man sicher Strahlenkegel finden." Und schon gehen wir gebeugt am Ackerrand entlang, leider erfolglos. Strahlenkegel beweisen, dass hier ein Impakt stattgefunden hat, ein Meteoriteneinschlag. Ein Strahlenkegel ist ein Stein mit strahlenartigen Streifen, entstanden unter einem Druck von bis zu 300 Kilobar. Ein Autoreifen hat drei bar.
Ein Millionen Jahre alter Krater liegt am Weg
Es muss gewaltig gescheppert haben vor 15 Millionen Jahren. Ein wohl 150 Meter großer Meteorit rammte mit der Geschwindigkeit von 20 Kilometern in der Sekunde und der Gewalt von 18.000 Hiroshimabomben die Kalkhochfläche. Im Krater federte der Boden zurück, ein Zentralhügel erhob sich. Auf diesem entstand – viel später – ein Kloster. Und noch viel später eine Gartenschenke, Himmelstoß genannt. Dort wurde himmlischer Beerenwein ausgeschenkt, mit höllischen Katerfolgen.
Der Krater, das Steinheimer Becken und der Hügel sind gut zu erkennen vom Kraterrand, über diesen führt eine Teiletappe des Albschäferweges. Ein Rundweg um den Kreis Heidenheim, 158 Kilometer lang, in sechs bis zehn Tagen gut zu schaffen. Wolfgang Pösselt ist Rentner und Wanderführer. 2006 habe er nach Touren gesucht, „und Heidenheim war ein weißer Fleck". Wo doch die Landschaft so schön sei, und so voller Geschichten und Sehenswürdigkeiten. Vier Landschaftstypen zählt Pösselt auf, das trockene Härtsfeld, das untere Brenztal, die Alb und der Albuch. Auf dem Härtsfeld liegt die Abtei Neresheim, ein Benediktinerkloster von Barockbaumeister Balthasar Neumann. Und am Brenztopf in Königsbronn begann 1365 die Industrialisierung mit ersten Hüttenwerken. Noch älter, eines der ältesten Kunstwerke der Menschheit überhaupt, wurde vor 13.000 Jahren in der Vogelherdhöhle im Süden des Landkreises geschnitzt, eine kleine Venus aus Mammutelfenbein. Das sei doch alles besuchenswert, sagt Pösselt, und hat natürlich Recht. Die Autorin stammt von hier – und kennt nur weniges.
Die Initiative für den Albschäferweg sei vom Landratsamt ausgegangen, so Pösselt. Monika Suckut, Leiterin der Abteilung Tourismus, freut sich über den Erfolg des Weges, auf den sie gemeinsam mit dem Schwäbischen Albverein und den Schäferinnen und Schäfern der Region „richtig stolz" sei. In Zeiten von Corona seien nun noch mehr Leute auf dem Weg unterwegs; an diesem Wochentag unserer Tour sehen wir allerdings nur einmal Wanderer. Overtourism ist hier noch kein Problem.
Die heutige Etappe beginnt an der „Heiderose", einer Waldgaststätte an einem Segelfluggelände und weiter zur Schafhalde. Die Wanderschäferei und ihre Bedeutung für die Landschaftspflege stehen im Fokus des Weges, der alten Schaftriebspuren folgt. Markiert ist er mit einem weißen Schäfer auf blauem Grund. Nach der Schafheide geht es hinunter in einen Buchenwald, am Wegesrand eigenartige Gräben und Löcher – ein Dachs wohnt hier. Am Rande einer Freifläche stehen gewaltige Eichen, ein Hütewald, hier wurden die Schweine gehütet. Weiter zum Knillwäldchen – ein kleiner Hain aus Hainbuchen, hier weideten Rinder. Der Burgstall markiert die Ecke des Kraterrandes, nun kann man abbiegen zum Schafhof Steinheim. Die Schäferfamilie Smietana züchtet Merinoschafe, im Hofladen gibt es Lammfleisch, Wollsocken und Heidestecken, Würstchen aus Lammfleisch mit Thymian oder geräucherten Schafschinken.
Wundervolle Ausblicke beim Frühstück
Wir gehen hinunter ins Stubental und danach wieder hinauf auf die Gerstetter Alb. Durch den Wald auf einem Single-Trail, dann über Streuobstwiesen und durch Felder. Welch abwechslungsreiche Tour! Am Ende wartet ein Schäferkarren, die klassischen Übernachtungswagen der Wanderschäfer. Der hier, auf dem „Kulturhof Erpfenhausen", ist allerdings nagelneu. Nach einigen Etappen kann man in so einem Tiny House auf Rädern übernachten. Sonja Banzhaf und ihr Mann Benny Jäger bewirtschaften den „Kulturhof", einen Veranstaltungsort für Hochzeiten und Konzerte. Kann man von einem Kulturhof auf der Alb leben, in einem Dorf, das aus lediglich drei Höfen besteht? Normalerweise ist hier viel los, sagt Sonja Banzhaf. Ihr Haupteinkommen stamme von Herrn Stumpfes Zieh & Zupf Kapelle, einer regional berühmten Band, in der Benny Jäger Tuba und Kontrabass spielt. Der Schäferkarren hat keine Dusche – aber dafür viel Gegend und einen wundervollen Ausblick beim Frühstück. Banzhafs Eltern hatten im Hof eine Vesperwirtschaft mit kalten Speisen. Das habe noch so gerade funktioniert, „die haben halt geschuftet". Nun kämen zwar Radfahrer und Wanderer, aber zu wenig, davon könne man nicht leben. Einen neuen Pächter werden sie wohl kaum finden.
Unsere Suche nach Strahlenkegeln war nicht erfolgreich. Als Kinder hatten wir immer was gefunden. Mal kleine versteinerte Ammoniten, schneckenähnliche Gebilde, mal Muscheln. Und manchmal auch kleine schwarze, schwere Kügelchen: Bohnerz. Pösselt erklärt es griffig: Wenn man im Wald einen Tümpel mit einem Hügel daneben sieht, steht man vor einer Bohnerzgrube. Ist da nur ein Tümpel, ist es eine Hülbe, eine mit Regenwasser gefüllte Doline, also eine eingebrochene Kalkhöhle. Und ist da nur ein Hügel – steht man vor einem Keltengrab. Pösselt erzählt gerne von den Besonderheiten der Ostalb, möchte Einheimischen und Besuchern zeigen, wie schön die Heimat ist. Denn, wie er sagt: „Der Albschäferweg ist mei Läba."